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UKRAINE: UNKLAR IST, WAS DER SIEGER WILLStimmvieh entscheidet die Wahl nicht mehr

Paradox: Die Parlamentswahlen in der Ukraine haben keinen klaren Sieger hervorgebracht, dafür aber viele Verlierer. Verloren hat das Regime mit Staatspräsident Leonid Kutschma an der Spitze – und damit ein Regime, dem im Wahlkampf kein Mittel zu schmutzig war, um sich das gewünschte Resultat zu verschaffen. Verloren haben auch die Kommunisten, deren sowjetrhetorisch verbrämte Vision einer lichten Zukunft im slawischen Bruderbund nicht mehr verfing. Verloren hat auch Russland, das auf den Putin-Bonus setzte und für Kutschmas Partei in die Bresche sprang.

Gewonnen haben all diejenigen, die trotz Kutschmas Einschüchterungswahlkampf doch für den Block des ehemaligen Regierungschefs Viktor Juschenko stimmten und damit dem Staatspräsidenten die rote Karte zeigten. Die Botschaft, sich nicht länger zum Stimmvieh degradieren zu lassen, ist unübersehbar. Sie zeigt, dass sowjetische Praktiken anders als beim Nachbarn Weißrussland in der Ukraine zehn Jahre nach der Unabhängigkeit ausgedient haben.

Ob Juschenko wirklich eine demokratische Alternative sein kann, muss sich allerdings erst noch zeigen. Denn er bleibt die große Unbekannte. Zwar erklärten ihn westliche Medien am Wahlabend euphorisch zum prowestlichen Reformer. Doch so einfach liegen die Dinge nicht. Juschenko kennt die strukturellen Defizite, die in der Ukraine die demokratische Entwicklung blockieren. Doch gab er sich zuletzt weniger als programmstarker Oppositionspolitiker denn als Moralist mit erhobenem Zeigefinger.

Das reicht jetzt nicht mehr – Juschenko wird sich positionieren müssen. Das betrifft die künftige Machtaufteilung zwischen Parlament und Regierung genauso wie Konsequenzen aus der Erkenntnis, dass auch ein Präsident sein Amt missbrauchen kann. Der Countdown läuft. 2004 wird ein neuer Staatschef gewählt. Bis dahin muss Juschenko mit Hilfe von Gleichgesinnten die Weichen für eine große institutionelle Reform gestellt haben. Erst dadurch erhält die Ukraine eine wirkliche Chance zur Veränderung. BARBARA OERTEL

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