Streit um „Haus des Gastes“ auf Amrum: Abstimmung nach 24 Jahren Debatte
In der Gemeinde Nebel auf Amrum will die Politik das „Haus des Gastes“ abreißen, eine BI kämpft dagegen für die Sanierung. Im Februar wird abgestimmt.
Immer wieder verschwinden im Ort Schilder, mit denen die BI für ihr Anliegen „Retten wir das Haus des Gastes“ wirbt. „Kindergarten“ und „Schildbürgerstreich“, lauten die verärgerten Kommentare auf der Facebook-Seite der BI. In den Kommentar-Spalten des Onlinemediums „Amrum News“ beharken sich beide Seiten: Von der „irrlichternden Gemeindevertretung“ ist die Rede, „idiotisch-polemisch“ kontert ein anderer Nutzer.
Nicht nur Einheimische, auch zahlreiche Urlauber:innen beteiligen sich an den Debatten, rund 3.000 unterschrieben eine Petition zugunsten der Sanierung. Aber zur entscheidenden Abstimmung am 11. Februar sind nur die wahlberechtigten der 984 Einwohner:innen der Inselgemeinde aufgerufen.
Das Haus des Gastes wurde 1905 im Bäderstil erbaut. Früher waren in der Villa ein Lungensanatorium und ein Kinderheim untergebracht. Seit 1986 gehört das Gebäude, das am Ortsende in einem kleinen Park liegt, der Gemeinde, die dort die Tourismuszentrale sowie Veranstaltungsräume untergebracht hat. In den oberen Räumen wohnen während der Badesaison die Ehrenamtlichen, die im Sommer die Strandaufsicht übernehmen.
Liane Kurfürst, Bürgerinitiative „Retten wir das Haus des Gastes“
Seit dem Jahr 2000 diskutiert die Gemeindevertretung über die Zukunft des Hauses. 2012 fiel zunächst ein Beschluss, das Gebäude zu sanieren. Der Plan wurde jedoch wegen erwarteter hoher Kosten nicht umgesetzt, stattdessen 2018 beschloss die Gemeinde einen Neubau. Bei einem Architektenwettbewerb gewann ein Entwurf, der ein flaches Gebäude mit größerer Grundfläche als das heutige Haus vorschlägt – daher müssten zahlreiche Parkbäume weichen.
Aus Sicht der Gemeinde passt sich der moderne Entwurf gut in die Landschaft ein. Der Gemeinderat steht geschlossen hinter dem Bau, ebenso die gemeindeeigene Amrum Touristik als Nutzerin des Hauses. Die Befürworter:innen verweisen zudem auf Barrierefreiheit und bessere Dämmung des Neubaus. Kritiker:innen wie der Insel-Historiker Georg Quedens sprechen dagegen von einem „Tomatentreibhaus“, das nicht zum Friesenstil des Ortes passe.
Dennoch gab es keinen großen Protest – bis die Nebelerin Liane Kurfürst und ihr Mann Manfred zufällig darauf stießen, dass es keinen Beweis für die Baufälligkeit der Villa gebe: „Es war immer von einem Gutachten die Rede. Doch als wir das sehen wollten, gab es gar keins“, erklärt sie der taz. Um Klarheit zu schaffen, gründete sie mit anderen Interessierten die Bürgerinitiative, aus der das Bürgerbegehren folgte.
„Wir bekommen viel Gegenwind“, sagt Kurfürst. Gerechnet habe sie damit nicht: „Wir wollten keinen Streit in der Gemeinde, nur sachlich klären, ob sich dieses ortsprägende Gebäude vielleicht doch retten lässt.“ Auf eigene Kosten ließ die BI ein Gutachten erstellen, das dem Haus ein gutes Zeugnis ausstellte und auch die architektonische Besonderheit hervorhebt.
Bürgermeister Cornelius Bendixen (CDU) nannte das Gutachten zwar „eine Farce“, ein Gegengutachten der Gemeinde fehlt aber weiterhin. Den Kompromissvorschlag einer Architektin, wie der Altbau so umgerüstet werden könnte, dass er alle Wünsche der Amrum Touristik inklusive Barrierefreiheit erfüllt, lehnte die Gemeindevertretung einstimmig ab. Streit gibt es über die Kosten – jede Partei legt Berechnungen vor, nach denen ihre Variante billiger wäre als die der Gegenseite. Gleiches gilt für die Umweltschäden: Die BI kritisiert, dass Bäume gefällt werden, die Gemeinde verweist auf ein Grasdach als Ausgleich.
Während die Gemeinde ihre Vision vom neuen Haus des Gastes in aufwändigen Werbefilmen und Flyern zeigen kann, kleben Liane Kurfürst und ihre Mitstreiter:innen Zettel und verteilen Flyer. Und selbst das werde ihnen schwer gemacht, berichtet Kurfürst: „Da herrscht schon eine Ungleichheit der Waffen.“
Bei der Abstimmung am 11. Februar müssen insgesamt drei Kreuze gesetzt werden: Ein Ja oder Nein zum Vorschlag der BI, das bestehende Gebäude zu erhalten und zu sanieren, ein Ja oder Nein zum Vorschlag der Gemeindevertretung für einen Neubau sowie eine Stichfrage – ein Verfahren, das zu Fehlern und damit ungültigen Stimmen führen kann. Eigentlich hätte eine Frage gereicht, schreibt ein User auf der Seite der Amrum news. Aber „die Gemeinde wollte unbedingt eine zweite Frage haben“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Wahlprogramm der FDP
Alles lässt sich ändern – außer der Schuldenbremse
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
Migration auf dem Ärmelkanal
Effizienz mit Todesfolge