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Streit der Woche zu Wahlen"Wir wählen uns wirr"

Wahltermine sollten zusammengelegt werden, fordert Silvana Koch-Mehrin (FDP). „Ein Einheitswahltermin verführt zur Einheitsstimme“ hält Ex-Ministerpräsident Bernhard Vogel dagegen.

FDP-Politiker Silvana Koch-Mehrin und Philipp Rösler. Bild: dpa

BERLIN taz | Nach der Abstimmung in Nordrhein-Westfalen plädiert Silvana Koch-Mehrin, Vorsitzende der FDP Fraktion im Europäischen Parlament, für weniger Wahltermine in Deutschland. „Weder den Bürgern noch den Politikern ist ein Dauerwahlkampf zuzumuten“, schreibt sie im Streit der Woche in der sonntaz. Sinnvolle politische Arbeit brauche Zeit und Ruhe zum Nachdenken. „Wir wählen uns wirr. Jeder Urnengang wird als eine Testwahl für die Bundesregierung interpretiert“, schreibt die Vizepräsidentin des EU-Parlaments.

Auch Meinungsforscher Matthias Jung, Vorstand der Forschungsgruppe Wahlen, ist der Meinung, dass in Deutschland zu oft gewählt wird. „Politik neigt so zwangsläufig wahlweise zu populistischen Versprechungen oder zum Hinauszögern von unpopulären Entscheidungen“, schreibt Jung in der sonntaz.

Dagegen spricht sich Bernhard Vogel, ehemaliger CDU-Ministerpräsident in Rheinland-Pfalz und Thüringen, für die Beibehaltung der bisherigen Praxis aus. „Bei zusammengelegten Wahlen verliert jede einzelne Wahl an Profil, an Bedeutung“, schreibt er im Streit der Woche. Ein Einheitswahltermin verführe zur Einheitsstimme. „Sicher ist eine Landtagswahl ein politischer Stimmungstest“, stellt Vogel fest, auch für die Bundespolitik. Dadurch sollte sich jedoch keine andere Regierung irre machen lassen.

Bild: taz

Den gesamten Streit der Woche lesen Sie in der aktuellen vom 15./16. Mai 2010 – ab Sonnabend zusammen mit der taz am Kiosk.

„Lasst den Wählern ihre Wahlen“, fordert auch Jörg Schönenborn, WDR-Chefredakteur und ARD-Wahlmoderator. Wahlen seien ein Akt der gesellschaftlichen Hygiene. Der Wahlzettel sei fast immer ein Denkzettel für Berlin. „Die Nordrhein-Westfalen haben dem Rest der Republik aus dem Herzen gesprochen“, schreibt Schönenborn in der sonntaz. Das Problem seien nicht die Wahlen oder Wähler, sondern die Parteien. „Das Schlimmste wäre es, wenn sich die Parteien vier Jahre hinlegen könnten. Im Gegenteil: gut, dass sie sich regelmäßig stellen müssen“.

Franziska Drohsel, scheidende Bundesvorsitzende der Jusos, sieht das Problem der sinkenden Wahlbeteiligung nicht in der Fülle der Wahltermine. „Immer mehr Menschen verlieren das Vertrauen, dass Parteien ihre Interessen glaubwürdig und konsequent vertreten und es deshalb lohnt, sie zu wählen“, sagte Drohsel taz.de. Die schlechte Wahlbeteiligung sei gerade für die gesellschaftliche Linke ein Problem. „Es ist deshalb Aufgabe linker Politik deutlich zu machen, dass individuelle Probleme wie Arbeitslosigkeit nur kollektiv gelöst werden können.“ Menschen müssten sich links engagieren. „Darum lohnt es zu kämpfen“, so Drohsel. Am Mittwoch hatte sie bekannt gegeben, dass sie als Chefin der Jusos im Juni vorzeitig zurücktreten wird.

Im Streit der Woche äußern sich außerdem Tom Buhrow, Moderator der ARD-Tagesthemen, DDR-Bürgerrechtlerin Freya Klier und Kommunikationsprofessor Frank Brettschneider.

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21 Kommentare

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  • O
    OttoKrüja

    Ach, das ist doch nur wieder Wahlkampfgetöse!

