Steuern rauf und runter: Das Geschwätz von gestern
Wenn die Wirtschaft kriselt, müssen Steuern runter, sagt die FDP. Jetzt sagt sie, dass Steuern runter müssen, weil die Wirtschaft brummt. Häh?
![](https://taz.de/picture/262051/14/5275719.jpg)
Um das Absurde der aktuellen Steuersenkungsdebatte in der Regierung zu verstehen, versetze man sich kurz zurück in die Jahre um 2003. Damals gab es in Deutschland sehr viele Arbeitslose, eine schwache Wirtschaft und, kleiner Trost, einen liberalen Masterplan: Die Steuern müssen gesenkt werden.
Denn dann würden die Menschen wieder mehr Geld in der Tasche haben, deshalb mehr kaufen; bald würde es auch der Wirtschaft wieder gut gehen - und damit dem ganzen Land. Egal ob in Talkshows, Pressemitteilungen oder im Bundestag: Es galt das, was etwa FDP-Finanzexperte Hermann Otto Solms damals sagte: "Man muss die Steuern senken, damit die Wirtschaft läuft."
Gerne wurde damals und auch in der Zeit der Finanzkrise 2009 hinzugefügt, dass die entstehenden Staatsschulden in besseren Zeiten zurückgezahlt würden. "Im Aufschwung kann der Staat die Verschuldung zurückfahren", sagte zum Beispiel der heutige FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle im Januar 2009 in einer Rede zum Konjunkturpaket. Das folgt der Logik des Ökonomen John Maynard Keynes - sein Prinzip heißt "Deficit Spending". In der Krise gibt man Geld aus, das man nicht hat, damit man es wieder zurückzahlt, wenn die Krise vorbei ist. Die FDP ist also prinzipientreu. Hätte man denken können.
Zinsenzinsenzinsen
Jetzt ist 2011, und zumindest Wirtschaftswachstum, Arbeitslosenquote und Steuerschätzungen sehen viel besser aus, als die meisten erwartet hätten. Langsam werden die Schulden auch zurückgezahlt. Aber eben sehr langsam: Erst in dieser Woche sagte der Sprecher des Finanzministers in Berlin, pro Tag gebe Deutschland immer noch 100 Millionen Euro Zinsen für die Staatsschulden aus.
Und was sagen nun die Regierungsparteien? "Jetzt ein Signal zu senden durch eine gezielte Entlastung bei den unteren und mittleren Einkommen" könne auch für die Konjunktur sinnvoll sein, so FDP-Generalsekretär Christian Lindner in dieser Woche.
In der Krise dienen ökonomische Prinzipen der FDP gerne als Argumentation. Wenn es opportun ist, vergisst sie diese wieder.
Besonders problematisch dabei: Damit setzen die Liberalen zugleich die Axt an die Verfassung. Die Schuldenbremse ist dort seit 2009 verankert, sie zwingt die Bundesregierung zum Sparen in wirtschaftlich guten Zeiten - so wie momentan. In der Regelung ist festgehalten, dass Mehreinnahmen durch einen Konjunkturaufschwung nicht vom Staat ausgegeben werden dürfen. In so einem Fall muss die Schuldenlast stattdessen noch stärker verringert werden.
Gegen dieses Prinzip verstößt die Bundesregierung, wenn sie jetzt, im konjunkturellen Aufschwung, wirklich die Steuern senkt. Natürlich weiß sie um die Schwäche der eigenen Argumentation.
konjunkturell oder strukturell?
Deshalb wird jetzt zwischen dem Kanzleramt und dem Finanzministerium wieder ein wenig uminterpretiert: Die aktuellen Mehreinnahmen seien also nicht konjunkturell bedingt, sondern strukturell, verbreiten Koalitionskreise. Denn durch den demografischen Wandel änderten sich die Strukturen und damit stehe eine Steuersenkung auch nicht im Widerspruch zur Schuldenbremse.
Nun gut. Es gibt in der aktuellen Debatte um die Steuersenkungen der Regierung also einige Erkenntnisse. Dass die FDP jetzt Steuern senken will, egal wie es der Wirtschaft geht, ist noch die am wenigsten überraschende. Dass die Schuldenbremse nicht in einer Krise scheitert, sondern an einem Aufschwung, ist vielleicht die traurigste. Und die einprägsamste sollte sein: Wenn ein Politiker in einer Krise tatsächlich noch einmal sagt, im Aufschwung werden Schulden zurückgezahlt, dann ist das nichts wert. Es könnte bald ja schon wieder so weit sein. Im Bundestag werden bekanntlich parallel schon wieder Rettungspakete geschnürt.
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