piwik no script img

Streit der WocheIst das Arbeitsrecht zu pingelig?

Der Maultaschen-Fall geht in die zweite Runde, das Emmely-Verfahren wird neu aufgerollt. Bagatell-Kündigungen häufen sich trotzdem weiter. Ist das Arbeitsrecht zu pingelig?

Das baden-württembergische Landesarbeitsgericht beschäftigt sich am 30. März mit einer Kündigung wegen sechs entwendeten Maultauschen. Bild: dpa

Die Gerichtsprozesse um Bagatellkündigungen gehen in die zweite Runde. Das baden-württembergische Landesarbeitsgericht beschäftigt sich am 30. März mit der Kündigung einer Konstanzer Altenpflegerin, die sechs Maultaschen aus der Verpflegung des Seniorenheims entwendet hat. In erster Instanz war die Kündigung für rechtens erklärt worden, worauf die 58-Jährige Berufung eingelegt hatte. Mit dem Emmely-Verfahren befasst sich das Bundesarbeitsgericht (BAG) am 10. Juni. Die Berliner Kassiererin wurde fristlos entlassen, weil sie Pfandbons im Wert von 1,30 Euro gefunden und eingelöst hatte.

Seit Monaten häufen sich rechtskräftige Kündigungen, deren Ursachen banal sind. In Nordrhein-Westfalen wurde einer Sekretärin nach 35 Jahren Betriebszugehörigkeit mit der Begründung gekündigt, sie habe zwei halbe Brötchen und eine Frikadelle vom Buffet gegessen. In Schleswig-Holstein wurde eine Reinigungskraft entlassen, weil sie Pfandflaschen von ihrem Arbeitsplatz mitgenommen hatte, die zumindest teilweise im Müll lagen.

Nachdem Bagatellkündigungen in die öffentliche Kritik geraten sind, hat die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts Ingrid Schmidt bisherige Gerichtsurteile in Schutz genommen. Sie wies darauf hin, dass jeder Diebstahl das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer verletze. „Wo genau ist denn die Grenze zur Bagatelle?“, fragte sie. Wolfgang Neskovic, rechtspolitischer Sprecher der Linken, verurteilte die „trotzige Uneinsichtigkeit“ der BAG-Präsidentin. Ein Gesetzentwurf der Linken sieht eine Kündigung erst im Wiederholungsfall vor, sofern es sich um Diebstahl, Unterschlagung oder Zerstörung „geringwertiger Gegenstände“ handelt.

Auch die SPD-Bundestagssfraktion legte vergangenen Monat einen Gesetzentwurf vor. Danach soll eine Abmahnung erforderlich sein, bevor eine Bagatellkündigung wirksam gemacht werden kann. Die schwarz-gelbe Koalition lehnt einen solchen Antrag jedoch ab. Johannes Vogel, arbeitsmarktpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, warf der SPD „reine Schaufensterpolitik“ vor.

Was meinen Sie: Maultaschen & Co – Ist das Arbeitsrecht zu pingelig?

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

25 Kommentare

 / 
  • BL
    Berthild Lorenz

    Welches Interesse verfolgt ein Mensch, der über Jahre hinweg Frikadellen einfach mitnimmt?

    Welches Interesse verfolgt ein sogenannter Arbeitgeber - tolles Wort, denkt mal drüber nach! - wenn er es über Jahr hinweg nicht "weiß"?

     

    RÄCHT - was ist das?

    Hat das vielleicht ganz einfach nur was mit einem legalen RACHEnehmen zu tun?

  • N
    Nordwind

    Tja, wenn man diese Kündigungen wegen Lapalien in die richtige Relation setzt kann man unser Arbeitsrecht durchaus als pingelig bezeichnen.

     

    Beispiel:

     

    Emely klaut Pfandbons im Wert von 1 Euro nochwas. Und wird entlassen. Dies kann sich durchaus existenzbedrohend auswirken.

