Streit um EU-Personalie: Das Juncker-System wackelt
Der EU-Kommissionschef soll bei der Ernennung seines neuen Generalsekretärs getrickst haben. Nun kommt es zum Showdown im Europaparlament.
Nun könnte genau das passieren – am Dienstag sitzen die Abgeordneten über Selmayr und Juncker zu Gericht. Bei einer Tagung des Haushaltskontroll-Ausschusses in Brüssel wollen die EU-Parlamentarier klären, ob bei der umstrittenen Beförderung Selmayrs alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Sie haben einen Katalog mit 139 Fragen vorgelegt, die Kommission hat auf 80 Seiten geantwortet.
Doch bei der brisanten Anhörung geht es längst nicht mehr nur um Selmayr. Es geht um das „System Juncker“, das der Kommissionschef und sein deutscher Gehilfe in der Brüsseler Behörde aufgebaut haben. Von Machtmissbrauch ist die Rede – und davon, dass Juncker das Parlament missachte. Dabei war der konservative Politiker 2014 von den EU-Abgeordneten mit großer Mehrheit gewählt worden.
Jetzt genießt Juncker nicht einmal mehr das volle Vertrauen seiner Parteifreunde von der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP). Bei einer Sitzung des EVP-Präsidiums in der vergangenen Woche ging nicht nur Parlamentspräsident Antonio Tajani auf Distanz. Auch EVP-Fraktionschef Manfred Weber (CSU) soll sich kritisch geäußert haben – genau wie mehrere CDU-Politiker.
„Wenn er geht, gehe ich auch“
Sie stoßen sich an der Art und Weise, wie Selmayr ins mächtigste Amt der mehr als 30.000 Mitarbeiter starken Brüsseler Behörde befördert wurde. Doch Juncker hält an seiner Entscheidung fest. „Wenn er geht, gehe ich auch“, sagte er bei einem Treffen der Staats- und Regierungschefs der EVP vergangene Woche in Brüssel.
EVP-Vorturner Weber ruderte zurück; Juncker habe das Recht, sich „seinen“ Generalsekretär selbst auszusuchen. Zudem stellte sich die EVP, unterstützt von Sozialdemokraten und Liberalen, gegen einen Antrag der Grünen, Juncker persönlich ins Parlament vorzuladen.
Stattdessen muss nun der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger den Kopf hinhalten. Der CDU-Politiker ist neben dem EU-Haushalt auch für die Personalpolitik zuständig. Oettinger hatte Juncker und Selmayr schon in der ersten Anhörung vor zwei Wochen verteidigt. Bei Selmayrs Beförderung seien alle Regeln eingehalten worden, behauptete er. Dabei hatte er in Interviews eingeräumt, selbst erst in letzter Minute eingeweiht worden zu sein.
Diesen und andere Widersprüche wollen die Europaabgeordneten nun aufklären. Dabei stoßen sie schon im Vorfeld auf ein Problem: Die EU-Kommission will nicht alle Dokumente herausrücken. So werden die Bewerbungsschreiben Selmayrs und einer weiteren Kandidatin unter Verschluss gehalten – zum Schutz der Privatsphäre, wie es in der Vorlage der Kommission heißt.
Riecht nach abgekartetem Spiel
Wenn es dabei bleiben sollte, können die Abgeordneten nicht nachvollziehen, wer sich wann um welches Amt beworben hat – und warum es in letzter Minute noch Rückzieher gab. So soll sich Selmayr nach übereinstimmenden Berichten zunächst nur um das Amt des stellvertretenden Generalsekretärs beworben haben. Erst danach habe Juncker bekannt gegeben, dass der Amtsinhaber Alexander Italianer seinen Hut nimmt – und Selmayr kurzerhand zu dessen Nachfolger ernannt.
Das riecht nach abgekartetem Spiel. Denn vor der Presse hat Juncker eingeräumt, dass er schon seit Jahren von der Absicht Italianers wusste, den Posten des Generalsekretärs zu räumen.
Dies dürfte auch Selmayr nicht entgangen sein, der als Kabinettschef in alle Geschäfte (und Gedanken) Junckers eingeweiht war. „Ohne Selmayr ist Juncker hilflos“, wird Oettinger im Spiegel zitiert. Dies dürfte ein Grund sein, weshalb er sich an ihn klammert.
Allerdings hat der Kommissionschef noch andere mächtige Verbündete, vor allem in der CDU. So stützt er sich auf den CDU-Europaabgeordneten und ehemaligen Bertelsmann-Lobbyisten Elmar Brok, der jede Kritik an Selmayr als „antideutsch“ zurückweist. Auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) steht hinter ihm. Beim EU-Gipfel am Freitag lobte sie Selmayrs „effiziente Arbeit“. Demgegenüber forderte Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron, den Vorwürfen gegen Juncker und Selmayr nachzugehen. Die Affäre dürfe nicht „erstickt“ werden, so Macron, das Europaparlament müsse das letzte Wort haben.
Der Titel dieses Artikels wurde am 27. März auf Bitte des Autors geändert. Zuvor lautete die Schlagzeile unzutreffenderweise „Das Ende des Juncker-Systems naht“.
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