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Streit der Woche"Die Niederlage braucht ein Gesicht"

Die FDP benötigt Westerwelle noch als Sündenbock, sagt der Erfinder der "Strategie 18", Fritz Goergen. Parteichefs werden überschätzt, findet Grünen-Politiker Ströbele.

Guido Westerwelles Daumen würde die Frage schon mal positiv beantworten. Bild: dapd

BERLIN taz | Kurz nach dem Dreikönigstreffen der Liberalen prognostiziert der ehemalige FDP-Strategieberater Fritz Goergen für Parteichef Guido Westerwelle einen Untergang auf Raten. "Aber erst, wenn niemand mehr daran zweifelt, dass Westerwelle schuld an ein paar verlorenen Landtagswahlen ist", schreibt Goergen im Streit der Woche der sonntaz. "Die Niederlage braucht noch dringender ein Gesicht als der Sieg."

In der Sonntagsfrage des aktuellen ARD-Deutschlandtrends kommt die FDP nur noch auf vier Prozent - der schlechteste Wert seit Oktober 1999. Wahlkampfstratege Goergen konzipierte für die Partei unter anderem die Kampagne "Strategie 18". Auf den Parteichef komme es in der Politik an, schreibt Goergen. "Bild und Glotze brauchen keine Inhalte, und die Leute auch nicht. Inhalte sind viel zu kompliziert. 'Hosianna und kreuziget ihn' will Gesichter."

Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele sieht das anders. "Eine Partei ist kein Schiff, auf dem der Kapitän auf der Brücke allein bestimmt, wo es lang geht", schreibt Ströbele in der sonntaz. Denn sonst ginge es zu wie auf der "Bounty", "wo nur noch die blutige Meuterei blieb, um den Kapitän zur Räson zu bringen." Endscheidend sei die Basis. "Vorsitzende moderieren nur und vertreten nach außen."

Bild: taz

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Nach Einschätzung des Göttinger Politologen Franz Walter gehört das Meckern der Basis über ihren Parteichef zum Politikbetrieb dazu, etwa bei der SPD. "So fragten sich die Genossen stets aufs Neue, ob denn nun der Gerd wirklich der Richtige sei. Oder der Franz, der Matthias, der Kurt der Sigmar." Einige Figuren stächen allerdings aus dieser Reihe heraus – bei der SPD etwa Oskar Lafontaine. Bei der FDP durchaus auch Westerwelle. "Ohne Westerwelle keine Protestpartei der Mitte", schreibt Walter. Doch hätten solche Chefs eben nie bemerkt, "wenn die Zeit über sie hinwegging."

Im Streit der Woche in der sonntaz äußern sich außerdem die stellvertretende Vorsitzende der Linkspartei Sahra Wagenknecht, Kerstin Rudek, Vorsitzende der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg, und Uli Moll, der seinen Beitrag auf taz.de gestellt hat. Sylvia Heimsch, Aktivistin gegen Stuttgart 21, erklärt, warum Politik mehr Quereinsteiger braucht.

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1 Kommentar

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  • SG
    Stefan Grüll

    Ein paar Einäugige unter etlichen Blinden in der FDP scheinen ernsthaft zu glauben, sie müssten nur den König stürzen, um die - gemeinsam verursachten - Probleme der Partei lösen zu können. Ein fataler Irrtum, begünstigt durch den tragisch irrenden Parteivorsitzenden, der wohl glaubt(e), über Jahre hinweg vermisste Zuneigung wenigstens als Aussenminister mindestens qua Amt generieren zu können. Übersehen hat Westerwelle dabei, dass gerade dieses Amt nicht honoriert, was ihn - und damit die FDP - gross gemacht haben: Provokation. Zuspitzung. Polemik. Dabei hatte er -wie zuvor Möllemann - doch eigentlich begriffen, dass Polarisierung für den Erfolg bei Wahlen unverzichtbar ist, gerade weil das liberale Credo leichter im akademischen Seminar als in der tagespolitischen Auseinandersetzung zu vermitteln ist. Daher wird Westerwelle (noch) nicht als Gesicht für die Niederlage gebraucht, vielmehr braucht die Partei Westerwelle zunächst(wieder)in seinen Kernkompetenzen gestärkter Funktion: Als durch die Übernahme des Fraktionsvorsitzes genesender Parteivorsitzender für die innenpolitische Debatte/Attacke; Gerhardt als Aussenminister sein Angebot an die "bürgerliche" Klientel. So gewinnt Westerwelle Zeit und die FDP Wahlen. Die eilig (voreilig?) zu Hoffnungsträgern stilisierten Jungen, von wild keine Spur, müssten sich noch ein wenig gedulden. Kein Nachteil: Unter den Blinden ist der Einäugige König; aber eben auch nur dort.