Streit um Kennzeichungspflicht: Polizei schwitzt lieber ohne Nummer
Die Opposition kritisiert: Einsatzhundertschaften sind im Sommer oft ohne Dienstjacken unterwegs - und damit ohne Kennzeichen.
Die Kennzeichnungspflicht für Polizisten gilt offenbar nur saisonal. Wie Innensenator Frank Henkel (CDU) auf eine Anfrage der Piratenpartei mitteilte, müssen Einsatzhundertschaften das 2011 eingeführte Dienstnummernschild nur auf ihren Einsatzjacken tragen. Werde die Jacke aber „witterungsbedingt“, wie jetzt bei sommerlicher Hitze, nicht getragen, „besteht keine Verpflichtung zum Tragen der taktischen Kennzeichen“.
Der Grund ist profan: Anders als bei den Jacken gebe es auf den darunter getragenen Shirts „keine Befestigungsmöglichkeit“, so Henkel. An den Einsatzjacken werden die Nummern auf Klettflächen befestigt. Ein nachträgliches Anbringen dieser Flächen an die Shirts sei „unter Kostenaspekten nicht vorgesehen“.
Die Piraten halten das für zu kurz gegriffen. „Die Dienstanweisung zur Kennzeichnungspflicht sieht keine Ausnahme vor“, betont Innenexperte Fabio Reinhardt. Es sei Aufgabe des Senats, hier „schnell und unkompliziert“ Gelder zu stellen, um die Polizei-Shirts mit Nummern nachzurüsten. Reinhardt rechnet mit einem „überschaubaren“ fünfstelligen Betrag. Für den Pirat zeigt die Shirt-Regelung auch die Tücken der polizeilichen Dienstanweisung, die "schlechtestensfalls auch widerrufen werden könnte". Reinhardt plädiert daher für ein Gesetz zur Kennzeichnungspflicht.
Auch Linken-Fraktionschef Udo Wolf fordert eine komplette Kennzeichnung: „So wurde uns das vom Innensenator und der Polizeiführung versprochen.“ Dass die Kennzeichnung „an der Beschaffenheit eines T-Shirts scheitert“, sei „ein Witz“, so Wolf. Wenn dem so sein, müssten die Beamten eben dauerhaft Jacken tragen.
Ein Polizeisprecher sagte, es sei die Regel, dass Einsatzkräfte bei Hitze keine Jacke tragen. Dies erfolge aber „nur in entspannten Lagen“. Komme es zu Eingriffen, sei es die „absolute Ausnahme“, dass die Jacke ausbleibe. Kostenschätzungen für die Nachrüstung gibt es laut dem Sprecher nicht, „wahrscheinlich aber teurer als das Shirt selbst“.
Zuletzt zeigte die Behörde Improvisationsvermögen: Bei Protesten gegen eine Immobilientagung Mitte Juni trugen Polizisten über kurzärmligen Shirts Westen – mit angekletteten Rückennummern.
Die Kennzeichnungspflicht wurde im September 2011 in Kraft gesetzt. Seit Jahresbeginn wurden sechs Strafverfahren gegen Polizisten eingeleitet, die über ihre Dienstnummer identifiziert wurden. Polizeigewerkschaften hatten mit der Einführung eine "Flut" an "unberechtigten" Anzeigen befürchtet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands