Stilikone Günther Anton Krabbenhöft: Das Leben reicht uns die Hand
2020 ist fies – für Günther Anton Krabbenhöft aber kein Grund, schlecht angezogen zu sein. So schreibt er es in seiner Autobiographie.
Die Autobiografie der Kreuzberger Stilikone Günther Anton Krabbenhöft („Sei einfach du!“) ist das Weihnachtsgeschenk zur Zeit. Es kann uns, den Leserinnen und Lesern im Winter 2020, Mut und Zuversicht zusprechen. Schlechte Laune, Bequemlichkeit als Stilprinzip, demonstrativer Zeitmangel heißen die apokalyptischen Reiter, von denen die pandemiegestresste Republik in diesen Wochen sozialpsychologisch heimgesucht wird.
Krabbenhöft, der eigenen Angaben zufolge nicht mal den Müll rausbringen würde, ohne zuvor die Rüstung des vorschriftsmäßig overdressten Gentleman anzulegen – und ohne seine Mitmenschen mit einem Kompliment, einen kleinen Flirt, kurz einem „Glücksmoment“ (wie er es nennt) zu erfreuen – lehrt uns die alte Weisheit der sprezzatura: Wenn schon die Welt as we know it untergeht, sollten wenigstens Laune, Manieren und Einstecktuch zu Weste und Hut passen.
Er empfiehlt uns die Lehren des Renaissance-Dandys Baldassare Castiglione. Vor allem: „eine gewisse Art von Lässigkeit anzuwenden, die die Kunst verbirgt und bezeugt, dass das, was man tut oder sagt, anscheinend mühelos und fast ohne Nachdenken zustande gekommen ist“.
Höflich, lässig, humorvoll und gutgelaunt
Günther Anton Krabbenhöft: „Sei einfach du!“. HarperCollins, Hamburg 2020, 171 Seiten, 16 Euro
Der Satz aus der Renaissance gilt auch 2020. Dieses Jahr mag uns auf dem falschen Fuß erwischt haben. Aber das ist noch lange kein Grund, dem Lockdown nicht gut angezogen, höflich, lässig, humorvoll und gutgelaunt entgegenzutreten. „Gib deinem Ich eine Form“ lautet eine von Krabbenhöfts Kapitelüberschriften. In die Wiege gelegt worden sind Günther Anton Krabbenhöft diese Weisheiten alteuropäischer Coolness keineswegs.
Krabbenhöft hat sein ganzes Arbeitsleben lang in einem der anstrengendsten Berufe überhaupt geackert, als Koch. Nebenher als alleinerziehender Vater seine Tochter betreut, an den Wochenenden das besetzte Kreuzberger Haus renoviert, in dem er heute noch wohnt, sein Coming-out durchgestanden, sterbende HIV-Patienten betreut und sich während alledem regelmäßig im Berghain die Nächte um die Ohren geschlagen. Und dieses Jahr ist er 75 geworden.
Ohne den Zufall, dass ein britischer Tourist den gut angezogenen älteren Mann in Kreuzberg fotografierte und ins Netz stellte, was viral ging, hätten wir diesen mutigen, exemplarischen und zu guter Letzt berühmten Lebenslauf vermutlich gar nicht bemerkt.
Stil und Lebensstil
„Sei einfach du!“ besteht eigentlich aus drei Büchern, erstens der Autobiografie, zweitens der Abhandlung über Stil und Lebensstil. Drittens und vor allem anderen aber ist Krabbenhöfts Buch ein Brevier des positiven Denkens. Und damit endgültig das Weihnachtsgeschenk des Jahres. „Das Leben reicht uns täglich die Hand. Es will uns in unbekannte Sphären führen. Viel zu oft aber gehen wir an der ausgestreckten Hand vorbei, weil wir lieber auf den vertrauten Bahnen hängen bleiben und auf dem Sofa kleben. Für mich ist das keine Option mehr.“
Und jetzt sind wir dran. Haben wir im Lockdown-Winter 2020 vielleicht etwas Besseres, woran wir uns halten könnten, als den unzerstörbaren Optimismus Günther Anton Krabbenhöfts?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen