Stornogebühren für Klassenfahrten 2020: Land klagt gegen Reisebranche
Schulen mussten aufgrund der Pandemie viele Fahrten stornieren. Niedersachsen will nun Millionen Euro Stornogebühren von den Reiseunternehmen zurück.
Im Dezember hatte das Amtsgericht Westerstede ein dort ansässiges Busunternehmen dazu verurteilt, Geld zurückzuzahlen. Streitwert: 10.000 Euro. Nach Auffassung des Gerichts greift der Paragraf 651 des BGB. Dem zufolge können Reisende ohne Ersatzleistungen von einer Reise zurücktreten, wenn am Bestimmungsort unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Reise erheblich beeinträchtigen und auf die der Reiseveranstalter keinen Einfluss hat. Die Coronapandemie sei ein solcher außergewöhnlicher Umstand, fand das Gericht.
Auch das Amtsgericht Bremen hat nach Auskunft eines vom Land Niedersachsen verklagten Reiseveranstalters so geurteilt. Die Behörden hätten 49 Klagen gegen 43 Unternehmen eingereicht, teilt eine Sprecherin des Kultusministeriums der taz mit. Sechs Verfahren habe das Land gewonnen, 25 weitere hätten sich auf anderem Weg zugunsten des Landes erledigt. Zuständig sind die Gerichte am Sitz der jeweiligen Firma.
Das Oberlandesgericht Hamm hatte im August in letzter Instanz gegen ein beklagtes Unternehmen entschieden. In dem Fall war es allerdings nicht vom Land Niedersachsen, sondern von einer Schulstiftung verklagt worden.
Heinz Abeling, Unternehmer
Damit agiert Niedersachsen zwar im Sinne der Steuerzahler*in, setzt aber einer Branche zu, die ohnehin zu den Verlierern der Pandemie gehört. Und riskiert, dass in Zukunft Klassenfahrten ins Ausland nur noch eingeschränkt möglich sein werden. „Seit März 2020 hatten wir keine neuen Buchungen mehr“, sagt etwa Heinz Abeling, Geschäftsführer von SET Studienreisen in Bremen, die seit 30 Jahren Klassenreisen nach England durchführen. Das allein sei schwer genug, aber mit eigenen Rücklagen sowie den Überbrückungshilfen zu bewältigen.
Sollte Niedersachsen allerdings tatsächlich alle Stornierungskosten in Höhe eines fünfstelligen Betrags im mittleren Bereich – genauer will er es nicht sagen – per Klage zurückverlangen, würde dies die Existenz seines Unternehmens bedrohen: „Das liefe auf eine Insolvenz hinaus.“ Noch schlimmer: wenn andere Bundesländer auf den Zug aufspringen würden.
In zwei Fällen hat er bereits verloren, zwei weitere kommen auf ihn zu, es geht derzeit um insgesamt fünf Fahrten und Stornierungskosten in Höhe von 40.000 Euro. Er will in Berufung gehen, sagt aber, er wolle die Tür für eine außergerichtliche Einigung offen lassen. Besonders schwer getroffen sind solche Reiseveranstalter wie SET Studienreisen, die Pauschalreisen anbieten und ihrerseits in Vorleistung getreten sind, indem sie beispielsweise Fähren und Unterkünfte angezahlt haben. Bei SET sei dies ein Betrag im hohen fünfstelligen Bereich, so Abeling.
Ob es noch weitere Verfahren geben wird, ließ das Kultusministerium offen. In einer Antwort auf eine FDP-Anfrage im niedersächsischen Landtag im Juni 2020 hatte das Ministerium mitgeteilt, 2.000 von 2.727 Schulen hätten sich gemeldet, mit einem Bedarf von insgesamt 10,6 Millionen Euro. Besonders hohe Summen fallen vor allem bei Gymnasien an.
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