Streit um EU-Spitzenposten: Machtkämpfe, frei vom Wählerwillen
In Brüssel geht das Geschachere um das Trio aus Parlaments-, Rats- und Kommissionspräsidentschaft los. Die EVP macht einen haltlosen Vorschlag.
D ie Europawahl hat die Regierungen in Frankreich, Deutschland und Österreich erschüttert – doch in der Europäischen Union soll alles weitergehen wie bisher. Das war zumindest der Plan, als sich Bundeskanzler Olaf Scholz und die anderen Staats- und Regierungschefs am Montagabend zu einem EU-Sondergipfel in Brüssel trafen.
Sie wollten Ursula von der Leyen schnell mal eben als Kommissionspräsidentin bestätigen und gleich noch ein paar andere wichtige Jobs vergeben – völlig losgelöst vom Wahlergebnis: Eine Stelle für die Konservativen, eine für die Sozialdemokraten und noch eine für die Liberalen – so ist es bisher immer gelaufen.
Zum Glück ist dieser Plan gescheitert. Denn diese Aufteilung der Macht entspricht nicht mehr dem Wählerwillen. Die EU ist nach rechts gerückt, vor allem Grüne und Liberale wurden abgestraft. Auch von der Leyen hat nicht überzeugt; die meisten Deutschen sind laut Umfragen gegen eine zweite Amtszeit der CDU-Politikerin.
Alle Posten für die EVP?
Doch der Streit entbrannte nicht etwa an von der Leyen, ihren Affären und ihrem Flirt mit den italienischen Postfaschisten. Scholz hat sich sogar ausdrücklich hinter sie gestellt, wie viele andere Staats- und Regierungschefs auch.
Zum Stolperstein wurde die konservative Europäische Volkspartei EVP, in der auch CDU und CSU vertreten sind. Die hat nämlich gänzlich anderes vor als Olaf Scholz. Sie fordert mehr Macht und möchte künftig auch den Posten des EU-Ratspräsidenten besetzen, zumindest zeitweise. Die Kommissionschefin (von der Leyen) und die Parlamentspräsidentin (Roberta Metsola) stellt sie schon.
Wenn sich die EVP durchsetzt, würden in wenigen Jahren alle drei wichtigen EU-Institutionen von Konservativen und Christdemokraten geführt. Damit würde das Wahlergebnis endgültig auf den Kopf gestellt. Die EVP hat zwar leicht dazugewonnen, aber längst keinen Erdrutschsieg erzielt.
Scholz und andere Sozialdemokraten haben daher gut daran getan, sich diesem Ansinnen in den Weg zu stellen. Es gibt keinen vernünftigen Grund dafür, dass die EU künftig nur noch von einer Partei regiert wird. Es gibt aber auch keinen Grund, das Fell einfach wie bisher unter den drei großen proeuropäischen Familien aufzuteilen.
Gefragt ist ein „New Deal“, der dem Wunsch der 27 EU-Staaten, aber auch dem Wählerwillen gerecht wird. Doch bisher spricht wenig dafür, dass dieser tatsächlich berücksichtigt wird. Statt nach den Ursachen des Rechtsrucks und des Wahlbebens zu fragen, geht es den EU-Chefs wieder einmal nur um Macht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld