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Stillstand bei voller Motorleistung

■ Sex- und Auto-Show an der B1/ Fan-Motto: „Tiefer legen und hinten verbreitern“/ Von BETTINA MARKMEYER

Einmal im Jahr ist Männertag an der B1 zwischen Essen und Bochum. Wenn „Deutschlands Nr.1 für sportliches Autozubehör“, die Firma Detlef & Werner (D&W), Gulaschkanone und Sektstand aufbaut, „heiße Öfen“ auffahren und „schöne Girls“ über die Bühne tänzeln läßt, dann kommen sie in Scharen, die wahren Männer aus dem Revier, aus dem Sauer- und dem Lipperland, aus dem Bergischen und vom Rhein. Wie Schnecken in ihren Häuschen schleichen sie über den dauerverstopften Ruhrschnellweg, den die RevierbewohnerInnen längst Ruhrschleichweg getauft haben, zur „megastarken Motorshow“. Und weil Autos allein auch den megastärksten Mann nicht glücklich machen, geht es bei D&W an der B-1-Ausfahrt Bochum-Dückerweg nicht ohne die alljährliche „Wahl der Miß D&W“, das „Tutti-Frutti“- Ballett und Monique, Assistentin der RTL-Busen-Show, ab.

Monique, die auf Monroe macht, holt Kinder auf die Bühne. Tanja, Laura und Eva, sechs- bis achtjährig, und den dicklichen kleinen Sascha mit blauer Schirmmütze. Der „Dummkopf von Discjockey“ findet die richtige Musik nicht. „Dann machen wir eben ein kleines Interview“, beschließt Monique. „Wollt ihr auch mal so etwas machen wie ich hier“? „Vielleicht“, antwortet Tanja brav in die Männerherde, die sich vor der Bühne zusammengedrängt hat, und zupft sich verlegen am Ärmel.

Ein Schulkind vor einem Haufen 20- bis 30jähriger Männer auf Auto- und Fleischbeschau. Niemand protestiert. Moderator Peter Grimberg findet gerade noch Zeit, Moniques ' Interview abzurunden mit der Bemerkung, daß Tanja aber erstmal weiter zur Schule gehen müsse.

Dann dröhnt Discosound los. Monique im gleichermaßen schwarzen wie knappen Anzug schwenkt Hintern und Busen abwechselnd in Saschas und der Mädchen Augenhöhe, die tapfer um sie herumhampeln. Schließlich greift sie sich den Jungen, um ihn an ihre Brust zu drücken. Da wird's lebendig im Publikum. „Ich will auch mittanzen“, gröhlt ein Mann von rechts unter zustimmendem Gelächter. Statt seiner tanzen aber nun die RTL-Tutti Fruttis vom „Cin-Cin-Ballett“, verformen die Lippen zur Playback-Beschallung und lassen die Männer vor der Bühne vergessen, daß die groß angekündigte erste Runde zur Miß-Wahl nur wenige Minuten gedauert hat.

Janni aus Nordhorn im Silberanzug, Kerstin aus der Bank, die Showmaster Grimberg als „eine gute Geldanlage“ vor die Zuschauer schickt, Sabine in Rot, Fitnesstrainerin aus Heidelberg, Eva aus Budapest und Michaela aus Bottrop. Jede hat 20 Sekunden über die Bühne zu stöckeln und sich zu drehen, das Ganze elfmal. Dafür hat Sabine aus Heidelberg „richtig gehen geübt wie auf der Mannequinschule“.

Daß sie hier „draußen und vor all den Männern auftreten muß“, wußte sie vorher nicht. Sie hatte die Miß- Wahl-Anzeige im D&W-Katalog gelesen und sich mit Fotos beworben. In zwei Stunden geht's wieder auf die Bühne, „leichter bekleidet“, wie Grimberg dem Publikum verspricht, bis dann also. Die Männer vor der Bühne stehen und starren. „Seid nicht so klatschfaul“, mault der Moderator ins Mikro. Und es kleckert Applaus.

Bei D&W kauft das ganze männliche Deutschland von Felgen über sogenannte Rammschutzbügel bis zu Zusatzscheinwerfern alles, damit „Ihr Auto tolle Formen annimmt“ (D&W-Katalog). Über einen, in 600.000er Auflage an Bahnhöfen, Kiosken und in Supermärkten angebotenen Katalog, den man(n) von gängigen Busen- und Po-Magazinen kaum unterscheiden kann, bestellen Kunden aus der ganzen Welt. In 14 neuen D&W-Filialen können die Ostler ihren Nachholbedarf decken. Am Bochumer Firmensitz werden außerdem 43 Westfilialen geführt. Als das inzwischen 20jährige Unternehmen vor gut fünf Jahren kurz vor der Pleite stand, weil es sich mit dem Neubau der Zentrale übernommen hatte, sorgte die Stadt Bochum mit einer Ausfallbürgschaft dafür, daß D&W blieb.

