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Straftat Vobo–Berichterstattung

■ 3.000 Mark Geldstrafe für Redakteur des Hunsrück–Forums / „Anreißerische“ Artikelaufmachung ärgerte Staatsanwalt: „Aufforderung zu Straftaten“ / Wird der Abdruck von Vobo–Adressen in Zukunft strafbar sein?

Berlin (taz) - Ein denkwürdiges Verständnis von Pressefreiheit hat jetzt das Amtsgericht Simmern im Zusammenhang mit der dort erscheinenden Zeitschrift Hunsrück–Forum demonstriert. Weil Horst Petry, Redakteur des Hunsrück–Forums, in einem kurzen Artikel über die Aktivitäten der Volkszählungs–Boykottinitiative Kastellaun berichtet hatte, soll er auf richterliche Anordnung 3.000 Mark Strafe zahlen. Staatsanwalt und Amtsrichter sahen in dem Bericht über die Boykottinitiative und dem Abdruck der Kontaktadresse eine „öffentliche Aufforderung zu Straftaten“. Das Hunsrück–Forum, so argumentiert jetzt das Amtsgericht in seinem Strafbefehl, habe sich durch „werbende“ und „anreißerische Aufmachung“ des Artikels die Meinung der Volkszählungsboykottinitiative, die unter anderem zu einer Dekodierung der Fragebögen geraten hatte, zu eigen gemacht. „Aus taktischen Gründen“, so wissen Richter und Staatsanwälte offenbar, habe der Artikel–Autor Petry nur den Anschein erweckt, als ob es sich um die Meinung der Initiative und nicht um seine eigene handele. Bei seiner juristischen Einschätzung geht das Amtsgericht dabei nicht von dem konkreten Artikel aus, der so sachlich berichtend geschrieben ist, wie man ihn sich in einer konservativen Lokalzeitung nur wünschen könnte. Zugrundegelegt wird die von den Juristen unterstellte Absicht der Hunsrück–Forum–Macher. Und die, so glaubt die Staatsanwaltschaft, sei mit der Boykott–initiative Kastellaun identisch. Besonders kreidet das Amtsgericht dem Hunsrück–Forum eine Karikatur an, auf der eine Rechenmaschine mit herunterpurzelnder Kugel abgebildet ist, die „ohne mich ruft“. In welcher Form in Zukunft über politische Initiativen zu berichten ist und in welcher Schriftgröße Zeitungen und Zeitschriften Distanzierungserklärungen zu ihren eigenen Artikeln abdrucken müssen, um nicht in die Hände der Justiz zu geraten, haben die Simmener Juristen leider in ihrem Strafbefehl nicht dazugeschrieben. Die taz und viele andere Druckwerke harren nun der hundertfachen Strafbefehle wegen des Abdrucks von unzähligen Vobo– Kontaktadressen, weegen des Fehlens von ddistanzierenden Nachsätzen und wegen sympathisierender Seitengestaltung. Ve.

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