Strafvollzug mit Fußfessel: Küche statt Knast
Baden-Württemberg führt als erstes Bundesland 2010 die elektronische Fußfessel ein. Opposition und Gewerkschaft der Polizei warnen vor einer Privatisierung des Strafvollzugs.
STUTTGART taz | Baden-Württemberg ist das erste Bundesland, in dem Häftlinge, mit einer elektronische Fußfessel überwacht, ihre Strafe freiwillig daheim absitzen können. Dies gilt allerdings nur bei sogenannten Ersatzfreiheitsstrafen - wenn also Menschen, die eigentlich eine Geldstrafe zahlen müssten, mangels Liquidität ins Gefängnis sollen.
Wer zu einer Geldstrafe verurteilt sei, komme so nicht in den Abwärtsstrudel, den ein Gefängnisaufenthalt oft zwangsläufig nach sich ziehe, sagte der Justizminister von Baden-Württemberg, Ulrich Goll (FDP). Andere Häftlinge können zudem bis zu sechs Monate vor ihrer Entlassung mit Fußfessel heim.
Der Landtag billigte am Mittwoch eine entsprechendes, auf vier Jahre befristetes Gesetz mit schwarz-gelber Mehrheit. Ab 2010 soll es einen Versuch mit 75 Freiwilligen geben. Das Land könnte sich, so steht es in der Begründung zum Gesetz, künftig bis zu zehn Haftplätze im Jahr sparen. Das Pilotprojekt kostet zunächst 85.000 Euro.
Mitmachen kann nur, wer eine Arbeit oder eine Ausbildung hat oder ein Kind erzieht sowie eine feste Unterkunft vorweisen kann. Alle Erwachsenen, die darin leben, müssen der Maßnahme zustimmen. Tages- und Wochenablauf des Hausarrestes werden mit der Justizvollzugsanstalt geregelt.
Die Opposition aus SPD und Grünen lehnen die elektronische Fußfessel ab. "Gerade prekäre Straftäter ohne Haus und ohne Arbeit kommen überhaupt nicht in den Genuss der Regelung", kritisiert der Strafvollzugsexperte der SPD-Fraktion im Landtag, Nik Sakellariou. Die beste Bewährungshilfe seien Menschen aus Fleisch und Blut, keine Fußfesseln. Regelungen wie "Schwitzen statt Sitzen" würden schon heute die Möglichkeit bieten, Geldstrafen abzuarbeiten - für Arbeitnehmer auch am Wochenende.
Das Argument, dass alleinerziehende Mütter nicht arbeiten und mit der neuen Fußfessel bei ihren Kindern bleiben könnten, lässt er nicht gelten. Für diese allenfalls zwei, drei Fälle im Jahr gebe es Gnadenregelungen. Sie dienten bloß als Vorwand, nun neben der Freiheits- und Geldstrafe ein neues Instrumentarium im Strafvollzug zu schaffen.
Problematisch sei zudem, dass die Fessel von einer privaten Firma stammten und diese auch die Bewegungsprofile der Straftäter erstelle und überwache. Die Regelung sei ein nächster Schritt in eine bedenkliche Privatisierung des Strafvollzuges. Auch die Gewerkschaft der Polizei nennt die Regelung ein "Einfallstor zur Privatisierung des Strafvollzuges".
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