     

    Der schwerstkriminelle Peter Hartz (Veruntreuung in 44 Fällen) wird zwar verurteilt und entlassen kann sich aber in der Zurückgezogenheit seiner Villa enspannt die Nüsse trocknen. Nach ein paar Jahren betreibt er dann sein Comback mit einem erneuten menschenverachtenden Konzept.

     

    siehe dazu im Freitag:

     

    Die Rassenhygiene des Kriminellen Peter Hartz

     

    http://www.freitag.de/community/blogs/margareth-gorges/die-rassenhygiene-des-kriminellen-peter-hartz

  • C
    chris

    @ erich m.:

     

    Bitte lesen sie Marx nochmal und versuchen sie ihn dieses mal zu verstehen. Viel Glück!

  • C
    claudia

    @heikemai:

    >>Dass z. Bsp. eine taffe 1A Sekretärin allein wegen des Zugriffes auf das kalte Büffett rausgeschmissen wird, mag ich nicht so recht glauben.>...kann ein Angestellter seinen Arbeitgeber selbst dann nicht vor Gericht bringen, wenn er von Steuerhinterziehungen in Millionenhöhe weiß.>Andererseits, wer will denn für so einen AG arbeiten, der seine ANs schikaniert?>kapitalistischer mini-stalinismus

  • M
    M.Stocker

    Oh Formulierungskünstler der Taz! Vielleicht bin ich ja zu pingelig, aber das Arbeitsrecht kann wohl kaum pingelig sein. Es kann ungerecht, hart, die Arbeitgeber einseitig begünstigend sein, alles mögliche, aber nicht pingelig.

    Also bleiben noch die Richter. Auch die sind wohl eher nicht pingelig, sondern allenfalls weltfremd, brutal, maßlos. Bitte solche Formulierungen an euren Genossen Kai Dieckmann weiterreichen, er schreibt für ein Blatt, in dem es die Redakteure (eher Lohnschreibsklaven) mit der Sprache nicht so pingelig nehmen, vorsichtig ausgedrückt.

     

    @ hallo?, hwester, Mitchell:

     

    Hätte es eine juristisch beweisbare 'jahrelange Vorgeschichte' wie von den Kommentatoren vermutet oder angedeutet gegeben, hätte es jahrelange dokumentierte Reaktionen der Arbeitgeber gegeben! Nun muss man ja äußerstes Misstrauen gegenüber den Medienberichten haben, aber eines ist doch sehr unwahrscheinlich: dass es sich die Hinrichtungsmedien des Boulevards entgehen lassen, eine Mitarbeiterin als diebische Schlampe darzustellen, selbst wenn dafür auch nur eine Story erfunden werden muss. Zumindest in der bürgerlichen Presse wurde wie üblich in solider Doppelmoral von einer einmaligen Pfandbon-Unterschlagung geredet, (während die millionenschwere Steuerhinterziehung dort als Steuer'sünde' verharmlost wird, auf eine Stufe mit dem Park-Knöllchen gestellt und verniedlicht wird) aber nicht von jahrelangen Verfehlungen, oder gar von vorangegangenen Verwarnungen und Abmahnungen.

     

    @ FRITZ:

     

    Niemand redet von einer Toleranzgrenze für Diebstahl, sondern davon, dass der entdeckte Diebstahl von 1.30 EUR mit einer mündlichen Verwarnung und nicht mit einer sozialen Exekution beantwortet wird.

     

     

    Genau das Fehlen der der Schwere der Verfehlungen angemessener Reaktionen, nämlich Verwarnung und Abmahnung machen diese Urteile so einmalig maßlos und skandalös.

     

    Es ist die Einführung eines Rechtssystems durch Arbeitsgerichtsurteile, das unserem Rechtssystem fremd ist: das Recht der Scharia, das sich durch völlige Unverhältnismäßigkeit von Delikt und Strafe auszeichnet.

     

    Man stelle sich einfach mal vor, die Frau Richterin muss schnell zum Gerichtstermin eilen und 'vergisst', ein Parkticket zu ziehen und wird für diesen Vertrauensmissbrauch (die Gemeinde hat schließlich ein Recht auf die Parkgebühren) mit zwei Jahren Führerschein-Entzug bestraft oder mit 5 Jahren Einfahrverbot in die Stadt. Dann würde sie sicherlich zeter und mordio schreien und bis zum EuGh hochklagen, um diese Unverhältnismäßigkeit zu bekämpfen.

     

    Nur Arbeitnehmer stehen anscheinend in einem leibeigenschaftsähnlichen Abhängigkeitsverhältnis von ihren Arbeitgebern. Nichts anderes ist die Formulierung vom 'besonderen Vertrauensverhältnis', es ist das nach diesen durchgeknallten Arbeitsrichtern völlig assymetrische Machtverhältnis, das den Arbeitgebern ohne Hemmungen erlaubt, missliebige Beschäftigte wegen Nichtigkeiten zu kündigen und damit wie im Fall 'Emmily' eine soziale Exekution durchzuführen.

     

    Hat ein Arbeitnehmer das Recht mobbende Vorgesetzte fristlos zu kündigen? Meines Wissens nicht.

     

     

    P.S.: War ich zu ungeduldig oder fällt da was unter die Etikette-Regeln? Sooo viele Kommentare kamen bis jetzt ja nicht..

  • D
    derfrak

    Die Pfandbons wurden zum Schaden des Kunden unterschlagen und nicht auf einem Schreibtisch gefunden (also gestohlen).

    Der Arbeitgeber kann die erhaltenen Flaschen abrechnen und der Kunde hätte die Pfandbons nach einer Woche Lagerfrist sowieso nicht mehr abgeholt.

  • H
    hto

    Es paßt, in dieses Zeitalter der gebildeten Suppenkaspermentalität auf Sündenbocksuche und systemrationaler Überproduktion von konfusionierendem Kommunikationsmüll - es paßt zu "Arbeit macht frei" und "Wer soll das bezahlen?"!!!

  • H
    heikemai

    Wenn jemand eines von den zwanzig Stiefmütterchen ausgräbt, die Deinen Vorgarten verzieren, dann bist auch Du ärgerlich. Da hat sich jemand an Deinem Eigentum vergriffen, auch wenn der Schaden gering ist. "Dem sollte man gewaltig auf die Finger klopfen!" Das gilt auch für Pfandbons und Frikadellen. Was den viel zitierten Fällen voran gegangen ist, wissen wir nicht. Dass z. Bsp. eine taffe 1A Sekretärin allein wegen des Zugriffes auf das kalte Büffett rausgeschmissen wird, mag ich nicht so recht glauben. Einen Pfandbon von 1,30 an sich zu nehmen, ist wie einen Euro dreißig aus der Kasse zu stehlen.

    Es ging in keinem der Fälle um arme und hungernde Menschen. Also kein Mundraub!

    "Meins und Deins" auseinander halten, sollte selbstverständlich sein.

    Die Urteile sind hart und bestimmt manches mal übertrieben, doch sie sollen Zeichen setzen und das ist notwendig.

  • MN
    Mein Name

    Der Pfandbon hat jemandem gehört. Der Besitzer hätte den Verlust merken können und zum Laden zurück kommen können. Eine Abmahnung und Erläuterung hätte gereicht, sodern es das erste Mal war. Aber: Die Kündigung muss rechtens sein. Weil der Chef sich auf seine Mitarbeiter verlassen können muss. Das Problem ist vielmehr, dass die Mitarbeiter zu wenig verdienen.

    Bei dem Maultaschen hätte die Dame auch fragen können. Wahrscheinlich ist es eine Auflage das Gesundheitsamtes, dass die übrig gebliebene Nahrung nicht mitgenommen werden darf. Daran hätte die Angestellte denken müssen.

    Beim Bufett kommt es darauf an, wann die Sekretärin die Sachen mitgenommen hat. Sie hätte nach der Veranstaltung fragen können, ob sie etwas haben kann.

    Das Problem liegt doch darin, dass die Angestellten nicht wertgeschätzt werden. Sie werden schlecht bezahlt und ausgenutzt. Und die Chefs scheinen auch mit den Nerven zu Fuß zu sein, wenn sie bei solchen Bagatellen gleich kündigen. Oder die Angestellten passten ihnen sowieso nicht (mehr).

  • EM
    erich m.

    kündigung wg. kleiner diebstähle- das ist eine

    "menschenrechts-monstrosität"

    gründe:

    1. die prinzipielle eigentumslosigkeit an produktionsmitteln ist eine entrechtungs-entwürdigung jener, die nur ihre arbeitskraft besitzen und durch die aneignung kleinen stofflichen reichtums versuchen, bestehende ökon. ungleichheiten zu mildern: dafür werden sie krass unverhältnismäßig bestraft( "maultaschenmord"nach marxens "holzmord")

     

    2. das delikt beweist gegen bornierte wertkritiker(r.kurz) und liberale, daß die kapital.ökonomie immer noch zutiefst von p e r s ö n l i c h e r herrschaft und totalitarismus gerade i n d e r p r o d u k t i o n bestimmt wird:

    es vergeht sich da immer ein mieser kleiner kapitalist bzw. dessen büttel persönlich(!) an einem lohnabhängigen: alles andere als ein faires

    rechtssystem: es ist h e r r e n recht!

    3.wenn schon von diebstahl die rede ist:

    die ersten beiden"diebstähle" in der kapitalistischen gesellschaft geschehen auf seiten der kapitalistenklasse- da ist

    a.die vorgängige schon historisch von dieser klasse erzwungene eigentumslosigkeit des lohnabhängigen und

    b. der vom kapitalisten angeeignete u n b e z a h l t e mehrwert, den dieser aus seinen "arbeitskräften" rausschlägt!

    4.wenn schon von "vertrauensverlust" im diebstahlszusammenhang die rede ist:

    sollte der kapitalist nicht dankbar sein, daß ein von ihm ausgebeuteter seine privilegierte - mit prestige, luxus, ökonomischer sicherheit ausgestattete(durchschnitt) position anerkennt und ihm nicht vielmehr ob dieser ökon. und jurist. basis-ungerechtigkeit an die gurgel geht? dass er sogar dem kapitalisten seine arbeitskraft zum gerben täglich anvertraut?

    5.kapitalistischer mini-stalinismus:

    alle kapitalismus-anbeter regen sich über die stalinistische gewalt gegen kulaken, kapitalisten wegen ihrer krassen unverhältnismäßigkeit auf:

    aber ist die kündigung wegen mini-eigentumsdelikten der lohnabhängigen nicht auch ein dauernder kapitalistischer mini-stalinismus-weil von totalitärer unverhältnismäßigkeit von tat und sühne??

    5.lächerlicher "wert" der "maultaschen":

    die historisch inzwischen erreichte stoffliche überproduktivität auch auf dem lebensmitttelsektor läßt doch den w e r t des einzelnen stofflichen produkts gegen null gehen . dafür spricht auch die gezielte tägliche vernichtung von ungeheuren mengen von lebensmitteln auf dem kapitalist.globus um "die preise stabil zu halten"

    6.die kleinen diebe aber müßten lernen, daß sie die ungerechtigkeit und historische überfälligkeit des kapitalismus durch kleine eigentums-umverteilungen nicht abschaffen, sondern nur zementieren! d.h. sie müßten a u c h beginnen, diese anachronistische wirtschaftsform p o l i t i s c h in frage zu stellen!

    7.wenn schon- n o c h - klassenjustiz: ihr richter, "verfolgt das kleine unrecht nicht ´zu sehr!"(brecht)und schützt die ökonomisch schwachen gegen die starken, so wenigstens etwas gerechtigkeit gegen das kapitalistische u n recht erkämpfend- wozu seid ihr denn sonst richter geworden?

  • V
    vic

    Ja ist es. Hier wird auf die billige Tour Personalabbau betrieben vor dem Hintergrund, dass draußen genug andere stehen die den Kram erledigen können.

    Im Arbeitsrecht existiert das Instrument der Abmahnung, und es scheint in Vergessenheit geraten zu sein.

    Zudem wird diese restriktive Praxis nur in den untersten Ebenen eines Betriebes angewandt.

  • M
    Michael

    Es gibt wohl kaum einen Arbeitnehmer der in seinem Leben nicht schon einmal ein solch schweres Vergehen begangen hat. Die wenigen schüchternen unter uns können dies ja leicht nachholen und dann geht´s kollektiv zur Selbstanzeige.

    Oder trauen Sie etwa ihrem Arbeitgeber?

  • TF
    Thomas Fluhr

    Was passiert denn, vor allen dingen wem, bei verbotener Bespitzelung oder Datenmissbrauch?

    Aber da geht' ja um Werte die man nicht in Euro rechnen kann.

  • C
    claudia

    Früher mal haben Betriebsräte solchen Pipifax abgebogen: Der Kündigung wurde widersprochen. Der "Arbeitgeber" hat dann eine schriftliche Ermahnung erteilt und Kündigung erst beim zweiten Erwischensfalle angedroht.

    Ich habe nur ein einziges Mal erlebt, daß eine Kollegin wenige Wochen nach dem ersten Vorfall ein zweites Mal erwischt wurde und wir dann nichts mehr tun konnten.

     

    Erfahrungsgemäß hatten "Arbeitgeber" am Gericht schlechte Karten, wenn der BR einer Kündigung widersprochen hatte.

     

    Nach meiner Erfahrung, und das sind immerhin fast 40 Jahre Industriearbeit, werden solche außerordentlichen Kündigungen wegen Bagatellen dann gehäuft ausgesprochen, wenn Personalreduzierung geplant ist.

     

    ---

    Um die Dimensionen klar zu stellen, muß sich auch vor Augen halten, welche materiellen Privilegien diejenigen in den Hintern geblasen bekommen, die im Auftrag von Besitzern kündigen.

  • A
    anke

    Es geht nicht um die Frage, ob erst ein geklauter 100-er, der Verzehr von sechs übrig gebliebenen Maultaschen oder schon eine einzelne Pfandflasche als Kündigungsgrund akzeptabel sind. Eigentlich geht es um etwas sehr viel grundsätzlicheres.

     

    Die Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ist keine zwischen gleichwertigen Partnern. Während der sogenannte Arbeitgeber nach freiem Ermessen entscheiden kann, welches Bagatelldelikt eines Arbeitnehmers er mit der Entlassung bestrafen will, haben seine Beschäftigten kaum eine Möglichkeit, ein Fehlverhalten ihres "Arbeitgebers" zu ahnden. Sowohl im Fall einer Entlassung als auch im Falle einer Kündigung verliert der sogenannte Arbeitnehmer seine Existenzgrundlage. Dem Arbeitgeber hingegen ist sein Unternehmen auf jeden Fall sicher. Neues Personal bekommt man heute an jeder Straßenecke noch um einiges billiger als das alte, einen neuen Job gibt es nicht einmal vom Arbeitsamt. Während also der Unternehmer schon ein halbes Brötchen zum Vorwand nehmen kann, einen lästigen Angestellten vor die Tür zu setzen, kann ein Angestellter seinen Arbeitgeber selbst dann nicht vor Gericht bringen, wenn er von Steuerhinterziehungen in Millionenhöhe weiß. Wer stellt schon einen Mitarbeiter ein, der seinen letzten Chef verpfiffen hat?

     

    Nein, Ingrid Schmidt irrt sich, wenn sie annimmt, ein Bagatelldiebstahl würde das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber zerstören. Man kann schließlich nicht zerstören, was es gar nicht gibt. Machtverhältnisse sollte man ruhig beim Namen nennen, finde ich.

  • M
    Madmedic

    Das arbeitsrecht ist nicht pingelig, es ist absolut klar definiert, wer stiehlt zerstört ein ververhältnis.

    das problem ist einfach das die arbeitgeber jetzt eine möglichkeit gefunden haben unkündbare, bzw. jahrzehntelange arbeitnehmer, ohne abfindung einfach rauszuschmeissen.

    diese praxis war zu der zeit als dieses gesetz verabschiedet wurde einfach nicht üblich.

    "früher" brauchte man seine mitarbeiter, man wusste den erfahrungsschatz der älteren arbeitnehmer zu würdigen und kam nicht auf den gedanken sie möglichst kostengünstig zu "entsorgen" um dann durch einen billigeren berufseinsteiger mit befristetem kettenvertrag zu ersetzen.

     

    hier spielen grade zwei dinge zusammen.

    die sich nach unten drehende lohnspirale und die möglichkeit über solche gesetzeslücken alte/teure mitarbeiter zu entlassen.

     

    zu dem kommentar von ernst:

    das arbeitsrecht ist nicht nur für den arbeitgeber geschrieben, das stimmt so einfach nicht, ich bin jetzt schon seit jahren auf unserer wache im BR und unser chef hat genau das gegenteil gespürt. :)

     

    mit "klassenjustiz hat das ganze auch nichts zu tun,der gesetzestext ist eindeutig. es ist in diesem fall nicht das problem der judikative, die sich hüten wird einen präzendenzfall zu schaffen, sondern das problem der legislative, die diese lücke im kündigungsschutz DRINGEND schliessen muss, aber unter einer merkelwelle wird es dazu definitiv nicht kommen!!!!

    und das ist das traurige an der ganzen situation!

  • W
    wauz

    Es gibt Schwierigkeiten, die kann man nicht mit Richtern und Rechtsanwälten lösen. Im alten germanischen Recht gab es den Zweikampf. Und es gab eine Zeit, da gab es den Arbeitskampf. Gemeinsinn und gegenseitige Hilfe der Arbeitenden sind die richtigen Mittel. Dann wird sich, unabhängig von der Rechtslage, kein "Arbeitgeber" mehr trauen, so vorugehen.

    Also, liebe Leute: streiken, streiken, streiken!

  • W
    WemSollIchGlauben

    Wahrscheinlich kommt jetzt gleich wieder die Geschichte mit dem Urteil, wo ein Manager nicht wegen Untreue bei Privatnutzung der Kreditkarte gefeuert werden konnte. Leider fehlt immer der Link, damit die Leute sehen, dass es da einen eklatanten Unterschied zu den Coupon-Maultaschen-Fällen gibt:

    OLG Celle, Urteil vom 5. 3. 2003 - 9 U 172/02 (nicht rechtskräftig), Fundstelle auch NJOZ 2003, 1569

     

    Es gab da mal einen schönen Blogbeitrag zu diesem Thema, den ich leider nicht mehr finde. Der gibt "hallo?" Recht. Das Fazit: am Ende geht es immer um Vertrauen. Wenn das Gericht nur sieht, dass ein AN gleich 2x erwischt wurde, einmal beim Diebstahl und dann auch noch bei der Lüge durch Abstreitung, dann legt es ein zerüttetes Vertrauensverhältnis zugrunde. Damit ist eine Kündigung rein juristisch immer gerechtfertigt. Eine Abmahnung scheidet aus, da die ja eine Ermahnung des Abgemahnten zur Besserung darstellt. Wenn aber ein AN ertappt wird und dann auch noch lügt verspielt er seinen Bonus vorm Arbeitsgericht. Emmely hat im Falle der Cupons gelogen. Im Frikadellenfall wurden Anweisungen (wahrscheinlich) jahrelang nicht befolgt. Der AG kann also ohne weiteres ein zerüttetes Arbeitsverhältnis vor Gericht darstellen. Andererseits, wer will denn für so einen AG arbeiten, der seine ANs schikaniert?