  • C
    claudia

    Dass jetzt, wo sie wahrscheinlich wieder mal die Lufthoheit im Bundesrat verlieren, so sehr für die Zusammenlegung der Wahltermine getrommelt wird, ist ja klar.

     

    Lobbyisten könnten Geld sparen, wenn sie klare Verhältnisse vorfänden.

    Das muss man schon einsehen in diesen schweren Zeiten...

  • T
    tazitus

    Ich glaube nicht, dass es am Wählen liegt, wenn Frau KM wirr wird.

  • H
    hto

    "Sinnvolle politische Arbeit brauche Zeit und Ruhe zum Nachdenken." - dieser Satz ist ein übler Witz, wo der Sinn offensichtlich in Konfusion durch Überproduktion von systemrationalem Kommunikationsmüll liegt, für die "Demokratie" von Kreuzchen auf dem Blankoscheck, was eine leichtfertige Übertragung von Verantwortung an die "Treuhänder" des "gesunden" Konkurrenzdenken im "freiheitlichen" Wettbewerb bedeutet.

  • R
    Realitätsverweigerung

    Einsicht: Parteien sind nicht fähig alle Probleme zu lösen.

     

    Schlussfolgerung: Parteien sollten weniger zu entscheiden haben.

     

    Lösungsvorschlag: Die Tobinsteuer zahlten alle Banken. Die Vermögenssteuer zahlten alle Vermögenden. Die Mehrwertsteuer zahlten alle Bürger. Es sei denn sie können nicht konsumieren. Mit einem Grundeinkommen wird das gesichert, den Rest erledigt steuerfreie Arbeit u die natürlich Gier des Menschen.

     

    Ergänzung: Fr Drohsel hat recht, aber der kollektive Akt der Selbsthilfe, sollte in der Unabhängigkeit jedes Einzelnen und dessen bedingungsloser Nutzen für die Gesellschaft sein.

     

    Neue Probleme werden kommen, aber die sind dann wenigstens lösbar.

  • JK
    Juergen K

    Wer eine Dissertation zum Thema

     

    ‘Historische Währungsunion zwischen Wirtschaft und Politik’

     

    geschrieben hat und bis 6 000 zählen kann ist im Vorteil.

  • R
    Rita

    Ich finde es sehr gut, dass so oft gewählt wird. Anderenfalls würde die Wirtschaft immer genau dann anziehen, wenn einmal alle Jahren Wahlen wären. Im aktuellen Fall war es sehr gut, dass die unverantwortliche CDU und FDP mit ihrer irrwitziger, vom Lobbyismus geprägten Politik ausgebremst wurde.

  • T
    Tim

    Das Koch-Merin sich seltenere Wahlen wünscht verwundert nicht, schließlich ist sie bei jeder Wahl beliebtest Opfer von Spott-emails in denen freudig ihre peinlichsten Talkshowauftritte oder Interviewaussagen breitgetreten werden. Mit weniger Wahlen hätte sie mehr Zeit, sich um ihre Lobbyarbeit für die "Initiative neue soziale Marktwirtschaft" zu kümmern.

     

    Aber mal etwas ernsthafter: Wahlen sind wichtig für die Identität des Volkes und wenn es nur ist, dass man merkt wieviele Leute anderer Meinung sind als man selber. Wenigstens gibt es mit der (Nicht-)beteiligung an der Wahl eines, was alle verbindet. Ich fände daher auch eine Wahlpflicht nach Belgischem Vorbild nicht schlecht. Wenn die jetzigen Nichtwähler dabei ungültig wählen würden, hätte das eine bedeutend größere Ausdruckskraft und könnte auch nicht einfach als Politikmüdigkeit abgetan werden.

  • S
    Schlaflos_in_NRW

    Die Äußerungen von Frau Koch-Mehrin sind mal wieder ein wenig verwirrend:

    War es nicht ihre eigene Partei, die erst letztes Jahr im Schulterschluss mit der CDU eine Zusammenlegung von Bundestags- und Kommunalwahl in NRW verhindert hatte? Vor allem in der FDP hatte man nämlich befürchtet, dass bei einer hohen Wahlbeteiligung die SPD profitieren könnte!

