Strafverschärfung in Polen: "Kastrationsgesetz" tritt in Kraft
Wegen Pädophilie Verurteilte müssen sich in Polen künftig nach Verbüßung einer bis zu 15-jährigen Haftstrafe einer hormonellen Zwangstherapie unterziehen.
WARSCHAU taz | Keine Zeitung in Polen feierte gestern das "Kastrationsgesetz". Dabei hatten die meisten Politiker und Medien noch vor wenigen Monaten die chemische Zwangskastration für Kinderschänder und Inzesttäter gefordert. Nun ist die Gesetzesnovelle in Kraft. Verurteilte Pädophile werden nach Verbüßung einer bis zu 15-jährigen Haftstrafe in eine psychiatrische Anstalt eingewiesen oder müssen sich einer pharmakologischen Zwangstherapie unterziehen. Dadurch sollen der Sexualtrieb unterdrückt, die Zeugungsfähigkeit aber nicht beeinträchtigt werden. Zur Hormonbehandlung war bislang die Zustimmung des Verurteilten notwendig. Das ist nicht mehr der Fall.
2008 hatte ein brutaler Inzestfall Polens Volksseele hochkochen lassen. Ein Vater hatte seine minderjährige Tochter über Jahre missbraucht und zwei Kinder mit ihr gezeugt. Vor Gericht sagte er aus, dass seine Tochter ihn immer wieder provoziert und zum Sex gezwungen habe.
Der "polnische Fritzl", wie der Mann in Anspielung auf einen Inzestfall in Österreich genannt wurde, ließ Polens Politiker nicht ruhen. "Für solche Kreaturen gilt das Wort ,Mensch' nicht mehr", schäumte der liberalkonservative Premier Donald Tusk. "Die Verteidigung der Menschenrechte hat hier keinen Sinn."
Tusk hatte den Stammtisch und die Boulevardblätter hinter sich. "Kastriert das Ungeheuer!", forderte Superexpress. Im Konkurrenzblatt Fakt legte die Ehefrau eine "schockierende Beichte" ab. Das Blatt publizierte Bilder vom "eifrigen Kirchgänger". Erst nach sechs Jahren "Hölle" entschlossen sich Mutter und Tochter zu einer Anzeige.
Der Fall löste in Polen auch eine Diskussion über die Doppelmoral in dem vornehmlich katholisch geprägten Land. Obwohl Verwandte, Nachbarn und viele Dorfbewohner von den Vergewaltigungen wussten, half dem Mädchen niemand. Auch der Priester ging nicht zur Polizei.
Seltsam still wurde es, als polnische Medien über den sexuellen Kindesmissbrauch durch katholische Priester in aller Welt berichteten. Als Ende Mai bekannt wurde, dass ein polnischer Priester in Rio de Janiero sein Pfarrhaus in eine "Sexhöhle" verwandelt und dort zumindest einen Ministranten vergewaltigt hatte, blieb der große Aufschrei aus. Kehrt der Geistliche demnächst nach Polen zurück und wird verurteilt, muss auch er sich nach Verbüßung der Haftstrafe einer hormonellen Zwangstherapie unterziehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen
Scholz zu Besuch bei Ford
Gas geben für den Wahlkampf