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Straßburger Urteil zu SterbehilfeKein Recht auf milden Suizid

Ein Witwer, dessen Frau in der Schweiz Hilfe zum Freitod bekam, hat eine Klage gegen den deutschen Staat gewonnen. Deutsche Gerichte müssen sich nun mit Sterbehilfe befassen.

Natrium-Pentobarbital: Darf in Deutschland nicht für Sterbehilfe verwendet werden – in der Schweiz schon. Bild: dpa

FREIBURG taz | Eine lebensmüde Patientin hat keinen Anspruch auf die Gewährung von Selbstmordmedizin. Das entschied jetzt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Allerdings dürfen deutsche Gerichte die Prüfung dieser Frage nicht einfach verweigern, nur weil die Frau inzwischen tot ist und der Witwer die Klage fortführt.

Der Fall Bettina Koch war dramatisch. Die Frau stürzte im April 2002 beim Ausladen ihres Autos und brach sich den Nacken. Seither konnte die Hundepflegerin nur noch den Kopf bewegen. Das Herz trieb ein Herzschrittmacher, im Magen ernährte sie eine Sonde und künstlich beatmet wurde sie auch. Trotz der Lähmung spürte sie am ganzen Körper Schmerzen.

Die Ärzte aber erklärten, ihr Zustand sei stabil und sie habe noch viele Jahre zu leben. Da beschloss Bettina Koch, dass sie sich selbst das Leben nehmen will. Sie stellte beim Bundesamt für Arzneimittel in Bonn den Antrag auf Abgabe einer tödlichen Dosis Natrium-Pentobarbital. Das Narkosemittel führt nach Angaben von Experten zu einer Art „natürlichem Einschlafen“.

Doch das Bundesamt lehnte Kochs Antrag unter Berufung auf das Betäubungsmittelgesetz ab. Die Vernichtung von Leben sei im Gesetz nicht vorgesehen. Also ließ sich Bettina Koch im Februar 2005 in die Schweiz fahren, begleitet von Mann und Tochter. Dort ging sie dann mit Hilfe der Schweizer Organisation Dignitas in den Freitod – mit Natrium-Pentobarbital, das dort an lebensmüde Schwerstkranke verschrieben werden darf.

Ihr Mann Ulrich Koch allerdings führte das Verfahren gegen das Bonner Bundesamt fort. Der Rentner will erreichen, dass künftig auch in Deutschland ein risikoloser und schonender Suizid möglich wird. Bisher hatte er damit keinen Erfolg: Die Verwaltungsgerichte in Köln und das Bundesverfassungsgericht lehnten seine Klagen schon aus formalen Gründen ab – er selbst könne nicht für einen menschenwürdigen Tod seiner Ehefrau klagen. Die Frau hätte das Verfahren selbst betreiben müssen, statt sich einfach umzubringen, so die etwas zynische Begründung der Richter.

Privatleben beeinträchtigt

In Straßburg sieht man das anders. Weil Koch sich so intensiv um das Schicksal seiner Frau kümmerte, sei auch sein Privatleben durch die Verweigerung der Selbstmordmedizin beeinträchtigt worden. Er hätte deshalb in Deutschland eine Möglichkeit zur gerichtlichen Klärung haben müssen. Der Gerichtshof verurteilte Deutschland zur Zahlung von 2.500 Euro Schmerzensgeld.

Koch könnte nun also erneut beim Verwaltungsgericht Köln klagen. Ziel wäre die Feststellung, dass seiner Frau das Natrium-Pentobarbital rechtswidrig verweigert wurde. Diese Klage könnte er dann durch die Instanzen bis zum Bundesverfassungsgericht treiben. Er müsste dabei aber auf mutige Richter hoffen, denn eigentlich spricht die deutsche Rechtslage gegen Koch.

Wie erwartet, hat sich der Europäische Gerichtshof in Straßburg in dieser Sache ganz zurückgehalten. Die Richter betonen, dass es bisher keinen Konsens in Europa gebe. Es sei deshalb Sache der Nationalstaaten und ihrer Gerichte, über die Zulässigkeit der Hilfe zum Selbstmord zu entscheiden.

Tatsächlich geht die Tendenz eher in die andere Richtung: Nach einer Untersuchung des Gerichtshofs ist es derzeit nur in 4 von 42 untersuchten europäischen Staaten erlaubt, Patienten ein Medikament zum Zweck der Selbsttötung zu verschreiben. Gemeint sind die Schweiz, Belgien, Niederlande und Luxemburg. Die meisten Staaten verbieten jede Hilfe zum Selbstmord.

Deutschland ist also noch relativ liberal. Bei uns wird private Hilfe zum Selbstmord nicht bestraft. Allerdings dürfen Ärzte und Apotheker nicht daran mitwirken.

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17 Kommentare

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  • N
    Namenlose

    Achtung, liebe Redakteure der taz und liebe Leser: Die Beihilfe zum Suizid ist in Deutschland eben nicht in jedem Fall straffrei!

     

    Sie schreiben: "Deutschland ist also noch relativ liberal. Bei uns wird private Hilfe zum Selbstmord nicht bestraft. Allerdings dürfen Ärzte und Apotheker nicht daran mitwirken."

     

    Das ist in mehrfacher Hinsicht falsch! Ich lese so etwas immer wieder und es kommt immer wieder zu Gerichtsverfahren, in denen Menschen wegen dieses verbreiteten Halbwissens verurteilt werden, denn "Suizidbeihilfe ist straflos" hat einen verheerenden zweiten Halbsatz!

     

    Bitte informieren Sie die Menschen umfassend über eine mögliche Strafbarkeit wegen des sog. "Tatherrschaftswechsels" des BGH, über die Möglichkeit einer Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung und der unterlassenen Hilfeleistung!

    • @Namenlose:

      Das Problem ist häufig, dass die Angehörigen sich dabei auch noch falsch verhalten. Sobald der Sterbewillige ins Koma gefallen ist, müßte der Angehörige eigentlich den Arzt rufen. Wenn er aber gerade im Nebenzimmer ist, kann er das nicht. So war zumindest mein Kenntnisstand.

  • M
    Margot

    Ein Leben mit Schmerzen, oder Krankheiten wo sie langsam ersticken absolut keine Lebensqualität mehr haben auch die Angehörigen dadurch, das muss ein Mensch erleiden und qualvoll sterben weil ein Staat das will ?

    Ein Mensch der kaum Geld hat um noch überleben zu können (Rentner z.B.) die nur noch daheim im Sessel sitzen können, weil sie wegen Altersarmut am Leben draußen nicht mehr teilnehmen können, die müssen noch Jahre auf den Tod warten weil ein Staat das so will? Der Staat hat ihm doch dieses bescheidene Leben per Gesetz auferlegt durch die minimale Rente, dann will er ihm auch noch den Suizid verbieten ?

    Suizid soll und muss straffrei sein , welches Mittel da auch genommen wird. Lieber irgendwann wieder kommen, es besser zu machen bleibt zu hoffen, das die Welt sich dann zum Positiven verändert hat, falls es die Welt dann noch gibt nach all den Horrormeldungen und der Uneinsich-tigkeit die Erde respektieren zu müssen und nicht nur auszuplündern um Milliarden damit zu machen, völlig egal ob Millionen Menschen in Afrika darum hungern und im Elend versinken.

    • @Margot:

      Sie Ärmste, man möchte beinahe glauben, Sie wären nicht in einer BRD des Wohlstandes aufgewachsen und würden lieber mit einer anderen Zeit oder einem anderen Ort wechseln. Vielleicht ist IHnen schon aufgefallen, dass ausgerechnet wegen der von Ihnen als "Armut" bezeichneten Sozialleistungen Millionen ins Land wollen? Vielleicht verzieht es Ihnen einfach die Maßstäbe?

  • I
    irmi

    Hr. Banse hören Sie mir doch auf von kirchlicher Moral zu reden 5 Gebot nennt sich das. Lesen Sie doch mal nach was die Kirchen schon alles verbrochen haben.

