Stiftung „Zurückgeben“ über Nazierbe: „Unser Appell zielt auf Freiwilligkeit“
Nazierbe sollte man zurückgeben. Dazu hat Hilde Schramm, Tochter Albert Speers, eine Stiftung gegründet. Ein Gespräch mit ihr und Sharon Adler über den Fall Gurlitt.
sonntaz: Frau Schramm, durch den Fall Gurlitt ist die Frage nach belastetem Erbe wieder ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Es gibt vermutlich noch eine Menge Erben, die etwas zurückzugeben hätten. Sie selbst haben Bilder geerbt, von denen Sie vermuteten, dass die Vorbesitzer jüdische Familien oder Sammler entwendeter Kunst waren. Entstand daraus die Idee der Stiftung?
Hilde Schramm: Tatsächlich hatte mein Vater eine Kunstsammlung. Das ist bekannt. Hauptsächlich Romantiker, also Kunst des 19. Jahrhunderts. Er hat die Bilder zwischen 1933 und 1943 erworben, mit Geld, das er erhalten hat, indem er einem Staat diente, in dessen Unrechtsystem er nicht nur verwickelt, sondern in führender Position tätig war. Ich wollte nicht ein Erbe antreten, das auf Unrecht beruht. Darüber habe ich mit anderen Frauen diskutiert und dabei entstand die Idee dieser Stiftung. Es war nicht meine Idee. Aber sie hat mir eingeleuchtet.
Dass es um ein freiwilliges Zurückgeben geht, macht Ihre Stiftung so interessant. Wer hat Grund, zurückzugeben?
Sharon Adler: Wir müssen den Fokus gar nicht auf wertvolle Kunstwerke oder Antiquitäten legen. Denn es geht darum, dass den Juden damals ihr ganzes Hab und Gut weggenommen wurde. Aber wo ist ihr Geschirr und wo sind ihre Möbel geblieben? Man muss sich nur mal vorstellen: Ich gehe auf den Trödelmarkt und finde diesen schönen alten Spiegel. Ich kaufe ihn, obwohl der Händler nicht weiß, woher der Spiegel ursprünglich stammt. Es geht also nur selten darum, dass Leute ein Gemälde oder einen Spiegel von der Wand nehmen müssten. Es geht darum, dass man eine symbolische Summe spendet und sie der Stiftung Zurückgeben zur Verfügung stellt. Diese fördert damit jüdische Künstlerinnen und Wissenschaftlerinnen, die in zweiter, dritter oder vierter Generation von der Schoa betroffen sind.
Um was geht es dann beim Zurückgeben? Was geben Sie zurück?
Hilde Schramm: Wenn ich schon etwas erbe, das in den Kontext des NS-Unrechtsregimes gehörte, dann möchte ich davon nicht eine Vergnügungsreise machen. Ich will es für etwas Vernünftiges verwenden, das anderen zugute kommt. Bei unserer Stiftung geht es um das Zurückgeben von Lebenschancen. Um Anteilnahme. Um den Wunsch, wenigstens heute jüdischen Frauen ein selbstbestimmtes Arbeiten und Leben in Deutschland zu ermöglichen. Das gilt auch für jüdische Migrantinnen, die hierher kommen. Sie sind genauso gemeint.
Die Stiftung: Als „Stiftung zur Förderung Jüdischer Frauen in Kunst und Wissenschaft" (www.stiftung-zurueckgeben.de) gegründet, hat sie ein Kapital von 160.000 Euro. Seit ihrer Gründung 1994 konnten über 100 Projekte von jüdischen Frauen mit insgesamt 300.000 Euro gefördert werden. Ein Großteil der Summe wurde über Spenden eingeworben (Stiftung Zurückgeben, Berliner Volksbank BLZ 100 900 00, Konto 523 2205 000, BIC BEVODEBB Iban DE25 1009 0000 5232 2050 00).