Im Gedränge am orange-roten „Suppenexpress“ kaufen Väter ihren Söhnen eine Erbsensuppe mit Bockwurst, bevor sie gemeinsam das Neueste auf dem Auspuffmarkt erkunden. Unter dem nesselfarbenen Schirm des Sektstands daneben stehen schnieke Kellner mit Schalen voller Orangen dagegen allein da. Ein „Ritz-Cocktail“ kostet 22 Mark. Dafür kann beim Suppenexpress die ganze Familie satt werden. Wer zur Motorshow an die B1 kommt, fährt bestenfalls mit einem Golf-GTI zur Arbeit und nicht mit so einem wolkenweißen Mercedes-Coupé, wie es hier zu bewundern ist.

„Dieta, hömma, der spricht ja!“ Eine grauhaarige Frau im vielfarbenen Jogginganzug versucht, ihren Dieter zu der Luxuskarosse hinzuziehen. „Na und, solla doch“, brummt der Gatte unwillig, um dann doch sein rechtes Ohr zum Mercedesstern hinabzubeugen. „Hände weg“, tönt's von dort, „Sie sind zu nah am Fahrzeug. Hände weg!“ D&W-Kunde Dieter ist nicht beleidigt. Er lacht: „Nee, der is gut!“ Und außerdem, für seinen Opel Kadett „würd' sowat ja gar nich lohnen“.

Während auf dem Platz zwischen dem anthrazitglitzernden Firmengebäude von D&W und McDonalds die Menge hin und her wogt, 18jährige Grünschnäbel einen rosa Jeep umstehen und in respektvollem Abstand einen schwarzen Porsche bestaunen, während Männer vor Breitfelgen für 1.192 Mark sofort oder 36 Monatsraten à 42 Mark in die Knie gehen, drehen die stolzen Besitzer herausgeputzter Opel, Fords und VWs ihre Runde vor einer Auto- Jury. Ein Koch aus Bottrop hat seinen roten Opel Ascona „tiefer gelegt, die Stoßfänger verkürzt, damit er härter wird“, ihm ein „Maske“ genanntes Make-up für den Kühler verpaßt und „ihn hinten verbreitert“. Auf dem Weg zur Jury schrammt er mit seinem Breitheck an. Er wird denn auch nicht Sieger im Wettbewerb um das schönste Auto, ein rosa Käfer mit Kastenaufbau wird's.

Nebenan bewundert eine Clique aus Recklinghausen eine blaue Corvette, Baujahr 1979. Durch den hellblauen Lack zischen weiße Blitze, und auf der Motorhaube setzt ein Panther zum Sprung an wie im Werbefernsehen: „Schwarz, breit, stark.“ Lutz erfrischt sich am „satten Sound“ des Zweisitzers, den sein Besitzer — das gehört zum guten Ton — extra für die Recklinghäuser anschmeißt. Dann erklärt er der Clique an einem metallic-grauen Scirocco, wie eine gute Verbreiterung auszusehen hat: „Möglichst ohne Übergänge, nicht kantig, so wie der das hier gemacht hat.“ Seine Gestik läßt nicht vermuten, daß er über Autos spricht. Jeder Taubstumme muß annehmen, es gehe um Colaflaschen, Geigenbau oder Frauenhintern.

Auf der Bühne beendet Charmeur Grimberg unterdessen die zweite, die „leicht bekleidete“ Miß-Wahl- Runde. Elf Schlitterpartien und ein Sturz auf der regennassen Bühne sind überstanden. „Jetzt umdrehen“, tönt der Moderator. Die Frauen sortieren sich zu einer Reihe am Bühnenrand. Hauseigene D&W-Fotografen richten ihre Objektive auf die von den ebenfalls hauseigenen D&W-Badeanzügen weitgehend entblößten Hintern, die nun dem Publikum zugewendet sind: Janni aus Nordhorn, Kerstin aus der Bank, Sabine jetzt im lachsfarbenen Bikini, Eva aus Budapest und Michaela aus Bottrop. „Dafür einen Applaus!“, fordert der Moderator. „Kriegen wir das hin?“ Ja, die Männerherde vor der Bühne, unter die sich vereinzelt Frauen gemischt haben, kriegt das hin.

Lediglich die Fahrtkosten bekommen die Miß-Kandidatinnen erstattet dafür, daß sie an diesem nieseligen und windigen Motorshow-Sonntag für D&W verkaufsfördernd auf der Bühne stehen. Und dafür, daß sie live Posen bieten, die der Deutsche Werberat — die Eigenkontrolle der Werbewirtschaft — immer wieder als „klaren Fall von Frauen diskriminierender Werbung“ gerügt hat. So beanstandete die Reklamekontrolle zuletzt jene D&W-Anzeige für Leichtmetallfelgen und Breitreifen mit dem Text: „Ich kenne niemanden, der es weit und breit zu diesem Preis macht.“ Blickfang war eine „über die Sofakante gelehnte Frau mit knappem, hüfthoch geschnittenen einteiligen Badeanzug“, eine Kombination, mit der „die Schwelle der Zuträglichkeit überschritten“ sei.

