Strategiespiel Anno 117: Urlaub in Italien
Das Strategiespiel „Anno“ inszenierte Geschichte bisher als gewaltfreie Wohlfühlwelt. Ob das im neuen Teil besser wird, zeigt sich Ende dieses Jahres.
Die Sonne strahlt auf die unberührte Insel nieder, als ich mit meinem Schiff zum weißen Sandstrand segele. Glück gehabt, denn hätte sich hier bereits die Konkurrenz niedergelassen, wären meine Expansionspläne für den Anbau von Oliven komplizierter geworden. Diese wachsen nicht auf meiner Hauptinsel, wo die angesiedelten Plebejer*innen ungeduldig auf Olivenöl warten, ohne das sie nicht zur nächsten Stufe aufsteigen – was mich hinter die Konkurrenz zurückwirft und die Gefahr erhöht, das Spiel zu verlieren.
Diese Szene stammt aus der exklusiven Demo des Aufbau-Strategiespiels „Anno 117: Pax Romana“, das beim Entwicklungsstudio Ubisoft Blue Byte in Mainz entsteht und Ende dieses Jahres erscheinen soll.
In der Spielereihe erobern die Spieler*innen in lose referenzierten historischen oder futuristischen Epochen unentdeckte Inselwelten und versuchen, die Bedürfnisse der Siedler*innen zu erfüllen. Die komplexer werdenden Warenketten benötigen Bauplätze, weshalb die Spieler*innen weiter expandieren und neue Inseln in Besitz nehmen müssen – bevor die Mitspieler*innen den begrenzten Raum einnehmen.
Dieses expansive Spielprinzip ist nicht nur „Anno“ inhärent, wie unter anderem Medienwissenschaftler Rolf Nohr deutlich macht: Viele Strategiespiele forderten ihm zufolge die Expansion als Siegbedingung ein, unabhängig davon, ob der Fokus auf das Siedeln wie in „Anno“ oder das Kämpfen wie in „Age of Empires“ im Vordergrund stehen.
Im Gegensatz zu „Age of Empires“ begreift sich die „Anno“-Serie jedoch als idyllischer Aufbauspaß, was zur expansionistischen Spiellogik einen besonders starken Kontrast darstellt. Historische Bezüge und Positionierungen der Spieler*innen als europäische Großmacht werden außer Acht gelassen.
Wohlfühlatmosphäre statt kolonialer Gewalt
Aus dem linken Spektrum der Gaming-Community wird der Spieleserie deshalb vorgeworfen, koloniale Verbrechen zugunsten einer Wohlfühlatmosphäre auszuklammern. Umfangreich wurde zum Beispiel auch die fehlende Darstellung kolonialer Gewalt und Versklavung in „Anno 1800“ besprochen, welches mit dem deutschen Computerspielpreis ausgezeichnet wurde.
„Anno 1800“ drückt sich vor der Darstellung kolonialer Gewalt, indem die Inselwelten als Terra Nullius und die Spieler*innen als willkommene Problemlöser*innen inszeniert werden, wenn sie aus dem Norden in die südlichen Gebiete vorstoßen.
Damit wird die Eroberung als konfliktfrei und positiv für alle dargestellt – und jenes europäische Selbstbild reproduziert, das schon die imperialen Großmächte des 19. Jahrhunderts pflegten. Wenn es zu Kämpfen kommt, dann sind diese nur zwischen den kolonisierenden Spieler*innen möglich.
Die Spieldynamik verändert sich
Die Inszenierung von Terra Nullius fällt nun bei „Anno 117“ wieder auf: Spieler*innen werden vom „Imperator“ in eine unerschlossene Provinz gesandt, um diese im römischen Stil zu zivilisieren. Die übliche Spiellogik bleibt unverändert; die Bevölkerung wird nur durch Expansion mit allen Gütern versorgt. Gewaltvolle Aspekte des historischen Settings vermeidet das Spiel dieses Mal nicht gänzlich; so soll das Thema der Versklavung zumindest auf narrativer Ebene breiter verhandelt werden.
Interessant könnte auch die Rolle der als keltisch inszenierten Siedler*innen werden, die in der Demo noch nicht spielbar waren. Laut bisheriger Informationen bemühen sich die Entwickler*innen, die keltisch und römisch referenzierte Lebensweise als gleichwertig gegenüberzustellen und den Spieler*innen zu überlassen, in welchem Verhältnis die Siedler*innen zueinander stehen. Das verändert die Dynamik des Spiels, dessen Vorgänger die nördliche Region als Mutterland und den Süden als zu kolonisieren positioniert hat.
Die expansive Logik des Spiels wird zwar nicht gänzlich entschärft, doch „Anno 117“ ist nicht etwa wie „Anno 1800“ ein Sandkasten für die imperialen Fantasien weißer Männer. Stattdessen werden genau diese Logiken kritisch hinterfragt. In Anbetracht des zurückkehrenden Fandoms des Römischen Reichs ist das begrüßenswert.
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