  • F
    FRITZ

    Niemand wird WEGEN einer Bulette gekündigt. Aber eine Bulette kann ein guter ANLASS sein, um jemanden, der seit Jahren nervt, rauszuschmeißen.

     

    Und eine andere Toleranzgrenze als die 0-Euro-Grenze wäre ja eine staatliche Einladung, dem Arbeitgeber die Buletten zu klauen. ("Die ersten 100 Euro sind frei, danach gibt's beim Klausen 'ne Abmahnung!" - das kann's ja wohl nicht sein!??)

  • U
    UCNet

    Arbeitgeber haben das Recht einen Mitarbeiter zu kündigen, wenn er etwas wiederrechtlich aus der Firma entwendet. Punkt.

    Allerdings ist doch der Grund für die Kündigung nicht die Maultasche oder der Pfandbong im Wert von 1,30 Euro. Hier geht es darum einen unliebsamen Mitarbeiter loszuwerden. Dies ist eine Lücke im Arbeitsschutz und wird schamlos besonders von kleinen und mittelständischen Betrieben ausgenutzt.

  • M
    Mitchell

    Bitte bei solchen Berichten immer genau recherchieren und vermerken, ob es sich wirklich um eine "Bagatell-Kündigung" handelt, oder ob es nicht jeweils im Vorfeld Abmahnungen wegen anderer Vorkommnisse gegeben hat.

  • A
    Artmann

    Naja, wenn man bedenkt, dass das Arbeitsrecht seine Wurzeln im Sklavenrecht der Römer hat und das das Angestelltentum im Prinzip moderne Sklaverei ist, ist es wahrscheinlich nicht zu pingelig, wobei ich persönlich lieber Arbeitgeber als Arbeitnehmer wäre.

     

    Trotzdem sollte man an den Diebstahl geringwertiger Sachen denken, den der Gesetzgeber an die stelle des Mundraubes gesetzt hat und diese Schwelle (Warenwert ca. 25 € oder geringer wird nicht verfolgt) sollte auch im Arbeitsrecht gelten.

  • H
    hwester

    "weil sie Pfandbons im Wert von 1,30 Euro gefunden und eingelöst hatte" das ist so nicht korrekt. Sie hat weil sie Pfandbons im Wert von 1,30 Euro eingelöst die ein Kunde zuvor verloren oder liegen gelassen hatte. "Gefunden" wurden diese Bons auf einem Schreibtisch im Büro. Gerade dieser Fall zeigt, dass auch bei geringwertigen Gegenständen eine hohe kriminelle Energie im Spiel sein kann.

  • H
    hallo?

    Ich finde es einfach problematisch, wenn die genannten Fälle immer in eine Reihe gestellt werden.

    Im Fall der Pfandbons - soweit ich das aus den Medien mitbekommen habe - ist noch streitig, ob diese überhaupt entwendet wurden. Da kann ich die Kündigung nur schwer nachvollziehen.

    Im Fall der Brötchen und Frikadelle hingegen hat - so wiederum meine Kenntnis - eine Regelung bestanden, dass nichts mitgenommen werden darf und die betroffene Dame hat das dennoch getan - und zwar über Jahre hinweg. Sorry, aber wenn ich irgendwann rausfinde, dass sich eine Mitarbeiterin über Jahre hinweg nicht an meine Vorgaben gehalten und mich hintergangen hat, dann wäre auch bei mir das Vertrauen dahin. Soll man da noch abmahnen müssen oder auf weitere Wiederholungen warten?

     

    Ich finde, man sollte wirklich immer den Einzelfall im Auge behalten und kann nicht reflexhaft auf DIE böse Justiz und DIE üblen Arbeitgeber schimpfen.

  • E
    Ernst

    Das deutsche Arbeitsrecht ist absolut einseitig gegen den Arbeitgeber gerichtet, man koennte eigentlich schon von einer Klassenjustiz sprechen die absolut einseitig gegen den Arbeitnehmer gerichtet ist...