Er nutze nach wie vor fast jedes seiner 40 bis 50 Interviews pro Jahr, sagt Volker Nickel, Sprecher des Werberats, „um D&W zu rügen“. Der Mann seufzt. „Wenn wir in unserer Arbeit einen tatsächlich unerledigten Fall haben, dann ist das D&W.“

„Bei D&W gehört das mit den Mädchen dazu“, befindet ein blonder, beleibter Jüngling im grün-lila Freizeitdress, der „eigentlich nur hergekommen ist, um zu gucken, ob's was neues gibt — beim Autozubehör, mein' ich“. Der Blonde sitzt mit dem Scirocco-Club aus Duisburg-Kaiserberg auf einer Treppe und erholt sich vom Autorummel. Doch mit der Miß-Wahl, gesteht er dann selbstironisch, sei das „wie mit McDonald, da will auch immer keiner gewesen sein, und trotzdem sind denen ihre Buden überall voll“.

Noch zieht die sexistische Verkaufsstrategie des Bochumer Autozubehör-Händlers, zugeschnitten auf dessen wichtigste Zielgruppe von 18 bis 30jährigen Männern, die mit ihrem Auto auch ihr Selbstbewußtsein aufpolieren wollen. Nur etwa zwei Prozent der Kunden sind Frauen.

„Aber D&W sollte unbedingt auf diesen Maso-Sado-Look verzichten“, empfiehlt die Ex-Werbechefin Annelie Kreimer aus Essen. Kreimer hat D&W im vergangenen Jahr „in großem Streit“ verlassen, weil sie „die dralle Linie“ der Präsentation von Frauenfleisch längst für „antiquiert“ hält. Nicht, daß sie auf das Werbeobjekt Frau verzichten will, „Mädchen gehören in dieser Branche dazu“, doch will sie anderes Styling und eine „zeitgerechtere Strategie“.

Bei D&W kann davon keine Rede sein. Die Miß-Wahl geht in die dritte Runde. Janni aus Nordhorn, jetzt in weißem Einteiler und schwarzer Lederjacke strahlt. Sie hat's geschafft. „Ich bin jung und habe einen schönen Körper“, hat sie in der improvisierten Garderobe gesagt, in der eine Jury aus vier, dem Unternehmen D&W eng verbundenen Männern den Frauen beim Umziehen zuschauen konnte. „Warum sollte ich nicht zeigen, was ich hab'?“

Als Siegesprämie winken Janni nun Probeaufnahmen mit dem Penthouse-Fotografen Claudio Frey. „Und noch einmal Applaus!“, schreit Moderator Grimberg. „Holt das Letzte aus euch 'raus, Jungs!“ Während die vorderen Reihen noch das Abschluß-Defilee der Miß-Kandidatinnen und Tutti-Frutti-Girls beklatschen, wendet man sich hinten schon wieder den Autos zu, fachsimpelt über PS-Zahlen, Reifenbreiten und Lackierungen. Janni, selbst wenn sie nächstes Jahr einen Penthouse-Titel zieren sollte, würde niemand aus der Männerherde wiedererkennen.

Und so bleibt denn Höhepunkt des Tages ein Schauspiel, das in seiner unfreiwilligen Symbolik die ganze Brutalität der Autowelt von D&W offenbart. Wie verschreckte Spatzen stieben die Menschen auseinander, als plötzlich ein Höllenlärm die Luft zerreist. Ein blauer, flacher Wagen, der mal ein Capri gewesen sein könnte, rollt aus der Montagehalle auf die leicht ansteigende Ausfahrt zu.

„Ein Flugzeugmotor!“ brüllt ein älterer Mann durch den infernalischen Lärm, ohne dabei die Hände von seinen Ohren zu nehmen. Mit hunderten anderen ZuschauerInnen beobachtet er, wie sich das Höllengefährt die Ausfahrt hochquält, Meter um Meter auf der regennassen Fahrbahn, einen dichten Nebel aus Auspuffgas und Gummiabrieb der wie wild durchdrehenden Reifen hinter sich lassend: Lärm, Dreck und Stillstand bei voller Motorleistung.

Ein Junge verkriecht sich weinend im Mantel seiner Mutter, während der Vater auf den tobenden, schlingernden Capri starrt und versucht, die Video-Kamera klarzumachen. Doch sie funktioniert nicht. Da schnauzt er seinen Sohn an, er solle sich nicht so anstellen. Und zur Frau, die irgend etwas gesagt hat: „Wenn's dir nicht paßt, mußt du eben nicht mitkommen!“ Nächstes Jahr führe er wieder allein zur Mädchen- und Motorshow — dem Männertag an der B 1 zwischen Essen und Bochum —, verkündet er seiner Restfamilie wütend: Jeder Zoll ein entschiedener Kämpfer für eine Welt von gestern.

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