piwik no script img

Streit über höhere BenzinpreiseTiefergelegter Verstand

Manfred Kriener
Gastkommentar von Manfred Kriener und Helmut Holzapfel

Der geschröpfte kleine Autofahrer ist wieder da. Doch wissenschaftliche Daten belegen: Von billigem Sprit profitieren vor allem Reiche.

Eine verkehrspolitische Fata Morgana: Gutverdiener pendeln auf doppelt so langen Strecken Foto: Imago

B eim Auto hört der Spaß auf. Das war bei den Deutschen schon immer so. Bleifuß, Benzin im Blut und tiefergelegter Verstand bei Tempo 180. Aber stimmt das überhaupt noch?

Empfohlener externer Inhalt

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen:

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Nein, es stimmt immer weniger. Die Liebe zum „Wagen aus Eisen mit vier Rädern, die viel schneller laufen als jemals ein Pferd“ (der chinesische Mandarin Kao-tai) ist erloschen. Weniger Führerscheine, weniger Autobesitz, weniger PS-Neurosen – das ist bei den Jüngeren unübersehbar. Der fossile Automobilismus hat mit Stau, Gestank und Klimakrise, mit Flächenfressen und Stadtzerstören seine Reize verloren, der Lack ist ab. Es gibt neue, andere Lifestyle-Produkte, auch das Fahrrad ist eines.

In der Politik ist das noch nicht angekommen. Für Union, SPD, FDP und offenbar sogar für die Linke gilt das alte Narrativ. Das Auto ist die glitzernde Wunschmaschine und der Autofahrer ein unter Naturschutz stehender Akteur, der vor dem Umweltzirkus grüner Latzhosenbrigaden beschützt werden muss.

Der groteske Streit um die Benzinpreise bestätigt die alte libidinöse Bindung zwischen Politik und Autofahrern und Autoindustrie. Kaum hat Annalena Baerbock ihre Hochrechnung von 16 Cent Spritpreiserhöhung durch die – von der Bundesregierung – eingeführte CO2-Bepreisung ausgesprochen, stacheln die Autoparteien reflexartig die Benzinwut an.

Sie lassen den prototypischen Fabrikarbeiter mit dem mühsam abbezahlten VW Polo wie Kai aus der Kiste auferstehen: Der von steigenden Benzinpreisen geprügelte Familienvater wohnt mit vier Kindern draußen auf dem Land und quält sich täglich im Kleinwagen durch die Staus zur Arbeit, wo er am Fließband Schrauben dreht und abends erschöpft nach Hause fährt, um dort den Cent umzudrehen. Deshalb: Billiger Sprit um jeden Preis.

Eine verkehrspolitische Fata Morgana

Doch diese Figur ist ein nach Belieben instrumentalisiertes Phantom, eine verkehrspolitische Fata Morgana. Die automobile Wirklichkeit sieht anders aus. Die von Verkehrswissenschaftlern erhobenen Daten belegen eindrucksvoll, dass nicht die kleinen Leute, auch nicht die Frauen, sondern vor allem einkommensstarke Männer von niedrigen Spritpreisen und Pendlerpauschale profitieren.

Manfred Kriener

ist ehemaliger taz-Redakteur und Umweltjournalist in Berlin.

Gutverdiener wie Manager und Ingenieure pendeln auf doppelt so langen Strecken wie Menschen mit einfacher beruflicher Tätigkeit. Die externen Kosten des Autos und sogar die Subventionen zahlen dagegen diejenigen, die gar kein Auto haben. Die gibt es! Selbst am Audi-Standort Ingolstadt besitzen nur 48 von 100 Menschen ein Auto.

Und es zahlen auch die, die wenig fahren: Frauen, Alte, ärmere Bevölkerungsschichten. Männer fahren sehr viel längere Distanzen und fahren generell mehr Auto. Alte und Arbeitslose fahren weniger. Wer wenig verdient und damit auch wenig oder keine Steuern zahlt, profitiert kaum oder gar nicht vom Steuerabzug durch die Pendlerpauschale.