Obwohl es dafür keinen Anlass braucht, sieht die Stiftung besonders in Erbschaften mit Bezug zum Nationalsozialismus einen solchen. Wie Jupp G. aus München schreibt: „Da ich drei Teppiche und eine (nicht sehr alte) chinesische Vase geerbt habe, die nach dem Hörensagen um 1940 auf Versteigerungen erworben wurde, kann man ihre Herkunft mit einiger Gewissheit erraten. Ihre Stiftungsidee gefällt mir, und ich werde einen frei geschätzten Wertausgleich einzahlen.“
Die Gesprächspartnerinnen: Hilde Schramm, eine der Initiatorinnen der Stiftung, ist heute im Beirat. Sharon Adler, die auch Herausgeberin von Aviva-Berlin ist, einem Onlinemagazin für Frauen, gehört seit 2013 dem Vorstand der Stiftung Zurückgeben an.
Aber wollen die Leute zurückgeben? Geht das mit einem bürgerlichen Selbstverständnis überhaupt zusammen, sich als Profiteure des Unrechts zu sehen?
Hilde Schramm: Offenbar ist ein solches Eingeständnis sehr schwierig, zumal die direkte Vorteilsnahme nicht alles ist. Hinzu kam eine strukturelle Vorteilsnahme als Folge der staatlichen Aneignung der jüdischen Sozialeinrichtungen, der Versicherungen und Renten jüdischer Bürger und ihrer Besitztümer europaweit. Davon haben prinzipiell alle profitiert, die zur sogenannten deutschen Volksgemeinschaft gehörten. So weit muss man wirklich gehen. Das Unrecht, so hat Monika Richarz oft gesagt, die Vorsitzende unseres Beirats, drang in alle Haushalte. Und zwar zum Teil, ohne dass die Menschen selbst tätig wurden.
Ihre Stiftung wurde 1994 eingetragen. Sie ist jetzt zwanzig Jahre alt. Wie erfolgreich war Ihre Stiftung?
Hilde Schramm: Damals vor zwanzig Jahren waren wir optimistisch. Wir dachten: So viele Deutsche sind betroffen. Jetzt werden die Vermögen, die Häuser und Wertgegenstände, die im Nationalsozialismus erworben wurden, an die Erben weitergegeben. Aber unsere Hoffnungen haben sich nicht erfüllt. Wir haben keine großen Zustiftungen erhalten, allerdings immer wieder kleinere und größere Spenden. Dennoch, das Ergebnis ist recht beschämend.
Sollte der Fall Gurlitt nicht so viel Staub aufwirbeln, dass sich mehr Leute fragen, ob es da noch etwas zu klären gibt, in der Familie, beim Erbe?
Sharon Adler: Aber wir haben diese Diskussion ja nicht erst seit heute. Ich habe vorhin mal im Archiv unseres Onlinemagazins Aviva-Berlin nachgeschaut, was wir zu dem Thema schon hatten. 2007 habe ich zum Beispiel ein Interview mit Jane Chablani geführt, die den Film „Steeling Klimt“ gemacht hat. Er behandelt genau dieses Thema anhand eines einzelnen Bildes. Und im vergangenen Jahr lief auf dem jüdischen Filmfestival der Film „Portrait of Wally“ von Andrew Shea, über ein Werk von Egon Schiele. Man denkt, das darf doch nicht wahr sein. Eine einzige Odyssee. Es handelt sich klar um ein enteignetes Bild, das bis heute nicht wieder zurück in den Besitz der Nachfahren und Erben des ursprünglichen Eigentümers gelangt ist. Und da frage ich mich, warum wir jetzt über Gurlitt sprechen, das ist im Prinzip ein alter Hut.
Vielleicht braucht das Thema Kunst mehr Zeit, um seine Brisanz zu entwickeln?
Sharon Adler: „Heute“ ist einfach schon Jahrzehnte zu spät. Es macht mich persönlich sehr wütend, dass die Rechtslage immer noch nicht vernünftig geklärt ist.
