Streiks in Deutschland und Frankreich: "Jeder verteidigt sein Beefsteak"

Bei den streikenden TransportarbeiterInnen in Frankreich stößt der aktuelle Arbeitskampf der deutschen Lokführer auf großes Interesse.

Nicht nur in Deutschland ein bekanntes Bild: Bestreikter Bahnhof in Frankreich Bild: dpa

PARIS taz Stillstand auf der Schiene. Zuspitzung zwischen Unternehmen und Gewerkschaften. Harte soziale Konflikte. Bei dem, was gerade in Frankreich und Deutschland passiert, handelt es sich um eine historische Premiere. Ein Eisenbahnerstreik, der die beiden Länder im Kern der EU lahmlegt - das hat es nie zuvor gegeben. Die Anlässe für die beiden Streiks mögen unterschiedlich sein: In Deutschland wollen die LokführerInnen eine Anhebung ihrer Löhne. In Frankreich wehren sich die EisenbahnerInnen gegen die Senkung ihrer Renten und gegen die Verlängerung ihrer Lebensarbeitszeit. Doch die Parallellität der Reaktionen ist unübersehbar.

"Alles anders", wollen dennoch die französischen Medien glauben machen, die über den Streik in Deutschland berichten. Sie sprechen von der "Disziplin" der Gewerkschaft GDL, deren Streik "perfekt" organisiert sei. Sie nennen das Stichwort "Verhandlungen", weil in Deutschland - anders als in Frankreich - zuerst verhandelt und erst dann gestreikt werde. Und sie weisen darauf hin, dass das Streikrecht in Deutschland nicht in der Verfassung steht und dass es keinen politischen Streik gibt.

Aber auf den großen Bahnhöfen in Paris, wo gestern Mittag die Vollversammlungen über eine Verlängerung des französischen Streiks um weitere 24 Stunden diskutieren, ist der so ganz andere Streik der deutschen KollegInnen in aller Munde. "Jeder verteidigt sein Beefsteak", sagt eine SNCF-Kontrolleurin an der Gare du Nord an ihrem zweiten Streiktag, "Recht haben sie", meint ein Schalterbeamter. "Natürlich empfinde ich mit ihnen", sagt ein TGV-Fahrer im Streik, "das sind Kollegen, die denselben Job machen wie ich und weniger verdienen als wir." Zugleich nennt TGV-Fahrer Pascal zumindest einen großen Unterschied zwischen seinen eigenen Arbeitsbedingungen und denen der deutschen KollegInnen: Er muss häufig aushäusig schlafen. Wenn er einen Dienst an einem Nachmittag antritt und dann einen Zug nach Nizza fährt, kommt er erst am Abend des Folgetages nachhause.

Am Ende der Karriere verdient einE französischeR LokomotivführerIn zwischen 2.500 und 2.800 Euro - von denen noch die Steuern abgezogen werden müssen. Das Problem beginnt mit der Rente. Denn die Sonntags-, Nacht- und Wochendendzuschläge fließen nicht in die Rentenberechnung ein. Ein Teil der 176.000 EisenbahnerInnen in Frankreich können wegen der Sonderregelung, die Staatspräsident Sarkozy jetzt abschaffen will, zwar schon mit 53,5 Jahren in Rente gehen. Doch die Renten, die sie bekommen, sind niedrig. Sie liegen zwischen 1.200 und 1.500 Euro.

Am zweiten Tag des Streiks der EisenbahnerInnen und anderen Transportbeschäftigten stimmten gestern erneut in ganz Frankreich Vollversammlungen mit großen Mehrheiten für die Verlängerung des Streiks. Gleichzeitig sprachen in Paris die Regierung und die Spitze der CGT von "Verhandlungen", bei denen "Fortschritte" sichtbar seien. Weniger euphorisch äußerte sich der Chef der Gewerkschaft FO. "Eine Verhandlung muss loyal sein", sagte Jean-Claude Mailly, "da muss alles auf den Tisch". Die zweitgrößte EisenbahnerInnengewerkschaft, SUD, die bei der letzten Betriebsratswahl 15 Prozent der Stimmen bekam, hat bis gestern nicht einmal die Einladung zu den "Verhandlungen" bekommen, von denen die Regierung in Paris seit zwei Tagen spricht.

Bei Vollversammlungen in Eisenbahndepots in der Provinz reagierten gestern sowohl CGT-Mitglieder als auch andere EisenbahnerInnen "verständnislos" auf die Spitze der CGT, die "zu viele Zugeständnisse" mache. Bei Lille wurde ein Weichenstellwerk blockiert. Landesweit zeichnen sich Stimmungen ab, wonach der Eisenbahnerstreik noch bis einschließlich Wochenende weitergehen könnte, wenn die Regierung kein "deutliches Zeichen" setzt. Ein solches Zeichen könnte zum Beispiel eine Erhöhung der Nachtzuschläge für LokomotivführerInnen sein, die gegenwärtig bei nur 0,20 Euro pro Stunde liegen. "Warum sollten wir ohne jede Gegenleistung zweieinhalb Jahre länger arbeiten und niedrigere Renten in Kauf nehmen", fragt TGV-Fahrer Pascal.

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