Streit um Inklusions-Stellen in Hamburg: Rechnen auf Rabe-Art
Die Initiative „Gute Inklusion“ kritisiert Angaben zur Personalstärke im Senatsbericht zur Beschulung behinderter Kinder – und fehlende Aufzüge.
„Gute Inklusion“ ist Nachfolger der Volksinitiative gleichen Namens, die vor zwei Jahren mit Rot-Grün einen Kompromiss ausgehandelt und dafür die Unterschriftensammlung eingestellt hatte. Jedes Jahr soll der Senat der Bürgerschaft über die Umsetzung dieser Vereinbarung berichten. Dieses Papier liegt nun vor – ein Jahr zu spät.
Das unstrittig Gute: In Hamburg darf schon seit 2010 kein Kind mehr gegen den Willen der Eltern auf eine Sonderschule geschickt werden, viele machen davon Gebrauch. Doch damit es wirklich Wahlfreiheit gibt, wären barrierefreie Gebäude, Räume für Therapien und andere Hilfsmittel nötig. Hier hat die Initiative noch etliche Kritikpunkte – etwa, dass bei frisch sanierten Bauten Fahrstühle für Rollstuhlkinder fehlen.
Doch der aktuelle Streit geht ums Personal. Der Senat schreibt im Bericht, seit dem Start in 2010 habe sich „die Qualität in der Inklusion stetig verbessert“. Derzeit stünden den Schulen dafür mehr als 1.500 Stellen zur Verfügung. „Bei Einführung der Inklusion war es nur knapp die Hälfte.“ Die „Verdoppelung“ gehe „deutlich über das hinaus, was nötig gewesen wäre, um die steigenden Schülerzahlen zu kompensieren“. In einer Pressemitteilung konkretisierte Rabe die Zahlen: „Waren 2010 noch 718 zusätzliche pädagogische Stellen für die Inklusion vorgesehen, sind es derzeit 1.515.“
Linke fordert Korrektur des Senatsberichts
Stimmt nicht, hält Pit Katzer von der Initiative dagegen: Denn bis 2010 gab es – als Vorläufer der Inklusion – noch „Integrationsklassen“ und „Integrative Regelklassen“. Und die hatten 2010 rund 350 Stellen für Erzieher und Sozialpädagogen, die Rabe „nicht mitgerechnet“ habe. Katzer addiert die 350 zu den 718 und spricht von rund 1.000 Stellen, die auf 1.515 erhöht wurden. Das sei also „nur um die Hälfte und nicht auf das Doppelte, wie der Senator behauptet“.
Im selben Zeitraum habe sich aber die Zahl der Kinder mit Förderbedarf an den Regelschulen von rund 2.000 auf rund 8.000 vervierfacht. Somit sei die Personalzuweisung pro Kind deutlich schlechter geworden. Erst die Volksinitiative habe erreicht, dass dieser Trend gestoppt wurde und die Zahl der Stellen seit 2018 um fast 300 auf 1.515 gestiegen sei.
Sabine Boeddinghaus, Die Linke
„Statt der behaupteten,kontinuierlichen Qualitätsverbesserung' gab es eine kontinuierliche Kürzung“, folgert auch die Linken-Schulpolitikerin Sabine Boeddinghaus und spricht von einer „Täuschung des Parlaments“. Wenn Senator Rabe nicht gewillt sei, Konsequenzen zu ziehen, liege die Verantwortung beim Bürgermeister. Sie möchte nun in einer Anfrage wissen, welche Konsequenzen Peter Tschentscher (SPD) daraus zieht, dass der „Schulsenator die Bürgerschaft belogen hat“.
Albrecht weist den Vorwurf zurück. Die Zahlen seien von der Behörde „sorgfältig ermittelt“. Die Zahl „718“ für das Schuljahr 2010/11 beinhalte „alle Stellen für Lehrkräfte und pädagogisch-therapeutisches Fachpersonal im Bereich der Inklusion“, also auch Erzieher und Sozialpädagogen. Die Behörde werde dies im Schulausschuss erläutern. Es wäre nicht das erste Mal, dass die Linke mit „haltlosen Vorwürfen“ zurückrudern müsste, meint Albrecht.
Boeddinghaus indes ist sich ihrer Sache sicher, denn im Dezember 2016 hatte sie schon mal nach den Erzieher- und Sozialpädagogen-Stellen gefragt, und für die letzten vier Schuljahre eine gesonderte Ausweisung jenseits der Lehrerstellen erhalten.
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