Steigende Teuerungsrate: Geheimnis Inflation in China
Die Volksrepublik versucht ihr größtes Wirtschaftsproblem zu vertuschen: Die Teuerungsrate steigt und steigt - und die Verunsicherung im Land ist groß.
Zhang Renan trägt Nadelstreifen, er wirkt formell, doch sein warmer Blick verrät den dienstbereiten Hotelier. Zhang gehört das Silver City Hotel in Wenzhou, ein bekannter Unternehmer-Treffpunkt in der südchinesischen Hafenmetropole. Weil er den Reporter über Freunde in Peking kennt, hat er an diesem Abend drei Wenzhouer Industrielle zu einem Gespräch über die Inflation in China geladen.
Er führt seine Gäste durch eine mit Bauhaus-Möbeln ausgestattete Lobby in ein luxuriöses Séparée. Er lässt Krebs und Muscheln servieren. Er lässt das Bier nach jedem Schluck nachschenken. Er sorgt für eine freundschaftliche, offene Atmosphäre. Er tut alles, um dem Reporter zu helfen. Doch es ist dieser Tage in China nicht einfach, offen über die Inflation zu sprechen. Sie ist das größte Wirtschaftsproblem des Landes. Sie steigt und steigt. Mitte Dezember gaben die Pekinger Behörden die höchsten Preissteigerungen seit 11 Jahren bekannt: Im November stiegen die chinesischen Verbraucherpreise um 6,9 Prozent, die Lebensmittelpreise sogar um 18,2 Prozent. Zum ersten Mal seit der Asienkrise 1997/98 wackelt in China mit der Preisstabilität eine der Säulen der Volkswirtschaft.
Das wissen auch die drei erfahrenen Textilunternehmer, die Zhang im Silver City Hotel in Wenzhou seine Freunde nennt. Doch die drei sträuben sich gegen jedes Kriseneingeständnis. Cui Zhixiang sagt: "Alles wird teurer, auch die Löhne steigen." Er hält das aber für eine normale Entwicklung zu mehr sozialer Gerechtigkeit. "Unsere Textilprodukte bleiben trotzdem billig", meint Chen Shaoshan. Er unterstreicht die Unabhängigkeit seiner Branche von den steigenden Energiepreisen und tut so, als könne die Inflation seinem Geschäft nichts anhaben. Zhang Renyi erklärt: "Die Zinserhöhungen infolge der Inflation sind für Investitionen nicht gut. Aber wir wollen heute nicht mehr ständig wachsen." Als würde er mit seinem Unternehmen keine Expansionspläne mehr hegen. Cui, Chen und Zhang Renyi leugnen das Inflationsproblem auch nach der fünften Flasche Bier. Sie sagen, die wirtschaftliche Entwicklung sei stabil und ausgeglichen. Sie sind alle Mitglieder der KP. Noch mit hochroten Köpfen haben sie sich gut im Griff. Ihre spürbare Vorsicht aber erzählt Bände über die Inflationsgefahr.
Tatsächlich haben die Kommunisten in den knapp 60 Jahren ihrer Regierungszeit kaum einen größeren Feind kennengelernt als die Inflation. Sie begleitete die Hungerkatastrophe infolge der verfehlten Wirtschaftspolitik des "Großen Sprungs nach vorn" Anfang der 60er-Jahre. Sie nährte die Studentenrevolte 1989. Damals waren viele Produkte aufgrund der Planwirtschaft noch knapp und nur für KP-Kader erhältlich, die sie dann zu überhöhten Preisen weiterverkauften. Die Inflation lag bei 18 Prozent. Spätestens seit dem Massaker vom Tiananmen-Platz ist die Inflation ein chinesisches Trauma. Entsprechend nervös reagiert die Parteiführung.
Sie hat auf ihrer jährlich im Dezember tagenden "Zentralen Wirtschaftskonferenz" beschlossen, die 10 Jahre lang unveränderte Geldpolitik von "vorsichtig" auf "straff" umzustellen. Das bedeutet höhere Bankreserven und Zinsen und weniger Kredite. 2007 wurde der Leitzins sechsmal auf 7,47 Prozent erhöht. Allerdings ohne die Inflation zu stoppen. Nun verspricht die Zentralbank weitere "starke Maßnahmen".
Die Verunsicherung ist groß. Sie überschattet sogar die Aussicht auf das Olympiajahr. Ein Spruch über den Olympiasieger und Nationalhelden Liu Xiang verrät die Ängste: "Man muss nicht im Hürdenlauf gegen Liu Xiang gewinnen, aber gegen die Inflation." Parteiintern warnte Regierungschef Wen Jiabao bereits vor sozialer Instabilität durch Inflation. Doch wie die Unternehmer in Wenzhou geben die Kommunisten in Peking ihre Sorgen nicht offen preis. Das könnte sich rächen, wenn sich die Bevölkerung aufgrund fehlender Inflationswarnungen hinters Licht geführt fühlt.
Denn so bald wird sich die Inflation nicht verabschieden - auch wenn Anfang des Jahres erklärt worden war, dass sie aufgrund "staatlicher Bremsmanöver" 2008 sinken werde. Regierungsexperten wie Wirtschaftsprofessor Zhang Xiaojing verweisen dennoch auf den nachhaltigen Charakter der Preissteigerungen. Der wachsende Getreidekonsum in Ländern wie China, die Nachfrage nach Agrosprit vor allem in den USA, der Rückgang der weltweiten Ackerfläche, die weltweit zunehmende Bevölkerung - alles deute, so Zhang, auf einen anhaltenden Preisanstieg für Lebensmittel, der besonders ärmere Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern träfe.
Die Folgen werden auch die Textilunternehmer in Wenzhou spüren. Sie haben vor allem höhere Lohnforderungen ihrer Arbeiter zu erwarten. Von mehr sozialer Gerechtigkeit wird dann jedoch keine Rede mehr sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin