Streik bei Tiktok in Berlin: Alle Feeds stehen still
Künstliche Intelligenz ersetzt keine Arbeit, es lagert sie nur aus. Um dem etwas entgegenzusetzen, braucht es mehr Arbeitskämpfe wie bei Tiktok in Berlin.

E s war eine kleine Sensation, als rund die rund sechzig Tiktok-Mitarbeiter:innen in der vergangenen Woche in Berlin mit lautem Jubel an der Spree anlegten. Weltweit zum ersten Mal legten die Arbeiter:innen eines der großen Social-Media-Konzerne die Arbeit nieder – stilecht mit einer Streikkundgebung auf einem Ausflugsdampfer vor der Konzernzentrale. Der Streik zeigt: In ihren KI-getriebenen Profitfantasien haben Techunternehmen wie Tiktok, Meta und X die Rechnung ohne die Menschen gemacht, die ihre Plattform am Laufen halten.
Anlass für den Streik sind die Pläne von Tiktok, die gesamte „Trust and Safety“-Abteilung, die für die Moderation von Inhalten verantwortlich ist, in Deutschland aufzulösen. Übernehmen sollen die Aufgabe in Zukunft in verstärktem Maß automatisierte KI-Lösungen und externe Dienstleister. Betroffen sind rund 160 Mitarbeiter:innen.
Bemerkenswert ist, dass es der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi gelungen ist, die Belegschaft innerhalb kürzester Zeit zu organisieren. In dem Unternehmen arbeiten viele junge und migrantische Menschen, die wenig Erfahrung mit gewerkschaftlicher Organisierung und Arbeitsrecht haben. Zudem sind Beschäftigte, die keinen EU-Pass besitzen, auf einen Arbeitsvertrag angewiesen, der ihnen Bleiberecht ermöglicht.
Dass es Verdi trotz dieser erschwerten Umstände gelungen ist, ist auch ein Ausdruck der Unzufriedenheit der Mitarbeiter:innen: Wertschätzung für die mental extrem belastende Arbeit, bei der sie tagtäglich mit Gewalt, Tod und Menschenhass konfrontiert sind, bekommen sie nicht. Stattdessen sollen sie durch einen Algorithmus ersetzt werden, den sie auch noch selbst trainiert haben.
Der Puls der Stadt schlägt heute im Netz – vor allem auf TikTok. Hier werden Stars geboren, Trends gesetzt und Wahlkämpfe entschieden. Die taz berlin schaut in die digitale Paralllwelt. Alle Texte der Serie finden sich unter dem Schwerpunkt „Berlin tokt“.
Outsourcing statt Ersetzen
Tiktok ist dabei kein Einzelfall. Auch andere Tech-Riesen wie Amazon, Intel oder Meta entlassen weltweit Tausende Beschäftigte. Allein der Softwarehersteller Microsoft baute in diesem Jahr 15.000 Stellen ab. Ein Hauptgrund für die Entwicklung ist der zunehmende Einsatz von Künstlicher Intelligenz, etwa beim Schreiben von Programmcodes.
Die Entlassungen nähren die Befürchtung, dass KI uns in naher Zukunft sämtliche Büro- und Kreativjobs überflüssig machen wird. Doch die Angst geht am eigentlichen Problem vorbei, denn auch Künstliche Intelligenz funktioniert nicht ohne menschliche Arbeit. Es sind und bleiben Menschen, die die Algorithmen trainieren, warten und optimieren – meist von unterbezahlten Clickworkern in Ländern des globalen Südens. Der Schritt, Stellen zu streichen und durch KI zu ersetzen, lagert die Arbeit im Grunde nur aus und macht sie dadurch unsichtbar.
Dass sich nun die Tiktok-Angestellten in Berlin gegen ihr Outsourcing wehren, darf gern Modell für die gesamte Tech-Branche werden. Die im Vergleich zu anderen Branchen zunächst absurd hoch klingenden Forderungen nach einer Abfindung in Höhe von drei Jahresgehältern und einer Kündigungsfrist von einem Jahr sind gerechtfertigt. Denn wenn jemanden die Profite der durch KI ermöglichten Effizienzsteigerungen zustehen, dann den Arbeiter:innen, die sie entwickelt und trainiert haben.
Wichtige Voraussetzung für einen erfolgreichen Arbeitskampf bleibt jedoch die Solidarität unter den Tech-Arbeiter:innen. Es dürfte Tiktok wenig stören, wenn die ohnehin schon gekündigten Content-Moderator:innen streiken. Erst wenn auch der Rest der Belegschaft mit in den Ausstand tritt und das reibungslose Funktionieren der Plattform ernsthaft gefährdet wird, wird der Druck groß genug sein, damit die Unternehmensführung einlenkt. Es bleibt zu hoffen, dass der erste Streik in einem Social-Media-Unternehmen auch der erste erfolgreiche Streik wird.
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