Streit über Schonung für SS-Mann: Gnadenrecht mit Veto
SS-Mann Oskar Gröning hat in Niedersachsen ein Gnadengesuch eingereicht. NebenklägerInnen werden nicht gehört. Die Grünen wollen das ändern.
Der heute 96-jährige Gröning wurde im Juli 2015 vom Landgericht Lüneburg wegen Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen im Vernichtungslager Auschwitz zu einer Haftstrafe von vier Jahren verurteilt. Sein Anwalt legte Revision vor dem Bundesgerichtshof ein. Dieser bestätigte das Urteil des Landesgerichts im September 2016, welches damit Rechtskraft erlangte.
Ein Antrag auf Haftaufschub wurde zuletzt im Dezember 2017 vom Bundesverfassungsgericht abgelehnt. Das Gericht sah keine schwere Gesundheitsgefährdung. Das hohe Alter allein reiche nicht aus, um von der Durchsetzung der Strafe abzusehen.
Damit ist der Rechtsweg ausgeschöpft. Die einzige Möglichkeit, der Haft zu entgehen, ist daher das Gnadenersuchen. Dieses wurde im Januar von der Staatsanwaltschaft Lüneburg bereits abgelehnt. Als letzte Möglichkeit bleibt Gröning das Gnadengesuch an Justizministerin Havliza.
Im Prozess ließ Gröning durch seinen Verteidiger erklären, dass er durch seine Tätigkeit in der Häftlingsgeldverwaltung zum Funktionieren des Konzentrationslagers Auschwitz beigetragen und sich damit am Holocaust mitschuldig gemacht habe.
Offenheit hervorgehoben
Das Landesgericht Lüneburg hob die Offenheit Grönings in der Urteilsbegründung hervor. Diese hebe ihn deutlich von anderen SS-Männern ab, die ihre Taten verschwiegen, bestritten oder beschönigt hätten.
Neben Gröning spielten im Prozess jedoch auch die über 60 zugelassenen NebenklägerInnen eine wichtige Rolle. Sie waren unter anderem aus Kanada und den USA nach Niedersachsen gekommen. „Sie sind teils im hohen Alter angereist, haben hohe Belastungen auf sich genommen und damit der deutschen Justiz einen wichtigen Dienst erwiesen“, sagt Helge Limburg, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen und ihr Sprecher für Rechtsfragen.
Bei einem Gnadengesuch werden die NebenklägerInnen jedoch nicht mehr angehört, dies ist in der Gnadenordnung nicht vorgesehen. „Sonst haben NebenklägerInnen starke Rechte. Es ist inkonsequent, dass sie bei Gnadengesuchen außen vorgelassen werden“, findet Limburg.
Grüne wollen Nebenkläger stärken
Um die Rechte der NebenklägerInnen zu stärken, wollen die Grünen nun mit Blick auf den Fall Gröning eine Änderung der niedersächsischen Gnadenordnung des Landes erreichen. Der entsprechende Entschließungsantrag muss noch im Landtag eingebracht werden.
In der Gnadenordnung wird aufgeführt, welche Stellen bei einer Gnadenentscheidung zwingend anzuhören sind und welche Stellen angehört werden können – etwa Bewährungshelfer oder bei Jugendstrafsachen das Jugendamt.
NebenklägerInnen sind nicht aufgeführt. Dies wollen die Grünen ändern. „Dass verschiedene Stellen angehört werden, ist bereits ein gängiges Verfahren. Die Gnadenordnung um eine Anhörung der NebenklägerInnen zu erweitern wäre nicht schwierig“, sagt Limburg. „Klar ist natürlich, dass die Entscheidung über das Gesuch bei der Justizministerin verbleiben muss. Diese muss keine der Stellungnahmen in ihre Entscheidung einbeziehen.“
„Mit Blick auf eine Stärkung der Opferrechte könnte der Vorschlag sinnvoll sein“, sagt Ulf Prange, Sprecher für Rechtsfragen der SPD-Fraktion. Insgesamt sei aber sichergestellt, dass sich die Person, die die Entscheidung fälle – in diesem Fall die Justizministerin – ein umfassendes Bild von dem Fall mache.
Keine Auswirkung auf Grönings Gesuch
Auch der rechtspolitische Sprecher der FDP, Marco Genthe, begrüßt den Vorschlag der Grünen: „Es macht durchaus Sinn, auch die Nebenkläger bei Gnadengesuchen anzuhören.“ Eine Stärkung der Opferrechte begrüßt auch der Fraktionsvorsitzende der CDU, Dirk Toepffer. Zum Antrag der Grünen werde man sich aber erst nach der Beratung im Rechtsausschuss äußern.
Auswirkungen auf Grönings Gesuch hätte eine Änderung der Gnadenordnung voraussichtlich nicht, denn Grünen-Antrag wird wohl erst im April verhandelt werden. „Ein solcher Fall kann sich aber bald wiederholen“, sagt Limburg. In Niedersachsen gebe es derzeit zwei Ermittlungsverfahren wegen mutmaßlicher NS-Kriegsverbrechen.
„Auch sind die Stasi-Akten noch nicht komplett ausgewertet. Hier sind ebenfalls Fälle denkbar, wo nach vielen Jahren ältere Menschen vor Gericht gestellt werden“, sagt Limburg. Dabei habe die Möglichkeit einer Stellungnahme der Nebenklage bei einem Gnadengesuch ebenso Relevanz. „Der Antrag wird nicht viel ändern, aber das Signal ist wichtig.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Antisemitismus in Berlin
Höchststand gemessen
Unterbringung und Versorgung
Geflüchtetenaufnahme belastet Kommunen weiterhin deutlich