    Nun, einen gesonderten Urnengang für irgendwelche unfähigen Lokalpolitiker hätte man ja noch irgendwie verschmerzen können, wenn da nicht die Mehrkosten für diese „EXTRA-Wahl“ in Höhe von 42 Millionen (!) Euro gewesen wären.

    Aber Deutschland hat es ja anscheinend ganz dicke und in 75 Minuten steigt die Staatsverschuldung ja auch nur um 6000 Euro, gell Frau Koch-Mehrin?!

  • PB
    Peter Bütow

    In der Analyse gebe ich Frau Koch-Mehrin recht: Wir "wählen uns wirr". Punkt.

    Die Konsequenz wäre allerdings eine andere und weitaus simplere: Wir leisten uns den Luxus von 13 aus der Postkutschenzeit überkommenen prunkvollen Fürstenhöfen mit regierenden Landesfürsten ("Ministerpräsidenten"), Landesregierungen mit Ministern und Staatssekretären, Landesparlamenten, Landesvertretungen in Berlin und Brüssel und einer wahrlich nicht unbedeutenden unterstützenden bürokratischen und logistischen Infrastruktur (nebst Konferenztourismus zur Vermeidung des gröbsten Auseinanderlaufens bis hinauf auf die Zugspitze). Nennenswerte Aufgaben der Fürstentümer: Ausgerechnet die Bildung unserer Kinder und die innere Sicherheit - in der Hand provinzieller Parteiideologen und rechthaberischer Korinthenkacker (sh. z.B. "polizeilicher Digitalfunk", seit mehr als 10 Jahren anhängig).

    Nicht nur, dass diese Kleinstaaterei Jahr für Jahr viele Milliarden unnötig verschlingt - sie sorgt zugleich regelmäßig und Politikverdrossenheit befördernd dafür, dass das Land qua Bundesrats-Opposition nur mit allerdämlichsten Nacht-und-Nebel-Kompromissen, wie z.B. zur "Gesundheitsreform" 2004, regiert werden kann.

    Verdienstvoll und mutig, Frau Koch-Mehrin, wäre ein Plädoyer für die Abschaffung des Föderalismus; wenn die FDP sich das traute, würde ich sie zwar weiterhin nicht wählen, aber immerhin wieder ein bisschen ernst nehmen. Da die Fürstenhöfe aber vor allem dazu dienen, stets möglichst viele Parteifreunde und -innen aller Couleurs mit lukrativen Pöstchen versorgen zu können, sind Anstöße aus der Politik wohl kaum zu erwarten. Und die Journaille hält sich bei diesem Thema ebenfalls merkwürdig bedeckt.

  • M
    Malte

    „Weder den Bürgern noch den Politikern ist ein Dauerwahlkampf zuzumuten“

    Ob Silvana Koch-Mehrin das ihrem Parteivorsitzenden auch schon mal gesteckt hat?

  • T
    TheOrbitter

    Ja, ist denn schon Sommerloch?!

  • B
    becdie

    Von dieser Blondinen erwarte ich nichts, schon garnicht nach ihrem Plasberg-Fauxpas mit den 6000 Euro (Pfui, schon wieder ein Vorurteil schnöde bedient!), aber wo sie recht hat, da muss man das auch erkennen und zugeben. In Deutschland ist stetige Politik kaum möglich, weil immer irgendwo gewählt wird. Und wählen heißt, dass die Parteien Kreide fressen, ihren Sonntagsstaat herausholen und lügen. Und garnicht mehr dazu kommen, unser Gemeinwesen zu verwalten und zu regieren.

  • S
    schnurzel

    Warum überhaupt noch wählen. Mit Sylana der Blonden und Phillip dem Zapfenstreichdusterem haben wir doch ein tolles Regentenpaar. Jedenfalls bis zum 11.11. Dann sind hoffentlich andere Narren dran.

  • AB
    Alex B.

    "Der Wahlzettel sei fast immer ein Denkzettel für Berlin."

