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Streit um Corona-ImpfstoffeUnion der 27 Impfdrängler

Beim EU-Gipfel hat der Streit um die Verteilung der knappen Impfstoffe alle anderen Themen überschattet. Jetzt soll eine Ausfuhrkontrolle kommen.

Sebastian Kurz moniert, dass Österreich bei der Verteilung der Impfstoffe benachteiligt wird Foto: Leonhard Foeger/reuters

Brüssel taz | Der Streit um die knappen Corona-Impfstoffe in der Europäischen Union weitet sich aus. Die 27 Staats- und Regierungschefs der EU haben bei ihrem Videogipfel am Donnerstag grünes Licht für schärfere Exportkontrollen gegeben, was die Spannungen mit Großbritannien und dem britisch-schwedischen Pharmakonzern AstraZeneca anheizt. In London spricht man bereits von einem „Impfkrieg“. Außerdem gibt es Ärger um die EU-interne Verteilung der Vakzine.

Bei dem virtuellen Gipfeltreffen bestand Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz auf einem Korrekturmechanismus für die Impfstoff-Zuteilung. Wenn es keine Lösung gebe, könne das einen Schaden für die EU nach sich ziehen, „wie wir es schon lange nicht erlebt haben“, warnte der konservative Politiker. Österreich und fünf weitere EU-Staaten hatten zuvor eine ungleiche Verteilung der Impfstoffe beklagt.

Statt wie vereinbart „pro rata“, also im Verhältnis zur Bevölkerungszahl eines jeden Landes, seien die Vakzine ungleichmäßig verteilt worden, kritisieren neben Österreich auch Tschechien, Bulgarien, Lettland und Kroatien. Kurz hatte zunächst sogar von einem „Basar“ gesprochen, auf dem die Mitgliedstaaten um die begehrten Impfstoffe feilschten – und wovon am Ende vor allem Deutschland profitiere.

Der Streit überschattete die Beratungen am Donnerstagabend, bei denen es auch um die Türkei und Russland sowie um die Zusammenarbeit mit den USA ging. Kanzlerin Angela Merkel weigerte sich, auf die Wünsche von Kurz einzugehen. Auch die meisten anderen EU-Länder sperrten sich gegen eine Neuverteilung. Der Österreicher habe sich „verzockt“, sagte ein EU-Diplomat entnervt.

Merkel: Exportbeschränkungen künftig „wahrscheinlicher“

Doch das Problem ist nicht ausgestanden. Die Gipfel-Runde beauftragte schließlich die Botschafter der EU-Staaten in Brüssel, eine „faire Lösung im Rahmen der Solidarität“ zu finden. „Das ist natürlich eine relativ komplizierte Aufgabe, so was wie die Quadratur des Kreises“, kommentierte Merkel diesen Kompromiss. Die nun anstehenden Verhandlungen dürften schwierig werden.

Es geht um 10 Millionen Impfdosen, die die EU aus einer vorgezogenen Lieferung von Biontech/Pfizer erwartet. Damit sollen die angeblich zu kurz gekommenen Länder entschädigt werden. „Durch die 10 Millionen zusätzlichen Impfdosen soll eine gerechtere Auslieferung der Impfstoffe im 2. Quartal erreicht werden“, so Kurz. Er hofft auf bis zu 400.000 zusätzliche Dosen für sein Land.

Auch der Streit mit Großbritannien um Impfstoffe von AstraZeneca schwelt weiter. Die Staats- und Regierungschefs stellten sich hinter die von der EU-Kommission vorgeschlagene verschärfte Ausfuhrkontrolle. Merkel sagte, Exportbeschränkungen würden künftig „wahrscheinlicher“, wenn Unternehmen ihre Verträge nicht einhielten. Zudem werde man genauer darauf schauen, wie hoch die Impfrate in einem Land sei, das in der EU produzierte Impfstoffe erhalten soll.

Damit geraten auch erfolgreiche Länder wie Israel oder Serbien ins Visier der EU-Kommission. Behördenchefin Ursula von der Leyen verwies darauf, das die EU bisher 70 Millionen Impfdosen in mehr als 30 Länder geliefert habe. Die USA und Großbritannien hätten dagegen keine Impfdosen exportiert. Auffällig ist, dass die EU nun ihren Druck auf London erhöht, Washington aber verschont.

Die Staats- und Regierungschefs begrüßten US-Präsident Joe Biden, der aus dem Weißen Haus zu dem Videogipfel hinzugeschaltet wurde. Dass Biden mit der EU spreche, sei eine wichtige Geste, sagte Merkel. Sie setze auf eine bessere transatlantische Zusammenarbeit, auch wenn man sich nicht in allen Themen einig sei. Über die „America first“-Politik bei den Impfstoffen verlor sie kein Wort.

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3 Kommentare

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  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    """Auch der Streit mit Großbritannien um Impfstoffe von AstraZeneca schwelt weiter. Die Staats- und Regierungschefs stellten sich hinter die von der EU-Kommission vorgeschlagene verschärfte Ausfuhrkontrolle. Merkel sagte, Exportbeschränkungen würden künftig „wahrscheinlicher“........""

