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Stichwahl im Schatten Pinochets

In Chile kommt die jüngste Wendung im Fall des Ex-Diktators Pinochet beiden Präsidentschaftskandidaten ungelegen, die an diesem Sonntag in die Stichwahl gehen. Einen klaren Favoriten gibt es nicht ■ Von Ingo Malcher

Buenos Aires (taz) – Mit Ratlosigkeit haben beide Seiten im chilenischen Präsidentschaftwahlkampf zunächst auf die Nachricht aus London reagiert, dass Ex-Diktator Augusto Pinochet einen Prozess in Spanien aus gesundheitlichen Gründen nicht überstehen könne und deshalb mit seiner Rückkehr nach Santiago zu rechnen sei. In normalen Zeiten hätte der Rechtsausleger Joaquín Lavín triumphierend eine Flasche Sekt geköpft. Dem Sozialdemokraten Ricardo Lagos wäre ein erleichterter Seufzer entrutscht. Aber Chile ist in der Endphase des Wahlkampfs, und in solchen Zeiten ist nichts normal. Beide Männer wollen am Sonntag Präsident werden, und beiden kommt Pinochets Attest denkbar ungelegen.

Im Wahlkampf spielte der alte Diktator keine Rolle. Das war für beide bequem. Doch plötzlich müssen sie sich dazu äußern. Für beide ein Hindernislauf auf Glatteis. Das Ergebnis im ersten Wahlgang im Dezember war denkbar knapp. Nur 30.000 Stimmen trennten beide voneinander. Lagos kam auf 47,9 Prozent der Stimmen, Lavín auf 47,5. Jetzt wird der Wahlkampf zum russischen Roulette. Ein falsches Wort, einmal nicht auf der Hut sein, und schon sinkt der Stern.

Gerade Lagos steckt in einer vertrackten Situation. Als er im Fernsehen gefragt wurde, ob der Bericht der britischen Ärzte über Pinochets Gesundheitszustand womöglich ein Geschenk der Labour-Regierung sei, gab er zurück: „Wer glaubt, dass der Wahlkampf eine Rolle gespielt hätte, der weiß nicht, wie die Welt funktioniert.“

Um in den Präsidentenpalast einzuziehen, braucht Lagos die Stimmen der Kommunisten. Zwar wählten nur 3 Prozent der acht Millionen Wahlberechtigten im Dezember die KP. Aber theoretisch könnte ihr Anteil Lagos zum Sieg verhelfen, doch dann darf er die mögliche Rückkehr Pinochets nach Chile nicht als Sieg der Regierungsstrategie feiern. Als bisheriger Außenminister arbeitete er selbst daran, Pinochet nach Hause zu holen. Jetzt verkündete er im Fernsehen, Pinochet müsse in Chile vor Gericht gestellt werden. „Es ist nicht die Aufgabe eines Präsidenten, jemanden zu verurteilen. Wenn aber ein Richter entscheidet, ihn anzuklagen, muss ihm jemand garantieren können, das zu tun. Als Präsident werde ich mich hierzu verpflichten“, versprach Lagos.

Während der Militärdiktatur (1973-1990) wurden in Chile 3.000 Menschen entführt und ermordet. Auch Lagos saß im Gefängnis und soll Drahtzieher eines Attentatsversuchs auf Pinochet sein. Doch als späterer Außenminister vertrat er immer die Position der großen Koalition aus Christdemokraten und Sozialisten, für die er auch dieses Mal ins Rennen geht: Es stehe keinem Land der Welt zu, Pinochet anzuklagen. Der müsse in Chile vor Gericht.

Das war allerdings ein Trick, weil in Chile die Aussichten äußerst gering sind, dass Pinochet angeklagt wird. Zwar laufen 56 Verfahren gegen ihn. Aber ihn schützt das von ihm selbst in die Verfassung aufgenommene Amnestiegesetz, und als Senator auf Lebenszeit genießt er in Chile Immunität.

Lagos und Lavín sind darin einig, Pinochet im Falle der Rückkehr nach Chile aufs Altenteil zu schieben. Von der Politik soll er die Finger lassen. „Wenn er zurückkommt, sollte er sich um seine Enkel kümmern“, so Lagos.

Lavín möchte endlich eine neue Rechte aufbauen, die nicht dauernd mit dem Diktator in Verbindung gebracht wird. Hierbei stört der Übervater nur, weil Pinochet der Geruch des Autoritarismus anhaftet.

Im Wahlkampf gelang es Lavín hervorragend, sich von Pinochet freizuschwimmen. Dabei hatte er während der Diktatur im Planungsministerium gearbeitet, um den neoliberalen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft voranzutreiben. Auch beim Volksentscheid 1988, als Pinochet über die Fortsetzung seiner Macht abstimmen ließ, unterstützte ihn Lavín. Daher passt es ihm auch nicht, dass Pinochet wieder präsent ist. Denn Lavín sucht Wählerstimmen in der Mitte und zeigt sich moderat. Auch wolle er Pinochet nicht am Flughafen abholen, wenn der zurückkommen sollte.Vielmehr habe der Ex-General keine Privilegien mehr: „Er muss sich vor Gericht verantworten wie jeder Chilene“, so der rechte Lavín.

Er hat es leichter, mit der neuen Situation zurechtzukommen, als sein Konkurrent. Denn Lavín geht nur in der Mitte auf Stimmenfang. Sein rechter Flügel wird ihm trotzdem folgen, weil er ihn lieber als Präsidenten hat als einen Sozialisten. Und Lagos hat es ihm mit seiner kompromissbereiten Position leicht gemacht. Denn der wird jetzt davon eingeholt, dass er der Rechten zu sehr entgegenkam. Niemand will Prognosen abgeben, zumal sich die Meinungsforscher schon in der ersten Runde schwer geirrt hatten.

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