     

    Ja, so war das aber eigentlich aber nicht gedacht, Herr Schönenborn! Ich finde, auch die Angelegenheiten auf Landes-, Kommunal- und Europa-Ebene sind zu wichtig, dass sie nur zum Abstrafen der jeweiligen Bundesregierung genutzt werden dürften. Studiengebühren, Schulsystem, das sind alles Themen, die zu wichtig sind, um sie einer Stimmung im Bund zu unterwerfen!

    An dieser unguten Kultur muss man was ändern. Und ob man das macht, indem man Wahlen zusammenlegt, wo Wähler doch erfahrungsgemäß bei einer Wahl immer das Kreuzchen bei jeder Stimme an derselben Stelle machen!?

    Die Erststimme bei der Bundestagswahl ist doch auch eigentlich eine Personenstimme. Allerdings entsprechen die Stimmanteile für die Kandidaten praktisch immer fast exakt der Stimmen der jeweiligen Parteien bei den Zweitstimmen...

  • A
    alcibiades

    Hat denn die Frau Koch-Mehrin schon mal geschätzt, was das kostet?

  • M
    Martin

    warum nehmt ihr die 6000-euro-blondine der fdp überhaupt noch ernst? wenn die den mund aufmacht, kommt nur gedankenloser unsinn raus.

  • S
    Snuggles

    Aber natürlich, Kommunal- und Landtags-, Bundestags- und Europaparlamentswahlen, im schlimmsten Fall noch Volksentscheide alles auf einmal. Um es übertrieben darzustellen, mit 4 kg Papier in die Wahlurne und dann die bis zu, was weiß ich, 80 Stimmen auf einmal abgeben. Daraus folgt für mich zum einen, britische Verhältnisse, bei denen einige hundert Wähler ihre Stimmen nicht abgeben konnten, zum anderen erinnert es mich an die Wahlen in der DDR. Es soll ja auch Leute geben, die auf politisch unterschiedlichen Ebenen auch verschiedene Parteien wählen.

    Es befreit aber auch die Parteien, sich ständig erklären zu müssen, Rede und Antwort dem Wähler

    zu stehen. D.H. die Politikverdrossenheit wird noch mehr zunehmen. Daher ist für mich dieser Vorschlag nicht nur überflüssig, sondern antidemokratisch, aber andere Parteien sind ja extremistisch. Für mich ist der Vorschlag von K.-M. nur die Reaktion auf die Wahlschlappe in NRW, polemik like Westerwave.

  • MA
    muss ausgefüllt

    zitat: „Politik neigt so zwangsläufig wahlweise zu populistischen Versprechungen oder zum Hinauszögern von unpopulären Entscheidungen“

     

    dann liegt es aber an der politik ihr verhalten zu verbessern. das ist kein fehler im wahlsystem sondern im politikerverhalten.

  • BI
    Beobachter IV

    Nein- wir wählen nicht zu oft. Es ist immer wieder erstaunlich, wie sehr wir uns daran gewöhnt haben, dass irgendwelche Politiker oder sogenannte Prominente etwas in ein Mikrofon sprechen oder einer Redaktion stecken und schon sei dies öffentliche Meinung. Wir hier unten halten von Einheitswahl-Terminen gar nichts!

    Wer Wahltermine zusammenlegen will, der muss dem Volk andere Beteiligungsmittel in die Hand geben.

    Zwei Varianten haben bisher den sozialen Frieden erhalten: Das ist 1. die Wahlverweigerung (hier werden es immer mehr). Das ist 2. die Denkzettel-

    Wahl gegen Berlin.

    Eine 3. Variante ist der politische Generalstreik. Wenn es mit dem Vertrauensverlust bei uns so weiter geht,werden wir ihn bald haben. Spätestens bei einer Geldentwertung wird es so weit sein!

  • AB
    Anette Betina Roming

    Wir Deutschen sind eben bunt, was`n Glück. Mir würden allerdings Volksabstimmungen a la Schweiz wesentlich besser ins Konzept einer Demokratie passen. Aber ich kann mich erinnern, daß vor Jahren ein Politiker meinte, dazu wäre das Deutsche Volk zu dumm. Wie so oft, umdrehen - dann wird ein Schuh daraus.