Streik: Schelte für die Pappkameraden
Der Warnstreik im öffentlichen Dienst trifft vor allem Eltern kleiner Kinder. Ein Drittel der fast 300 landeseigenen Kitas bleibt zu. Auf dem Wittenbergplatz fordern 6.000 Demonstranten mehr Lohn.
Sabine Bah wirkt etwas verloren zwischen all den Streikenden mit ihren Fahnen und Gewerkschaftsabzeichen. Mit ihrem Mann und dem zweijährigen Sohn Malik ist die 43-Jährige auf den Wittenbergplatz gekommen, um ihre Solidarität mit den Berliner Erzieherinnen zu bekunden. Normalerweise ist Malik um diese Zeit längst in der Kita. Die bleibt wegen des Warnstreiks aber geschlossen. "Wenn mein Kind nicht betreut wird, kann ich meiner Arbeit eigentlich auch nicht nachgehen", sagt sie.
Von seinem Dreirad aus beobachtet Malik, wie sich die Streikenden zur zentralen Kundgebung versammeln. Jemand drückt ihm eine riesige Gewerkschaftsfahne in die Hand. Erst blickt er skeptisch, dann lacht er. "Aus so einem Streik sollte sich ein Schneeballeffekt entwickeln, um den Forderungen Nachdruck zu verleihen", sagt Sabine Bah. Eltern sollten zeigen, wie wichtig die Kitas sind - und nicht zur Arbeit gehen, wenn die Kita geschlossen bleibt. Ihrem Beispiel folgen aber nur wenige. Nach Angaben der Gewerkschaft Ver.di haben sich mehr als 6.000 Menschen auf dem Platz versammelt, rund 4.000 von ihnen arbeiten im öffentlichen Dienst. Aufgerufen hatte Ver.di, die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) und die Gewerkschaft der Polizei (GdP).
Fast zynisch wirken die gelben Gewerkschaftswesten vieler Streikender neben dem Edelkaufhaus KaDeWe. Um Luxus geht es auf dem Wittenbergplatz nicht. "Wir sind hier, weil es uns reicht", ruft Ver.di-Streikleiter Werner Röpke. "Wir haben es satt, dass uns der Bürgermeister mit seinem 'arm, aber sexy' abspeist." Um die Finanzkrise des Senats zu mildern, haben die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes vor vier Jahren auf zehn Prozent ihres Einkommens verzichtet. Trotzdem sollen sie immer mehr leisten. Die Gewerkschaften fordern nun Einmalzahlungen von dreimal 300 Euro und 2,9 Prozent mehr Gehalt für die Angestellten im öffentlichen Dienst. Für die Arbeiter wollen sie eine Lohnsteigerung von acht Prozent.
Unter den Streikenden sind viele Beschäftigte der 283 landeseigenen Kitas. Fast alle Einrichtungen beteiligen sich am Streik, ein Drittel sind geschlossen geblieben. Andere haben Notdienste zur Betreuung eingerichtet.
Monika Feis hat ihre Kita in Neukölln geschlossen. Die 47-jährige Leiterin hofft auf die Signalwirkung des Protests. "Unsere Arbeit muss mehr wertgeschätzt werden", sagt sie. Ihre Angestellten seien hochmotiviert, das Bildungsprogramm des Senats umzusetzen. Das sieht zum Beispiel eine bessere Sprachförderung der Kinder vor. Dafür fehlt es aber an Zeit und Personal. "Wir haben immer weniger Geld zur Verfügung, unsere Arbeit soll qualitativ aber immer besser werden", sagt Feis.
Von der Bühne aus wirft Roepke dem SPD-Finanzsenator Thilo Sarrazin Realitätsverlust vor. "Ein Prozent mehr Lohn ab 2014 -Herr Sarrazin ist doch nicht ganz bei Trost." Das Land verzocke jährlich Millionen, für seine Beschäftigten bleibe nichts mehr übrig, sagt Roepke. Dabei stehe es um dem Landeshaushalt gar nicht mehr so schlecht. Deshalb sei der Einkommensverzicht von damals auch überholt. "Das Geld ist nicht weg", sagt Roepke, "es haben bloß die anderen."
Für die Politik des Senats haben viele der Versammelten nur Kopfschütteln übrig. "Alle reden von Jugendkriminalität, und uns streichen sie die Stellen", sagt Achim Fellwock. Der 54-Jährige ist Sozialarbeiter in Charlottenburg-Wilmersdorf. Fellwock hat eine Vollzeitstelle. Im Monat bleiben ihm 1.500 Euro netto. "Die gestiegenen Preise zahle ich ja trotzdem", sagt er.
Roepke ist beeindruckt von der Streikbeteiligung. "Wir hatten eine sehr gute Stimmung. Es ist deutlich geworden, dass die Beschäftigten wütend sind." Wie es weitergeht, hänge vom Senat ab. Der will bisher aufgrund des geltenden Tarifvertrags keine Verhandlungen aufnehmen.
Nach der Kundgebung geht Sabine Bah doch zur Arbeit, ihr Mann nimmt Malik mit nach Hause. Der muss die Kita für den Rest des Tages ersetzen.
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