Streit um Habersaathstraße: Abriss in Sicht
Das Bezirksamt Mitte beschließt eine Vereinbarung über den Abriss der Habersaathstraße 40–48. Für die Bewohner:innen bleibt es enttäuschend.
Seit Jahren tobt in Mitte ein erbitterter Kampf um das Zuhause vieler Menschen. Für das Gebäude Habersaathstraße 40–48 hat das Bezirksamt nun erneut eine Abrissgenehmigung ausgestellt – trotz der Zweckentfremdungsverordnung. Damit steht das Wohnprojekt, in dem Altmieter:innen, ehemalige Obdachlose und geflüchtete Menschen leben, vor dem endgültigen Aus. Voraussichtlich Ende 2025 soll das Gebäude abgerissen werden.
„Wir finden das etwas mutlos vom Bezirk“, kritisiert Sebastian Bartels vom Berliner Mieterverein. „Man hätte dort innehalten müssen, wo die alte Abrissgenehmigung ausgelaufen war und die Mieter:innen durch das Landgericht geschützt sind“, erklärt er.
Der Konflikt zwischen dem Eigentümer Andreas Pichotta und den betroffenen Bewohner*innen zieht sich schon seit Jahren hin und wurde von zahlreichen Gerichtsverfahren begleitet. Dabei wurde mehrfach entschieden, dass der Mieterschutz Vorrang vor der Profitmaximierung hat, die Pichotta durch Abriss und Neubau von Luxuswohnungen anstrebt. Immer wieder haben die Bewohner:innen ihr Recht auf Wohnraum durch gerichtliche Urteile erstritten – und doch scheint es nie auszureichen, um den Abriss endgültig zu verhindern.
Auch der Bezirk Mitte stellte sich lange gegen den Abriss, stößt jedoch nach eigenen Angaben an die Grenzen seiner Handlungsfähigkeit. „Wir konnten den Bescheid nicht länger hinauszögern“, erklärte Bezirksbürgermeisterin Stefanie Remlinger (Grüne) am Freitag. Einzig das Zweckentfremdungsverbot, das seit 2014 in Berlin gilt, könnte den Abriss verhindern. Doch wie der Fall Habersaathstraße zeigt, bleibt dieser Schutz oft wirkungslos: Schon seit Jahren stehen dort Wohnungen leer.
Der Bezirk erklärte dazu: „Das Ermessen der Behörde ist auf Null reduziert; wir müssen die zweckentfremdungsrechtliche Abrissgenehmigung erteilen.“ Diese Entscheidung basiere auf der Bereitschaft des Eigentümers, ein „angemessenes Ersatzwohnraumangebot“ zu schaffen, das bestimmte Voraussetzungen wie örtliche Nähe und zeitlichen Zusammenhang erfüllen muss.
„Pendeldiplomatie“
Remlinger sagte, sie befinde sich in einer „ständigen Pendeldiplomatie zwischen dem Eigentümer und den Betroffenen“. Zuletzt habe sie eine „Vereinbarung“ mit Pichotta getroffen, nach der das betroffene Gebäude abschnittsweise abgerissen und neu gebaut werden soll. So könnten die Altmieter:innen während des gesamten Prozesses vor Ort bleiben und später zu den bisherigen Konditionen zurückkehren. Der Mietpreis im Neubau soll zwischen 11,50 und 16,50 Euro pro Quadratmeter gedeckelt sein – ein Preis, der für Berlin-Mitte leider noch als günstig gilt.
Für die geflüchteten und ehemals obdachlosen Menschen bedeutet dieses Angebot jedoch das Ende ihrer Wohnperspektive in der Habersaathstraße. Stattdessen sollen sie in einer neuen Unterkunft in der Papierstraße im Soldiner Kiez untergebracht werden, die auf einem weiteren Grundstück von Pichotta errichtet werden soll. Allerdings würden sie dort, anders als in ihrem bisherigen Zuhause, nicht mehr in eigenen Wohnungen, sondern in Gemeinschaftsunterkünften wohnen. Mehr habe man nicht herausschlagen könne, erklärte Remlinger und stellte es als „Angebot an die Betroffenen“ vor.
Doch die vielversprechenden Vereinbarungen erweisen sich bei genauerem Hinsehen als nicht viel mehr als heiße Luft. Ob Pichotta die Gebäude nun einzeln abreißt oder alle auf einmal – am Ende wird er seine Luxuswohnungen durchsetzen. Auch die Mietpreisdeckelung klingt zwar wie ein Schritt in Richtung Mieterschutz, doch letztlich greift das Recht auf Umwandlung in Eigentum, wodurch die Wohnungen teuer verkauft werden können und für die meisten unerschwinglich bleiben.
Neue Art von Bedrohung
„Das ist für uns keine große Überraschung“, erklärt Daniel Diekmann, Vertreter der Langzeitmieter:innen. Die Rechtslage habe sich nicht verändert, und die Entscheidungen des Landgerichts stünden für die betroffenen Menschen weiter im Vordergrund. Somit bleibe es dabei, dass sie das Gebäude nicht freiwillig verlassen werden. Für die Mieter:innen bedeute die Situation nur ein „neues Bedrohungsszenario“ und eine weitere Zuspitzung von den Räumungs- und Abrissversuchen durch den Vermieter.
Die getroffene „Vereinbarung“ hätte zweifellos noch schlimmer ausfallen können. Allerdings bleibt offen, wie viel von den Versprechungen übrig bleibt, wenn die Gebäude einmal abgerissen sind. Die Betroffenen, die jahrelang den zermürbenden Taktiken des Vermieters widerstanden haben – sei es durch das Abschalten von Strom und Warmwasser oder durch unzählige Gerichtsprozesse –, erleben nun einen erneuten Dämpfer ihrer Hoffnungen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
BSW-Anfrage zu Renten
16 Millionen Arbeitnehmern droht Rente unter 1.200 Euro
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Psychiater über Kinder und Mediennutzung
„Die Dinos bleiben schon lange im Schrank“