Strafverfolgung von Alt-Nazis: „Demjanjuk war ein Dammbruch“
Der Nazi-Wachmann John Demjanjuk konnte ohne konkreten Tatvorwurf verurteilt werden. Ermittler prüfen nun ähnliche Fälle – eine Anklage könnte es schon bald geben.
BERLIN taz | John Demjanjuk ist tot. Der frühere Wachmann im Nazi-Vernichtungslager Sobibor starb im März dieses Jahres. Doch die fünfjährige Haftstrafe, zu der Demjanjuk zuvor wegen Beihilfe zum Mord in 28.060 Fällen verurteilt worden war, zeigt weiter Wirkung.
Nun gab die Zentrale Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg bekannt, dass sie ihre Vorermittlungen gegen einen anderen Wachmann abgeschlossen hat. Der heute 87-Jährige soll 1944 im Vernichtungslager Auschwitz an der Ermordung von mindestens 344.000 ungarischen Juden beteiligt gewesen sein.
Der Münchner Prozess gegen Demjanjuk könnte in dem jüngsten Verfahren als Blaupause dienen. Dort entschieden die Richter erstmals, dass zur Verurteilung des Wachmanns in einem Vernichtungslager kein individueller Tatvorwurf notwendig ist. Allein die Tatsache, dass Demjanjuk in Sobibor eingesetzt worden war, genüge zur Feststellung seiner Schuld, da sämtliches Personal dort zu Tätern wurde. „Das Urteil war ein Dammbruch“, bestätigt der Leiter der Zentralen Stelle, Kurt Schrimm.
Es ermöglichte den Ermittlern in Ludwigsburg, ähnlich gelagerte Fälle erneut aufzurollen. Dabei geht es um Personal der Vernichtungslager Sobibor, Treblinka, Belzec, Kulmhof und Auschwitz. „Alte Fälle, bei denen die mutmaßlichen Täter in einem Vernichtungslager eingesetzt waren, werden nun noch einmal überprüft“, sagte Schrimm der taz. Weitere Ermittlungsergebnisse seien absehbar, sagte er.
Einer von ihnen ist der 87-Jährige Wachmann aus Auschwitz. Er soll 1942 in die Waffen-SS eingetreten sein. Ab April 1944 diente er im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Die Zentrale Stelle wirft ihm vor, beim Absperren der Rampe, beim Wachdienst und auf den Wachttürmen die Ermordung Hunderttausender Juden gefördert zu haben – also Beihilfe zum Mord.
Ein Karton voll Papiere
Die Zentrale Stelle hat die Ergebnisse ihrer Ermittlungen an die Staatsanwaltschaft Weiden in der Oberpfalz übergeben. „Ein kleiner Karton voller Papiere“ sei dort am Montag eingetroffen, bestätigte der dortige Leitende Staatsanwalt Gerd Schäfer der taz.
Weiden muss nun entscheiden, ob gegen den mutmaßlichen Auschwitz-Wachmann Anklage erhoben wird. Das kann mehrere Wochen dauern, sagte Schäfer. Zur Identität des Mannes mochten die beteiligten Staatsanwälte auf Wunsch des Heimatstaats des Beschuldigten keine Angaben machen. Es handelt sich um einen im Ausland Lebenden ohne deutsche Staatsangehörigkeit. Offenbar lebte er früher einmal in Bayern, was die Zuständigkeit der dortigen Justiz erklärt.
Dies deutet auf eine weitere Parallele zum Demjanjuk-Verfahren. Der war nach dem Krieg in die USA emigriert. Seine Ausweisung nach München, wo ihm der Prozess gemacht wurde, war eine bundesdeutsche Premiere.
Der Fall des Auschwitz-Wachmanns ist freilich nicht das einzige schwebende Verfahren dieser Art. Die Staatsanwaltschaft München I ermittelt seit mehr als zwei Jahren gegen den US-Bürger John Kalymon. Dem 91-Jährigen wird unter anderem vorgeworfen, als ukrainischer Hilfspolizist 1942 in Lemberg (heute Lviv) bei einer Deportation mindestens einen Menschen erschossen zu haben. Die Ermittlungen gegen den Beschuldigten dauerten noch an, sagte ein Sprecher der Münchner Staatsanwaltschaft am Dienstag der taz.
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