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Streiks in IranIm Namen des Regenbogengottes

Immer mehr Menschen in Iran legen ihre Arbeit nieder. Die Streikwelle und eine befürchtete Hyperinflation könnten für das Regime gefährlich werden.

Generalstreik in einer Raffinerie 1978: Die Streiks ebneten den Weg für den Sturz des Schahs Foto: Philippe Ledru/AKG

Berlin taz | „Im Namen des Regenbogengottes“: So beginnt ein Video, das streikende Industrie­arbeiter des iranischen Stahlunternehmens Rastak Paya in der Stadt Yazd Anfang dieser Woche veröffentlicht haben. Der Regenbogengott ist eine Anspielung auf Kian Pirfalak, einen neunjährigen Jungen, der im vergangenen November bei einer Schießerei durch iranische Sicherheitskräfte im Auto seiner Eltern getötet worden war. Nach seiner Ermordung teilte seine Familie ein Video, in dem der Neunjährige ein selbst gebasteltes Boot präsentiert. Er beginnt mit den Worten „im Namen des Regenbogengottes“.

Seither ist der Regenbogengott in Iran zu einem Symbol der Protestbewegung geworden, die seit der Ermordung von Jina Mahsa Amini im September 2022 durch die iranische Sittenpolizei einen Sturz des Regimes fordert. Was die streikenden Industriearbeiter mit der Protestbewegung vereint, ist ihre Unzufriedenheit mit der Staatsführung. Angefeuert durch die prekäre wirtschaftliche Lage im Land, kommt es seit vergangenem Freitag erneut zu einer Streikwelle, unter anderem in den südlichen Provinzen Fars, Chuzestan und Buschehr, der Metropole Isfahan sowie den kurdischen Gebieten des Landes.

In den vergangenen Monaten wurde immer wieder gestreikt, es sind die größten Streiks in der Geschichte der Islamischen Republik. Zahlreiche Ar­bei­te­r*in­nen legten letzte Woche ihre Arbeit nieder, um für deutlich höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen zu protestieren. Allein am Montag wurden mehr als 80 Betriebe im ganzen Land bestreikt. Betroffen sind vor allem die Betriebe der Petrochemie, doch auch Kupfer- und Stahlarbeiter sowie Personal aus dem Gesundheitswesen traten in den Streik.

Die Streikenden fordern eine Gehaltserhöhung um 79 Prozent, zehn arbeitsfreie Tage im Monat sowie mehr Sicherheit am Arbeitsplatz. Der Generalstreik bahnte sich schon Ende März an, als der Oberste Arbeitsrat, bestehend aus Vertretern der Regierung, der Ar­beit­ge­be­r*in­nen und regimenahen Ar­beit­neh­me­r*in­nen, am 20. März für das neue iranische Kalenderjahr eine Gehaltserhöhung um 27 Prozent beschlossen hat. Ar­bei­ter­ak­ti­vis­t*in­nen protestierten und forderten eine Mindestlohnerhöhung, die an die Inflationsrate angepasst ist.

Inflationsrate von 50 Prozent

Diese beträgt laut offiziellen Zahlen rund 50 Prozent und soll noch weiter steigen. Einige Experten warnen sogar vor einer Hyper­inflation. Gleichzeitig wurden die Preise für Waren und Dienstleistungen im ersten Monat dieses Jahres laut der iranischen Arbeitsnachrichtenagentur Ilna um 40 Prozent erhöht.

Zuletzt wurde in Iran in diesem Ausmaß und dieser Häufigkeit in den 1970er Jahren gestreikt. Zehntausende Ar­bei­te­r*in­nen streikten während der iranischen Revolution 1978/79 und lähmten den Staat. Die Streiks ebneten den Weg für den Sturz des Schahs. Die zahlreichen Arbeitsniederlegungen könnten der iranischen Führung also gefährlich werden.

Die iranische Wirtschaft ist zudem hauptsächlich von den Einnahmen aus dem Öl­export abhängig, daher bedeuten Streiks immer erhebliche Verluste für die Unternehmen und die Wirtschaft. Allein die Revolutionsgarde der Islamischen Republik, die sowohl eine zweite Streitmacht als auch ein großes Wirtschaftsimperium darstellt, macht ein bis zwei Drittel des Bruttoinlandsprodukts des Landes aus. Iran verfügt über eines der größten Öl- und Erdgasvorkommen, doch Missmanagement und Korruption führten unter anderem dazu, dass es in zahlreichen Städten in Iran im letzten Winter kein Gas zum Heizen und Kochen gab.

Immer häufiger gibt es Generalstreiks der Basare, von Lehrkräften und in zahlreichen anderen Branchen, vor allem aber in der Gas- und Ölindustrie. Allein im Jahr 2022 gab es laut der Menschenrechtsorganisation HRANA mindestens 1.289 Proteste und 225 Streiks von Gewerkschaften. Die meisten forderten mehr Gehalt, bessere Arbeitsbedingungen oder übten Kritik am Missmanagement der Unternehmen. Nach Ausbruch der landesweiten Proteste nach der Ermordung von Jina Mahsa Amini kam es zudem zu noch mehr Arbeitsniederlegungen, da sich die Bewegungen miteinander ­solidarisierten.

Für die Machthaber der Islamischen Republik stellen die Ar­bei­te­r:in­nen eine Bedrohung dar, weshalb unabhängige Gewerkschaften verboten sind und die Streikenden Repressionen fürchten müssen. Das iranische Exilmedium Iran International berichtet von Drohungen der Sicherheitskräfte gegen Ar­bei­te­r*in­nen. Immer wieder werden Streikende verfolgt und inhaftiert, wie beispielsweise die 38-jährige Narges Tusli aus Amol.

Im Dezember beteiligte sich die Ladeninhaberin an den landesweiten Streiks der Basare. Daraufhin versiegelten Sicherheitskräfte ihren Laden und sie wurde am 24. Dezember 2022 verhaftet, berichtet die kurdische Menschenrechtsorganisation Hengaw. Wie Tusli geht es auch anderen Streikenden und Aktivist*innen. Allein im Jahr 2022 wurden laut der Menschenrechtsorganisation HRANA mindestens 309 Ge­werk­schaft­le­r*in­nen inhaftiert.

Die meisten Streikenden sind nicht unbefristet bei den Unternehmen oder den jeweils zuständigen Ministerien angestellt, sondern haben befristete Verträge. Sie riskieren mit ihrer Teilnahme an den Streiks daher oft ihre einzige Lebensgrundlage.

Trotz der Repressionen ist politische Organisation im Verborgenen möglich. Im Februar 2023 schlossen sich 20 Gewerkschaften und zivile Organisationen in Iran zusammen und veröffentlichten eine Charta mit zwölf „Mindestforderungen als erste Handlungsaufträge“, die sie als „Grundlage für den Aufbau einer neuen, modernen und menschlichen Gesellschaft“ sehen. Sie fordern die Freilassung aller politischer Gefangenen, Abschaffung der Todesstrafe, Religions-, Meinungs- und Pressefreiheit, aber auch Arbeitsplatzssicherheit, Gehaltserhöhungen und die Freiheit zur Gründung von Gewerkschaften sowie vieles mehr.

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