    ====

    Produzierte Impfdosen EU :



    für den Export = 42% = 46 Mill. Dosen



    für Impfungen in der EU - verbraucht:



    58% = 64 Mill. Dosen

    ======

    Produzierte Impfdosen UK



    für den Export = 0 % = 0 Dosen



    für Impfungen im UK - verbraucht:



    100% = 16 Mill. Dosen

    geimpfte Personen in UK mit Erstimpfung = 25 Mill.

    geimpfte Personen in UK mit Zweitimpfung = 2,5 Mill.

    UK Importe an Impfdosen aus der EU:



    mindestens 10 Millionen Dosen.

    Brexit means Brexit:



    Nichts beschreibt den Grad der Abhängigkeit Großbritanniens und den background der seltsamen Dreiecksgeschichte - AstraZeneca - England - Europäische Union besser als die nackten Zahlen englischer Impfimporte aus der EU -- und den Umgang damit, indem AstraZeneca vergisst europäische Verträge zu erfüllen.

    Short and simple:



    Bei einem derzeitigen Stand von 150.000 Coronatoten in Großbritannien (Quelle Guardian)



    (Einwohner: 65 Millionen) wäre Großbritannien heute ohne die Impfstofflieferungen aus der EU



    den brasilianischen Verhältnissen zumindest sehr nahe gekommen.

    note:



    Großbritannien hatte es frühzeitig Mitte des Jahres 2020 abgelehnt mit der Europäischen Union eine Impfstoffallianz einzugehen.

    Gleichzeitig wird sich diese Abhängigkeit weiter verschärfen:



    Großbritannien plant im September einen dritten Impfdurchgang nach zwei erfolgten Impfungen pro Person zu einem Zeitpunkt, wo der europäische Bedarf an Impfmitteln gegen den Wildtyp von Covid 19 nahezu befriedigt sein wird - und die Entscheidung ansteht wie weiter geimpft werden wird.

    Großbritannien steht also jetzt schon (Brexit means Brexit) wieder an der Tür der EU und schart schon mal mit den Füssen.

  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    Part II



    Die EU hätte im vergangenen Frühjahr auf Gipfelebene eine Entscheidung treffen sollen, eine zentralisierte Kommandostruktur einzurichten, um eine gemeinsame Pandemie-Reaktion voran zutreiben, bei der Gesundheitsbehörden und Militärs aus allen Mitgliedstaaten und der Kommission unter Einbeziehung der NATO zusammen arbeiten.

    Das daran niemand gedacht hat kann man der EU sehr wohl vorwerfen.

  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    Alle diejenigen, welche die EU wegen ihres angeblichen Versagens aus dem Abseits heraus beschimpfen, müssen sich nun dem Kontrafaktischen stellen. Was wäre gewesen, wenn sich die EU nicht engagiert hätte?

    Der unpassende Streit zwischen Österreich und anderen Mitgliedstaaten auf dem Gipfeltreffen gibt einen Einblick in die Verhältnisse, wie sie sich entwickelt hätten, wenn jeder Mitgliedstaat einen Ansatz für sich allein gewählt hätte.

    Österreich setzte während der EU Verhandlungen mit den EU Mitgliedstaaten im vergangenen Jahr stark auf den billigeren AZ-Impfstoff.

    Als aber BioNTech vor zwei Wochen 10 Millionen Notfalldosen zur Verfügung stellte, sagte Österreich, dass es aber nun mehr als seine anteilige Zuteilung erhalten sollte, da es durch den AstraZeneca-Betrug überproportional geschädigt war.

    Österreichs Bundeskanzler Kurtz forderte, dass seine Bedürfnisse von den EU-Staats- und Regierungschefs auf dem Gipfel befriedigt werden sollten. Kurz stellte jedoch verärgert fest, dass andere Länder - Lettland, Bulgarien und Kroatien - tatsächlich mehr zusätzliche Dosen nach dem Verteilungsschlüssel verdienten.

    "Wenn 27 Mitgliedstaaten unabhängig mit Pharmaunternehmen verhandelt hätten, wäre die Hölle los gewesen", erklärte ein Kommissionsmitglied. "Man kann sich den Rosenkrieg nur vorstellen. Der gemeinsame Beschaffungsansatz bedeutete nicht nur, dass die Mitgliedstaaten den günstigsten Preis erhielten. Einige Mitgliedstaaten könnten sich keine großen Mengen an Impfstoffen leisten. Und wenn Polen, die Tschechische Republik und Bulgarien nicht geimpft werden können, macht es überhaupt keinen Sinn, dass in Deutschland geimpft wird."







    Beschaffung/Verteilung von Impfstoffen ist Teil des Biosicherheitsschutzes. Der Verteidigungssektor ist es gewohnt, unter Druck schnelle Entscheidungen zu treffen und eng mit dem Privatsektor zusammen zu arbeiten. Die EU hätte im vergangenen Frühjahr auf Gipfelebene eine Entscheidung treffen sollen, eine zentralisierte Kommandost