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Straßenproteste in RumänienDreieinhalb Jahre Haft für Parteichef

Der Chef der rumänischen Regierungpartei muss in Haft. Tausende Demonstranten fodern den Rücktritt der Regierung. Doch in seiner Partei gibt es kaum Kritik.

Verurteilt zu dreieinhalb Jahren Haft: Rumäniens inoffizieller Regierungschef Liviu Dragnea Foto: AP

Bukarest dpa | Liviu Dragnea, Vorsitzender der regierenden rumänischen Sozialdemokraten (PSD), ist am Donnerstag vom obersten Gericht des Landes in erster Instanz zu drei Jahren und sechs Monaten Haft ohne Bewährung wegen Anstiftung zum Amtsmissbrauch verurteilt worden. Daraufhin demonstrierten erneut Tausende Rumänen in der Hauptstadt Bukarest und in weiteren Universitätsstädten für den Rücktritt der Regierung.

Die PSD will am Freitag in einer Eilsitzung des Parteipräsidiums und der regionalen Parteichefs über das weitere Vorgehen entscheiden. In ersten Reaktionen nannten manche PSD-Politiker das Urteil „ungerecht“. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, es kann vor einer anderen Kammer des obersten Gerichts angefochten werden.

Dragnea ist zugleich Präsident des Abgeordnetenhauses und damit dritter Mann im Staat. Er war beschuldigt worden, einst als Regionalpräsident im südrumänischen Bezirk Teleorman für fiktive Anstellungen beim Jugendamt mitverantwortlich gewesen zu sein. Die zwei fiktiven Angestellten hatten laut Urteil von 2006 bis 2013 Gehalt von dem Amt kassiert, aber für die Partei PSD gearbeitet. In der gleichen Sache verurteilte das oberste Gericht neun weitere Personen zu Haftstrafen.

Dragnea gilt als treibende Kraft der laufenden Bemühungen der Regierung von Ministerpräsidentin Viorica Dancila, den von der EU sehr gelobten Kampf der Staatsanwaltschaft gegen Korruption zu bremsen. Weil er bereits wegen versuchter Wahlmanipulationen vorbestraft ist, darf Dragnea nicht selbst Ministerpräsident werden, jedoch kontrolliert er faktisch die Regierung.

Parteiinterne Kritiker halten sich zurück

Dancila, die als Dragneas Marionette gilt, nannte das Urteil „willkürlich“. Ohne eine rechtskräftige Verurteilung gelte für Dragnea die Unschuldsvermutung.

Innerhalb der PSD gibt es auch Dragnea-Kritiker, die sich aber bislang eher zurückgehalten haben. Nur die von Dragnea an den Rand gedrängte frühere PSD-Vizepräsidentin Ecaterina Andronescu rief ihren Parteichef auf, jetzt „an das Schicksal des Landes zu denken“. Kritiker der Regierung hoffen, dass das Urteil innerhalb der PSD eine kritische Masse gegen Dragnea in Bewegung setzen werde.

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2 Kommentare

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  • Interessant, dass wir über innenpolitisches Vorkommen dadrüben informiert werden, und dass der Kampf gegen Korruption Unterstützung hat, aber zu selten liest man über den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zusammenhang in unseren neuesten Brüderländern, der auch manches klärt.

    Hier ein Bericht (Alltagsleben) über die Lage der Arbeitnehmerschaft in Rumänien: ein paar hunderteuro im Monat und absolut kein Recht für die Glückspilze, die ein Job haben, null Rente, mit siebzig weiter für die ganze Familie malochen, Eigenverbrauch/Konsum.

    Unklar ist, wer die Profitmacher am Ende der Kette sind, klar ist aber, dass das Aufrüsten bei der EU-Eingliederung nicht nur politisch/demokratisch dürftig ist, auch wirtschaflich, vom Wirtschaftliberalismus Niveau Law of the jungle abgesehen. https://www.arte.tv/de/videos/076893-000-A/rumaenien-armut-made-in-europe/

    Arte bis zum 4.09.2020 wiederzusehen

    • @Eulenspiegel:

      Solche Missstände gehen aber meist Hand in Hand mit einer korrupten Regierung, die z.B. dafür sorgt, dass es keine Rechtssicherheit gibt.

      Dennoch: Trotz aller Probleme gab es in Rumänien in den letzten Jahren hohe Lohnsteigerungen, so dass sich die Lage trotz aller bestehender Missstände deutlich verbessert: https://de.tradingeconomics.com/romania/wages-in-manufacturing