Sterbehilfe in Frankreich: Eine Frage der Wortwahl
Die französische Nationalversammlung hat einer Gesetzesvorlage zugestimmt, die Sterbehilfe legalisiert. Für das Recht auf Sterben gelten strenge Bedingungen.

Um eine Hilfe zum Sterben zu erhalten, muss laut der verabschiedeten Vorlage ein Patient seinen festen Wohnsitz in Frankreich haben, volljährig und zurechnungsfähig sein. Um bei einem medizinischen Kollegium sein Recht, zu sterben, geltend zu machen, muss er in sich in einer fortgeschrittenen Phase oder in der Endphase einer unheilbaren Krankheit mit physisch oder psychisch unerträglichen Leiden befinden. Das sind relativ strikte Konditionen.
Außer in seltenen Fällen (beispielsweise einer körperlichen Behinderung) ist es der sterbewillige Patient – und nicht eine Drittperson –, der sich selbst das ärztlich verschriebene tödliche Mittel verabreicht. Mitglieder des Pflegepersonals haben, gestützt auf eine „Gewissensklausel“, das Recht, sich nicht an dieser Prozedur zu beteiligen.
Vor allem in religiösen Kreisen stößt das Prinzip einer Sterbehilfe auf Ablehnung. Und vor allem auch die Kriterien und Bedingungen, unter denen es lebensmüden Patienten gegebenenfalls ermöglicht werden kann, sich selbst in einem strikt medizinisch kontrollierten Rahmen ein letales Mittel zu verabreichen. Bezeichnenderweise ist im Gesetzestext nicht explizit von einer Hilfe zum Suizid die Rede.
Offenbar wurde allein schon dieses Wort als politisch kontraproduktiv eingeschätzt und darum vermieden. Andere Wörter im Kontext sind erst recht tabu: vor allem die durch die abscheulichen Naziverbrechen gebrandmarkte Euthanasie. Im Titel der Gesetzesvorlage steht vage „Lebensende“, nicht explizit die „aktive Sterbehilfe“.
Zum ersten Mal ein Recht auf Sterbehilfe
Aus solchen Rücksichten mussten die Formulierungen mit größter Vorsicht gewählt werden. Nun sollen in Frankreich Schwerstkranke, die nach ärztlicher Ansicht keinerlei Aussicht auf Heilung haben und auch keine Linderung ihrer Schmerzen erhoffen können, auf legale Weise und mit Unterstützung des Pflegepersonals die von ihnen ausdrücklich gewünschte Hilfe zum Sterben erhalten.
Bemerkenswert ist an der Vorlage, dass hier im Gesetz ein Recht auf Sterbehilfe verankert wird. Eine vorsätzliche Behinderung an der Ausübung dieses Rechts wird zu einem strafbaren Delikt erklärt. Das war übrigens einer der von den Gegnern und Gegnerinnen am meisten bekämpften Punkte der Vorlage, die schließlich am Dienstagabend mit einer sehr deutlichen Mehrheit von 305 gegen 199 Stimmen angenommen wurde. Außergewöhnlich ist auch, dass die Meinungsdifferenzen in (fast) allen Fraktionen existierten. Ein parallel diskutiertes Gesetz, das den Zugang zur Palliativmedizin verbessert, aber nicht als Alternative zur Sterbehilfe präsentiert wurde, ist am selben Abend einstimmig angenommen worden.
Weiterhin unklar ist es, ob auch der Senat diesem Gesetzestext zur Legalisierung der Sterbehilfe zustimmen wird. Dies geschieht voraussichtlich erst im Herbst. Wichtige Abänderungen durch das weit konservativere „Oberhaus“ des Parlaments hätten zur Folge, dass eine zweite Lesung erforderlich würde und dass womöglich dieses Thema erneut verschoben würde.
Schon einmal lag ein Sterbehilfegesetz in der Nationalversammlung zur Verabschiedung vor, doch dann löste Präsident Emmanuel Macron die Nationalversammlung auf, und wegen der Neuwahlen wurde alles auf die lange Bank geschoben. Dieses Mal hat derselbe Macron versprochen, dass er eine Volksabstimmung organisieren wolle, falls die Sterbehilfe im Parlament nicht durchkommt. Der positive Ausgang der Befragung wäre sicher: Rund 9 von 10 französischen Bürger*innen sind laut einer IFOP-Umfrage für die Legalisierung der Sterbehilfe.
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