Die Pendlerpauschale nutzt Reichen

Die weiten Strecken fahren nicht die Armen, sondern die Reichen, die heftig vom Staat auf Kosten der anderen für jeden Kilometer steuerlich erheblich subventioniert werden. Das Wunderbare an der Sache ist nun, dass bei steigenden Benzinpreisen die Politik wegen der Ärmeren interveniert, gerne gesehen von den Begüterten und Subventionierten, die sofort noch mehr Subventionen einfordern. Genannt wird dieser Irrsinn „soziale Gerechtigkeit“.

Bild: privat
Helmut Holzapfel

ist Verkehrswissenschaftler, Leiter des Zentrums für Mobilitätskultur Kassel und Autor des Buches „Urbanismus und Verkehr“ (Springer Verlag 2012).

Umweltpolitisch ist es das Phänomen „linke Tasche, rechte Tasche“. Der CO2-Preis macht die Klimakiller teurer, um sie zurückzudrängen und die Klimaziele zu erreichen. Die Entfernungspauschale und billiges Benzin bewirken das Gegenteil, sie sind verkehrstreibend und belohnen lange Fahrten. Dass diese Subventionen auch noch unsozial sind, haben offenbar nur die Grünen bemerkt, die allerdings unter dem Trommelfeuer der letzten Tage defensiv agieren, wie der Parteitag zeigte.

Dass selbst die Automobilindustrie und IG Metall ein Stück weiter sind, scheint die Politik kaum wahrzunehmen. Daimler-Konzernchef Ola Källenius steht „ganz persönlich hinter dem CO2-Preis“, er lobt die Fahrradstadt Kopenhagen und erklärt mit Blick auf den Kapitalmarkt: „Wenn du keinen glaubwürdigen Weg Richtung Klimaneutralität hast, wird (er) dir in Zukunft kein Geld zur Verfügung stellen.“

Noch drastischer argumentiert der Kasseler VW-Betriebsratschef Carsten Bätzold: „Es geht letztlich um die Grundsatzfrage, ob es so viele Autos braucht. Geht es darum, das Klima zu schützen oder das Geschäftsmodell der Autoindustrie weiter voranzutreiben?“ Mit der aktuellen Verkehrsdichte Europas und der USA „werden wir den Planeten nicht retten; dann können wir den Laden zumachen“. Das ist eine andere verkehrspolitische Tonlage.

Jenseits der Windschutzscheibe

Aber: In Umfragen sprechen sich doch 75 Prozent der Deutschen gegen höhere Benzinpreise aus. Ja, aber sie hätten auch gegen höhere Preise für Busse und Bahnen gestimmt. Man hätte sie auch fragen können, ob das Auto weiter subventioniert oder ob der Benzinpreis irgendwann die ökologische Wahrheit sagen soll?

Der Streit zeigt, wie wenig Faktenwissen in der Klimapolitik vorhanden ist. Die Solidarität aus den Anfängen der Coronapandemie ist bei der viel größeren Herausforderung der Klimakrise sowieso wieder verschwunden. Das gipfelt in der Forderung von Verkehrsminister Scheuer nach CO2-Preis-Bremsen und gemeinsamen Erklärungen mit Olaf Scholz gegen hohe Benzinpreise in der Bild-Zeitung. Ungeniert wettern SPD und Union gegen ihre eigenen Beschlüsse, unterstützt von Tankstellenwächtern der Linken, die bei der Gelegenheit nicht mal günstige Preise für öffentliche Verkehre fordern.

Die Wahrheit ist: Eine ökologisch orientierte Klima- und Verkehrspolitik und jede neue Autobahn weniger ist nicht nur ein ökologischer, sondern auch ein erheblicher sozialer Gewinn, insbesondere durch bessere Lebensverhältnisse. Um das zu sehen, muss man freilich die Windschutzscheibenperspektive für einen Moment verlassen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    Da werden riesige Summen für die selbstfahrenden Autos investiert. Der Sinn hat sich mir bis heute nicht erschlossen.