Hilde Schramm: Die Beraubung der Juden und die vielen Formen der Vorteilsnahme erhielten erstaunlich spät eine öffentliche Aufmerksamkeit. Das begann erst Ende der neunziger Jahre. Als wir die Stiftung Zurückgeben gründeten, war das noch kein Thema.
Was also den Fall Gurlitt betrifft, sind Sie schon auch der Meinung, dass die Gesetzeslage geändert werden muss.
Hilde Schramm: Man muss die Gesetzeslage ändern, das ist überhaupt gar keine Frage. Aber auch, wenn sie so wäre, wie ich es mir vorstelle, bliebe eine Vielzahl von Erbschaften, bei denen die gesetzlichen Regelungen nicht greifen würden. Unsere Stiftung ist insofern ein Gegenmodell, als sie zum „Zurückgeben“ appelliert: zum Zurückgeben aus freien Stücken, jenseits der gesetzlichen Verpflichtungen und gesetzlichen Fristen. Als ein freiwilliger Akt, in Kenntnis der Vergangenheit und in Kenntnis des Bedarfs an künstlerischen und wissenschaftlichen Arbeiten, die den Jüdinnen aus heutiger Sicht die Wirklichkeit vor und nach dem Holocaust darstellen. Die Kombination von Vergangenheits- und Gegenwartsbezug ist das Spezifische der Stiftung. Und diese Verbindung kann eben doch überzeugen und zu einer Beteiligung motivieren. Das können wir ruhig betonen. Andernfalls könnten wir unseren Stiftungszweck gar nicht erfüllen.
Was und wen fördern Sie im Moment?
Sharon Adler: Bei der Stiftung gehen Projektanträge von Künstlerinnen und Wissenschaftlerinnen aus den unterschiedlichsten Bereichen ein. Das können Dokumentarfilme sein, Publikationen, Installationen, Theaterstücke, Aufführungen, Lesungen. Ich selbst konnte zum Beispiel mit Aviva-Berlin 2012 das Projekt „Writing Girls“ durchführen. Insgesamt zwölf Frauen haben daran teilgenommen und aufgrund ihrer Recherchearbeiten Biografien zu jüdischen Frauen Berlins verfasst, die fast alle unbekannt waren.
Wer waren die Frauen, die sich in Ihrem Projekt engagiert haben?
Sharon Adler: Die Frauen kamen von überall her, auch aus den ehemaligen GUS-Staaten, wo sie nicht jüdisch sozialisiert wurden. Gemeinsam war ihnen allen, dass sie heute in Berlin leben und mehr über die deutsch-jüdische Geschichte erfahren wollen. Aber zurück zu Ihrer Frage nach den geförderten Frauen. Es ist nicht so, dass diese sich ausschließlich mit der Schoa auseinandersetzen. Ihre Themen und Fragestellungen sind ebenso vielfältig wie ihre Darstellungsformen. Aber nach meinem Eindruck erleben alle die Zuwendung durch die Stiftung als etwas, was ihnen Mut macht. Du arbeitest, hast eine Idee im Kopf und willst sie unbedingt umsetzen, brauchst aber eine Starthilfe. Es ist einfach eine Ermutigung, wenn dieser erste Schritt ermöglicht wird. Danach kann man einen Schritt weiter nach vorne gehen. Das haben uns schon ganz, ganz viele Frauen gesagt.
Hilde Schramm: Die Erwartungen an die Stiftung sind sehr groß. Sonst würden sich nicht so viele Frauen mit ihren Anträgen an uns wenden. Die meisten müssen wir enttäuschen. Mit unserer kleinen Stiftung können wir ja gar nicht angemessen reagieren. Wenn wir mehr Geld hätten, dann könnten wir wenigstens ein bisschen angemessener reagieren. Das wäre doch schon mal was.
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