Stipendium fürs Nichtstun: Oblomow in Hamburg
Eine Kunsthochschule lobt Geld für Untätigkeit aus. Dabei wird in der Ausschreibung eine gewisse begriffliche Unschärfe offenbar.
1.600 Euro, einfach so fürs Nichtstun. Das klingt doch erst mal ganz gut. Eine Art einmaliges bedingungsloses Grundeinkommen für drei Künstler*innen, die sich im Bewerbungsverfahren der Hochschule für bildende Künste in Hamburg durchsetzen können. Das Signalwort ist „durchsetzen“, denn ganz so bedingungslos ist das Stipendium dann doch nicht.
Begründen sollen die Aspirant*innen ihr Nichtstun, eingebettet in den Kontext des Projekts „Schule der Folgenlosigkeit“. Dessen Ziel ist es, Alternativen zur abgegriffenen Nachhaltigkeitsbeschwörung zu entwickeln. Konsum und Kapitalismus will man kritisch gegenüberstellen, und zwar durchs Nichtstun. Oder die Folgenlosigkeit. Oder beides, wie auch immer das gehen soll.
Dass Nichtstun quasi synonym für Folgenlosigkeit steht, offenbart eine seltsam entrückte Weltsicht. Natürlich müssen Menschen sich mit der Folgenlosigkeit ihres Daseins abfinden können. Lernen, auch ohne unmittelbaren Zweck ihr Leben zu meistern.
Der Antrieb jedoch, Spuren zu hinterlassen, auch wenn diese schnell von den Wellen der Zeit aus dem Sand gewaschen werden, macht uns doch erst zu Menschen. Die Beziehung zu anderen, die Beschäftigung mit Ideen, mit den kleinen und großen Dingen der Welt, eröffnen erst die Möglichkeit, sie zum Besseren zu verändern. Nichts zu tun, ist keine Kritik an den Verhältnissen, sondern die Kapitulation vor ihnen. Eine Kapitulation, die außerdem gerade nicht folgenlos bleibt.
Oblomow, der prototypische Nichtstuer der russischen Literatur, verweigert jegliches Engagement in seiner Umwelt und zerstört so alles: Vermögen, soziale Bindungen und Leben, am Ende sein eigenes.
Gewiss ist eine Distanz zum permanenten Leistungsdruck begrüßenswert. Natürlich ist der Müßiggang unbezahlbarer Treibstoff für ein selbstbestimmtes Leben. Und selbstverständlich können Künstler*innen nie genug Geld haben, ihnen seien die 1.600 Euro also von Herzen gegönnt. Jedoch stellt sich die Frage, ob sich die Hochschule der Widersprüchlichkeit der Aufgabenstellung bewusst ist. Eine Leistungsschau, ein Wettbewerb zum Erwerb des „Oblomow“-Stipendiums, das mit einem Bericht über die Resultate (!) des Nichtstuns abzuschließen ist? Da legst di’ nieder, wie man weiter südlich zu sagen pflegt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Netzgebühren für Unternehmen
Habeck will Stromkosten senken