    Jeder Mensch hat das Recht sein Leben zu beenden. Bin nicht mehr im kirchlichen Verdummungsverein, also kann ich machen was ich will und wetten der liebe Gott ist mir nicht böse, er freut sich mich zu sehen. All die kirchlichen Gesetze sind nie bewiesen worden direkt von Gott zu sein, nichts von all dem was in diesen Büchern steht ist bewiesen von Gott so gesagt worden zu sein. In meinen Augen sind das Leute die ihre Schafe unter Kontrolle halten wollten. Das AT ist grausamste Buch in meinen Augen. Als mir mal ein Kaplan das so heilige Buch über den Schädel gezogen hat bin ich vom Glauben abgefallen. Ich glaube Gott ist gütig und liebevoll, alles andere ist für mich............

  • BS
    Bernd Schröder

    Jeder Hund hat mehr Rechte in Deutschland als Menschen. Unfassbar.

     

    Ich habe noch nie verstanden, wie es sein kann, dass wir diese Frage überhaupt diskutieren müssen. Es wäre für mich absolut selbstverständlich gewesen, dass jeder Mensch über sein eigenes (Ab-)Leben völlig frei selbst entscheiden kann. Dass wir um staatliche "Erlaubnis" für unseren Tod bitten und betteln müssen, so dass wildfremde Leute, die uns gar nicht kennen und deren Meinung uns eigentlich überhaupt nicht interessiert, uns gewaltsam Vorschriften machen können. Natürlich nur zu unserem Besten... die fremden gewalttätigen Bürokraten sind ja sicher völlig motiviert, uns nur Gutes zu tun. Deswegen braucht man ja auch Gewalt: Wir sind schließlich alle zu blöd, um zu erkennen, dass nur die Bürokraten die einzig wahre Lebens- und Sterbensphilosophie besitzen, die natürlich für alle gelten muss, auch gegen ihren Willen, also auch uns dumme Bürgerinnen und Bürger, zu blöd um zu sehen, was für ein unfassbar wertvolles Geschenk uns der Staat mit den Demütigungen, den körperlichen Autonomieverletzungen und dem Zwang zum langsamen und qualvollen Abkratzen gemacht hat!

     

    Die Wahrheit ist, dass Deutschland im Kern eine totalitäre Gesellschaft ist. In einer freien Gesellschaft wäre es unfassbar, dass wir diese Frage überhaupt erörtern müssten. Es wäre selbstverständlich, dass ein freier Mensch in eine Apotheke gehen kann, um Natrium-Pentobarbital von einem freien Apotheker zu kaufen, der es freiwillig verkauft. Und dann könnte man es einfach selber einnehmen.

     

    Bizarre Ironie: Es bleibt uns sehr wohl noch der Strick oder der Zug. Qualvoll, krude, unerträglich, aber es funktioniert. Und dann sind wieder alle ganz "erschüttert".

  • A
    aurorua

    Wo kämen wir denn da hin, wenn jeder der noch unter Schmerzen zuckt und noch irgendwie mit Hilfe von Technik und Chemie, über seine Krankenversicherung, finanziell bis zum letzten ausgesaugt und ausgepresst werden kann, hergeht und einfach nicht mehr leben will.

    Die Kohle wird gesaugt und abgepresst solange irgend möglich, humanes Ableben, pahhhh, solange was zu holen ist hat gefälligst weiter gelitten zu werden, selbst wenn die Luft schon nach Tod und Verwesung stinkt, bis zur letztmöglichen Zuckung wird abgegriffen, denn GELD ist ja soooo geil.

  • L
    leme

    es heißt nicht "selbstmord" sondern suizid oder selbsttötung. selbstmord ist umgangssprachlich zwar gebräuchlich aber inhaltlich falsch. was klar wird wenn man sich der definition des wortes "mord" klar ist.

     

    Ich hätte von der TAZ solche fehler nicht erwartet.

    • @leme:

      "Selbstmord" paßt schon. Es suggeriert etwas Negatives. Lediglich bei prominenten Personen wird dann eher von "Freitod" gesprochen, was ich bevorzugen würde.