    OK, man will die Jobs von LKW-Fahrern einsparen abe dafür der ganze Aufwand?



    Der real existierende Kollaps auf den Autobahnen bekommt man damit auch nicht weg.

  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    Hätten die Autofirmen nicht massiv bei den Abgaswerten betrogen, hätten wir heute eine etwas andere Diskussion.



    Aber wer mit der Politik in einem Bett liegt, kann sich alles erlauben.

  • Parteien, die einen Mindestlohn zwischen 12 und 13 € Ablehnen, brauchen keine Krokodilstränen wegen einer Belastung von Geringverdienern zu vergießen. Sie sind schuld daran, dass es bei vielen nicht reicht.

    Mit diesem höheren Mindestlohn könnte man sich die Zusatzfahrten und den Verwaltungsaufwand fürs Aufstocken sparen, und hätte Möglichkeiten energiesparend zu investieren.

    Diese vorgebliche Sorge um den kleinen Mann ist pure Heuchelei

  • "Für Union, SPD, FDP und offenbar sogar für die Linke gilt das alte Narrativ."

    Es ist nicht nur "offenbar" ein Narrativ der Linkspartei. Es ist seit Jahren en dortiger Standpunkt. Es ist Populismus, der entgegen der Fakten mit den angeblich asozialen Plänen der Grünen Punkte machen will für die Wahl. Schäbiges Verhalten das.

  • "Wer wenig verdient und damit auch wenig oder keine Steuern zahlt, profitiert kaum oder gar nicht vom Steuerabzug durch die Pendlerpauschale."

    Ja klar. Wer keine Krankenversicherungsbeiträge zahlen muss profitiert auch nicht, wenn diese sinken oder durch Boniprogramme teilweise rückerstattet werden. Aber profitiert von den Beiträgen derer, die welche zahlen.

    "Der geschröpfte kleine Autofahrer ist wieder da. Doch wissenschaftliche Daten belegen: Von billigem Sprit profitieren vor allem Reiche."

    Ich finde es immer richtig zuerst einmal auf sich selbst zu schauen und weniger auf andere. Denn der Blick nach rechts oder links hilft dem "geschröpften kleinen Autofahrer" sicher wenig, wenn er sich ausrechnet, wie viel teurer ihn das Autofahren zukünftig kommen wird.



    Absolut verständlich wenn man darüber nicht erfreut ist und auch seine Entscheidung an der Wahlurne von solchen Faktoren mit abhängig macht.

    Wenn ich ausrechne, dass mich das Autofahren ab Monat X einen Betrag Y monatlich mehr kosten wird, dann ist es mir persönlich völlig egal, ob das meinen Nachbarn, der viel weiter, oder weniger oder gar nicht pendelt prozentual in gleichem, niedrigerem oder höherem Umfang trifft.



    Denn das ändert rein gar nichts an meiner Situation.

    • @Schwarmgeist:

      Die Frage darf aber schon erlaubt sein, ob es SPD und CDU um Ihre Situation geht. Und ob die Politik von CDU und SPD irgendetwas an Ihrer Situation zum Positiven ändert.



      Kleinverdiener ohne Haus im Grünen und Webergrill dürften diese Frage sehr schnell beantworten: Nein.



      Leider stößt kaum eine andere Partei mit irgendwelchen substanziellen Vorschlägen in diese Lücke.

      • @Libuzzi:

        Da liegen Sie ganz richtig.

        Daher gilt es die Programme der Parteien, die zur Bundestagswahl antreten, sehr genau unter die Lupe zu nehmen und nach Abwägung der persönlichen Prioritäten eine Entscheidung zu treffen.

        Dass diese immer auch bedeutet Kompromisse einzugehen ist selbstverständlich.

        Aber das traue ich mir schon zu.

      • 1G
        17900 (Profil gelöscht)
        @Libuzzi:

        Durchwurschteln bis zum bitteren Ende!