: Sternthaleraktion mit Westmark im Osten
■ Über 500 Menschen hatten sich am Samstag vor dem besetzten Haus Rosenthalerstraße 68 in Ost-Berlin zur Aktion „Wir wollen Westler sein“ versammelt / Hoffnung auf den großen West-Geldregen wurde bitter enttäuscht / Es regnete nur 150 DM und reichlich Schrauben
„Schmeißt die Kohle raus“, brüllte ein etwa 20 Jahre alter Ostberliner vor dem besetzten Haus Rosenthaler Straße 68 ungeduldig und fuchtelte dabei wild mit seinem grün-roten Regenschirm herum. Der 20jährige war einer von über 500 Menschen, die sich am vergangenen Samstag nachmittag vor dem Haus in Ost-Berlin aufgebaut hatten, weil hier um 17 Uhr 5.000 Mark West aus dem Fenster geworfen werden sollten. Das jedenfalls war auf Plakaten und in Zeitungsanzeigen unter dem Motto „Wir wollen Westler sein“ angekündigt worden.
Um 16.55 Uhr war die Menge bereits auf so viele Leute angewachsen, daß die Volkspolizei der Straßenbahn den Weg bahnen mußte. Neben zahlreichen Ostberlinern harrten auch Dutzende von schaulustigen Westberlinern und Journalisten mit in den Nacken gelegten Köpfen darauf, daß sich die Schleusen öffnen und der Geldregen niederprasseln würde. Einige Pfiffige hatten sich ebenso wie der 20jährige einen Regenschirm mitgebracht, der, umgekehrt geöffnet gen Himmel gehalten, für einen großen Fang sorgen sollte.
Kurz nach 5 Uhr, als die Nackenstarre schon einzusetzen drohte, war es dann endlich so weit: Nicht aus den Fenstern des besetzten Hauses, sondern auf dem Dach des Neubaus vis a vis tauchten plötzlich mehrere langmähnige Gestalten auf und warfen unter dem Gejohle der Menge ein paar bescheidene Hände voll Münzen ins Volk. Die Vorhersage einer Ostberlinerin - „die werden sich totschlagen, da können wir gleich den Krankenwagen bestellen“ - bewahrheitete sich jedoch nicht: Die wenigen Münzen, die sich zur allgemeinen Enttäuschung hauptsächlich als Pfennigstücke entpuppten, waren nach ein paar kräftigen Schubsern und Stößen vom Boden aufgelesen.
Bevor sich das nächste Kleingeld über den Köpfen ergoß, fragte eine Stimme vom Dach „Wollt ihr mehr?“. Die Menge antortete brav mit „Ja“ und wurde dafür mit ein paar weiteren Pfennigen entlohnt. Die nächste Ladung Münzen wurde von einem lauten „Wir wollen Westler sein“ abhängig gemacht. Und immer noch waren sich einige dafür nicht zu dumm.
Die Mehrzahl hatte jedoch spätestens jetzt kapiert, daß die „volle Verarschung“ im Gange war, und wandten sich empört ab. „Det jeht zu weit“, konstatierte ein Vater. Seinem Sohn, der ihm stolz drei Pfennige präsentierte, beschied er mit einem säuerlichen: „Gib det bloß nich mit einmal aus.“
Ein etwa 50jähriger fühlte sich gleichfalls zutiefst erniedrigt: „Solche Geldstücke nehmen im Westen nich mal die Penner.“ Die allgemeine Empörung war perfekt, als es von oben plötzlich Schrauben regnete. Aber auch sie fanden ihren Abnehmer durch einen Elektromonteur: „Die sind hier doch Mangelware.“
Die Initiatoren der Aktion verschwanden unerkannt über die Hinterdächer. Verantwortlich zeichnet der Musiker und EX-DDR -Bürger Kalle Winkler und ein paar Besetzer der Rosenthaler Straße 68 und Mitglieder der Ostberliner Band „Freigang“. Winkler erklärte auf Nachfrage, daß die Aktion einerseits als PR-Gag für sein demnächst erscheinendes Buch über seine Stasi-Haft, Zur Aufklärung eines Sachverhalts, gedacht sei. Tieferer Sinn sei aber gewesen, dem DDR-Bürger einmal „den Spiegel“ vorzuhalten. Laut Winkler wurden 150 West-Mark in die Menge geworfen. Mit den Schrauben habe man aber nichts zu tun, die seien von woanders her - „vielleicht war es die Stasi?“ - gekommen.
plu
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