  • E
    Eulenspiegel

    Sollte eines Tages (das ist sehr wahrscheinlich)kein Geld mehr für alte und leidende Schwerst- Kranke zur Verfügung stehen, dann wird man ohne Skrupel, das Grundgesetz ändern. Dann wird man "mit Vergnügen einschläfern". Im Neo-Liberalismus wird nach Kassenlage entschieden. Wenn Krankheit zu teuer wird, werden andere Geschütze aufgefahren. Und die Richter werden dann, "sobald der Wind sich gedreht hat" auf Humanität schei...Die da oben entscheiden nach Lust und Laune.Die Schwerstkranken sollten zu Lobbyisten werden und die Parteien mit kräftigen Spenden unterstützen-, vielleicht geschieht dann was zu ihren Gunsten.

  • JB
    Jörn Bünning

    Leider wird auch aus diesem Artikel nicht ersichtlich, wer zunächst gegen das Bonner Bundesamt geklagt hatte: Ehemann oder Ehefrau.

    In Deutschland gilt der Grundsatz, das für einen Verstorbenen keine Klage geführt werden kann. Allerdings kann der Mann als mittelbar Betroffener eines schwerkranken Lebenspartners selbst eine Klage führen. Das könnte ihm jeder Rechtsanwalt erklären.

  • ...

    "Die Vernichtung von Leben sei im Gesetz nicht vorgesehen" (außer bei der Abtreibung von Föten)...

    Das ist ja fast mittelalterliche Bimoral...

    aber in einem christlich regierten Land kann man sowiso nichts anderes erwarten...

     

    kann die Frau froh sein wenn sie neben ihren Schicksal nicht noch zusätzlich für immer in die Hölle kommt als Selbstmörderin, oder ?

  • MM
    Markus Müller

    Jeder Diktator hat seine Zyankalikapsel um sich schnell und relativ schmerzlos von hier nach dort zu bringen,aber Otto Normalo läßt man bei lebendigem leibe verfaulen und weil der Todgeweihte ja eine Abhängigkeit entwickeln könnte wird auch mit Schmerzmitteln ordentlich gegeizt.Ach unser Leben wird so schön geregelt.

  • WB
    Wolfgang Banse

    Ohrfeige für Deutsche Gerichtsbarkeit

    Der Menschengerichtshof in Straßburg rügte die Deutschen Gerichte ,was ihre Verfahrensweise anbetrifft.

    Sterbehilfe sollte im Bezug auf die Euthasenie strafbar bleiben,auch in einem christlichen Abendland,was das 5. Gebot anbetrifft.

  • KK
    Konrad Kuklinsky

    Ja,der Gesetzgeber ist schon gemein. Allerdings sollte man vielleicht auch nicht immer nur nach dem Staat schreien und alles bis in's letzte (hier sogar im wahrsten Sinne des Wortes) geregelt haben wollen, das ist doch sehr bürokratisch.

     

    Ich weiß gar nicht, wo das Problem liegt - in jeder größeren deutschen Stadt gibt es eine Ecke, wo die Junkies rumlungern und ihre Geschäfte machen, in Berlin z.b. rund um den Kotti. Dort kann man tagsüber binnen weniger Minuten für 20 Euro Methadon-Tabletten erstehen und die 200mg von dem Zeug, die man dafür kriegt, überlebt kein "normaler" (sprich: nicht an Opiate habituierter) Mensch. Und es ist sogar ein angenehmer Tod: Zunächst noch eine Stunde großer Euphorie, Zeit zum Abschied nehmen von den Liebsten, dann einschlafen, dann ersticken. Garantiert schmerzfrei und absolut totsicher.

  • R
    rudolfo

    Schon komisch - das ungeborene und das enden wollende Leben soll mit aller Macht erhalten werden. Aber zwischendrin tun sie alles, um es dir so schlecht wie möglich wu machen!

    • @rudolfo:

      Das mit dem ungeborenen Leben stimmt so nicht.Pro Jahr werden über 100.000 Kinder -ohne gefragt zu werden- abgetrieben, was manche "Babycaust" nennen. Manche Medizinethiker fordern auch Tage nach der Geburt noch Kinder töten zu dürfen, da die Grenze ja willkürlich festgelegt wurde und kein erheblicher Entwicklungsunterschied zwischen einem Kind 1 Woche vor oder nach der Geburt besteht. Ich erinnere mal an den von der Linkspolitikerin Asja Huberty gebrauchten Begriff "Zellhaufen" für Kinder.