Straßenumbenennung in Berlin: Koloniale Atmosphäre ist verpufft
Vom Hermannplatz zweigt nun die Lucy-Lameck-Straße ab. Damit ist die nach einem Kolonialverbrecher benannte Wissmannstraße in Neukölln Geschichte.
Denn auch an der Straße selbst sind die Schilder am Donnerstagvormittag schon abmontiert, auch hier sucht man vergebens nach dem alten Namen, aber auch die Lucy-Lameck-Straße ist noch nicht sichtbar. Unscheinbar, bei näherem Betrachten aber doch prägnant, hebt sich im 90-Grad-Winkel zum Straßenschild der Karlsgartenstraße eine strahlend silbrige, neu angebrachte Halterung vom Himmel ab. Vermutlich wird das neue Schild hier anmontiert.
Jene Befestigungsmöglichkeit markiert also das Ende einer Ära, in der die Straße durch ihren ehemaligen Namensgeber, Hermann von Wissmann (1853–1905) und die zivilgesellschaftliche Kritik an ihm geprägt war. Der Reichskommissar und Gouverneur des damaligen Deutsch-Ostafrika (heute Tansania, Burundi und Ruanda) hat mit seinen militärischen Expeditionen in den deutschen Kolonien schwerste Verbrechen begangen. Er führte einen gewaltsamen Feldzug gegen die Bevölkerung, plünderte Dörfer, setzte sie in Brand und schlug Widerstände brutal nieder.
Nach jahrezehntelangen Bemühungen des Vereins Berlin Postkolonial, der sich für die Umbenennung zur Würdigung von Opfern und Gegner*innen des deutschen Kolonialismus engagiert hat, ändert der Berliner Bezirk Neukölln nun den Straßennamen. Die neue Namensgeberin ist Lucy-Lameck (1934–1993), die erste Frau im Regierungskabinett Tansanias. Sie setzte sich als eine der wichtigsten afrikanischen Vorkämpferinnen für die Rechte der Frauen im 20. Jahrhundert ein.
Weitere Umbenennungen in Planung
Neukölln ist nach Friedrichshain-Kreuzberg, wo bereits 2010 das Gröbenufer in May-Ayim-Ufer umbenannt wurde, der zweite Bezirk, der eine solche Straßenumbenennung vornimmt. Ähnliche Pläne gibt es in Mitte und in Charlottenburg-Wilmersdorf (dort gibt es auch noch eine Wissmannstraße).
Am Donnerstagvormittag ist auf der Lucy-Lameck-Straße kaum Betrieb. Die Straße ist wenig befahren, mal kreuzt eine Kindergartengruppe, mal ein älterer Herr. Es rumpelt, wenn ein Kleintransporter über das Kopfsteinpflaster fährt. Die kolonialistische Atmosphäre scheint durch das fehlende Straßenschild verpufft zu sein.
Im vergangenen Jahr sagte Cordula Klein, Fraktionsvorsitzende der SPD in der BVV Neukölln und stellvertretende Vorsitzende des Bildungsausschusses, der taz, dass Spaziergänger*innen stehen bleiben sollten, um zu überlegen, warum die Straße umbenannt wurde. Das wäre wünschenswert – vielleicht tut das auch jemand, sobald hier die angekündigte Stele steht. Doch wegen eines fehlenden Straßenschilds schaut sich hier noch niemand verwirrt um. Doch so unscheinbar und unbemerkt, wie sich der neue Straßenname in die Onlinekarten und das Straßenbild einfügt, so markant bleibt doch das Zeichen gegen Kolonialpropaganda.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
„Männer“-Aussage von Angela Merkel
Endlich eine Erklärung für das Scheitern der Ampel
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“