Steuerprüfung: Ein Torso fürs Finanzamt
Der Hamburger Künstler Hamid Ghandehary fertigte für die Steuerbehörde spezielle „Finanzamtskunst“ an – weil die Sachbearbeiterin seine Kunst nicht versteht.
HAMBURG taz | Hamid Ghandehary steht in seinem Atelier und holt einen Torso hervor, der in einer Ecke hinter einer Staffelei hervorragt. Der 55-jährige Bildhauer, der aus dem Iran vor fast 20 Jahren nach Hamburg kam, stellt das Stück auf den Tisch in der Mitte des Raumes. Bis jetzt hat er in seinem Leben noch nie einen Torso gebaut. Doch als sich das Finanzamt bei ihm zur Betriebsprüfung anmeldete, um zu kontrollieren, ob es sich bei seinem Atelier auch wirklich einen Arbeitsraum handelt, bereitete er sich vor.
Er nennt das Objekt schlicht „Finanzamtskunst“. Der Künstler, der an der Hochschule für bildende Künste (HfbK) studierte, war sich sicher, dass er mit seinen eigentlichen bildhauerischen Arbeiten bei der Begutachtung seiner Sachbearbeiterin nur weiter in Schwierigkeiten geraten würde. Ghandehary wollte ihr bloß nicht irgendwas Abstraktes präsentieren, was sie womöglich nicht versteht. Als sie ihn besuchte, beäugte sie die Räume genau, fragte skeptisch, ob der Künstler auf dem Sofa eigentlich auch nächtigt. Er fürchtete, dass das Finanzamt ihn nun richtig auseinandernehmen wollte. Das Atelier immerhin akzeptierte es, doch so glimpflich kam er bei den anderen Posten nicht davon.
Baumpfähle, Zaunriegel, Dachpappe und Fliesenkleber, die Materialien mit denen Ghandehary arbeitet, erschließen sich für das Amt nicht. Nach der Steuerprüfung wurde kaum ein Posten, den er als Betriebsausgabe absetzen wollte, vom Amt akzeptiert. „Dabei ist Fliesenkleber doch eine Art Gips“, erklärt er. Der Briefwechsel, in dem sich der Künstler gegen das Finanzamt zu behaupten versuchte, füllt mittlerweile einen Ordner. Er holt ihn hervor, und zieht Abschriften und Bescheide heraus.
Warum er dieses ganze Zeug im Baumarkt und nicht im Künstlerbedarf einkauft, wollte die Sachbearbeiterin wissen. „Ein Künstlerbedarf ist doch eine Apotheke, da kann man nicht einkaufen“, sagt Ghandehary. Ein Pinsel koste da mehrere Euro, im Baumarkt nur ein paar Cent. Zunächst setzte er sich hin und schrieb Briefe an das Finanzamt, erklärte in aller Ausführlichkeit, dass es mit der Kunst heute nicht mehr so ist, wie vor einhundert Jahren. Heute werde eben nicht nur gepinselt und gemalt.
„Was würden die wohl sagen, wenn ich wie bei der Biennale 2005 in Venedig mit Tampons arbeiten würde“, sagt Ghandehary. Da hatte die Künstlerin Joana Vasconcelos aus 25.000 Wattestöpseln einen Kronleuchter gemacht. Inzwischen ist er der vielen Erklärungen müde geworden. Er versteht nicht, warum das Finanzamt nicht einfach jemanden schickt, der etwas mehr von Kunst versteht.
Irgendwann drehte er den Spieß um und fragte zurück. Ob die Frau vom Finanzamt eigentlich je eine Ausstellung besucht hätte. Aber sie kannte nicht einmal die Deichtorhallen, sagt Ghandehary. Dass diese Frau noch nie in ihrem Leben in einer Ausstellung war, entsetzt den Künstler und ihm wurde klar: „Nun hab ich ein großes Problem.“
Das Finanzamt bezweifelt, dass es sich bei seiner Arbeit um eine künstlerisch-kreative Tätigkeit handelt und fordert nun 19 statt der von ihm in Rechnung gestellten sieben Prozent Umsatzsteuer. Doch im Nachhinein bekommt Ghandehary das Geld von seinen Auftraggebern nicht zurück. Er muss die Differenz selbst bezahlen. Mehr als 21.000 Euro will das Finanzamt nun von ihm haben. Dabei verdient er nur etwa 11.000 Euro netto im Jahr.
Ghandehary hat sich einen Anwalt genommen und Einspruch eingelegt. Das Finanzamt forderte von ihm, seine Arbeit genau zu beschreiben. Er arbeitet für das Kunsthaus, die Kulturbehörde, macht kleinere Ausstellungen hier und da.
Das Kunsthaus bestätigte dem Finanzamt auch, dass es sich dabei um eigenständige künstlerische Arbeiten handelt. Für jede Ausstellung schaffe er eigene Werke, als Bindeglieder zwischen den Ausstellungsstücken, um die Arbeiten der anderen Künstler in Beziehung zueinander zu setzen. Er fertigt dafür aber auch selbst Arbeiten aus Styropor und gießt kleine Teile aus Beton. Das Finanzamt will das aber nicht einfach als Kunst gelten lassen.
„Dabei sind Ausstellungen für sich genommen doch urheberrechtlich geschützte Arbeiten“, sagt Ghandehary. Das gelte für die Documenta wie für jede andere Ausstellung. In der Präsentation der künstlerischen Arbeiten stecke jede Menge Arbeit. Für jede Ausstellung müsse der Raum neu gestaltet werden. Jedes Mal macht er sich erst mal kleine Modelle, um so eine Vorstellung zu bekommen, wie die Ausstellungsstücke darin am besten zur Geltung kommen.
Die Rechtsprechung und die herrschende Lehrmeinung gehen davon aus, dass der urheberrechtliche Schutz einer Ausstellung als Sammelwerk gemäß Paragraf 4, Urhebergesetz, in Betracht kommt, erklärt sein Anwalt vergeblich dem Amt.
Ghandehary reist oft in den Iran und arbeitet dort in den Bergen mit seltenen Steinarten und Marmor. Für das Finanzamt Familienbesuche. Es will die Reisen nicht als Betriebsausgaben gelten lassen. Obwohl er alle möglichen Belege und Erklärungen lieferte, akzeptierte das Amt schließlich fast nichts.
Zu seiner eigentlichen Arbeit kommt Ghandehary kaum noch. Er fühlt sich wie benebelt, sagt er. Doch aufgeben will er nicht. Wenn das Finanzamt nicht einlenkt, kann er sich vorstellen bis zum Bundesverwaltungsgericht nach Karlsruhe zu ziehen, um für sein Recht zu streiten. Nun will er erst mal demonstrieren. Vor dem Finanzamt in Altona.
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