Union will steigende Inzidenz ignorieren

Nach Armin Laschet will jetzt auch Jens Spahn statt auf die Infektionszahlen allein auf Krankenhauseinweisungen achten. Doch auch die nehmen stark zu – vor allem in NRW

Hat wieder deutlich mehr Covid-Patient*innen zu versorgen: Pflegekraft auf einer Intensivstation Foto: Friedemann Vogel/epa

Von Malte Kreutzfeldt

Kehrtwende in der Corona­politik: Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat am Montag angekündigt, die 7-Tage-Inzidenz als Indikator für Schutzmaßnahmen zu streichen. „Die 50er-Inzidenz im Gesetz hat ausgedient“, sagte Spahn im ZDF. „Der neue Parameter ist die Hospitalisierung.“ Künftig soll demnach die Zahl der Covid-19-Patient*innen, die ins Krankenhaus aufgenommen werden, der entscheidende Messwert sein. Er werde dafür einen Vorschlag vorlegen, den der Bundestag noch vor der Wahl in einer Sondersitzung beschließen könne, sagte Spahn. Für die SPD unterstützte Fraktionsvize Bärbel Bas den Vorschlag, die Inzidenzwerte 35 und 50 aus dem Infektionsschutzgesetz zu streichen.

Besonders freuen dürfte sich über die Ankündigung Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet. Denn in Nordrhein-Westfalen, wo er als Ministerpräsident zusammen mit der FDP regiert, steigt die Inzidenz derzeit am stärksten: Innerhalb eines Monats hat sich der Wert versiebenfacht; mit 103 Neuinfektio­nen pro 100.000 Ein­woh­ne­r*in­nen innerhalb von 7 Tagen verzeichnet NRW mit Abstand den höchsten Wert aller Bundesländer. Der bundesweite Wert liegt mit 56 nur gut halb so hoch. In der Vergangenheit galten jeweils ab Inzidenzen von 35, 50 und 100 bestimmte Beschränkungen; NRW hatte die Grenzwerte von 50 und 100 aber bereits zuvor außer Kraft gesetzt.

Doch auch wenn man stattdessen die Zahl der corona-infizierten Krankenhauspatient*innen betrachtet, sieht die Situation nicht gut aus: In NRW hat sich diese im letzten Monat fast vervierfacht auf derzeit 845. Bundesweit wird die Zahl der Corona­hospitalisierungen erst seit Kurzem erfasst. Die vom Robert-Koch-Insititut täglich bekannt gegebene 7-Tage-Hospitalisierungsinzidenz hat sich innerhalb eines Monats mehr als verdreifacht. Allerdings ist diese Zahl noch mit Unsicherheiten behaftet: Zum einen werden die Werte nachträglich regelmäßig stark korrigiert; zum anderen ist nach wie vor unklar, inwieweit dabei nur Menschen erfasst werden, die wegen einer Covid-Erkrankung ins Krankenhaus kommen (so stellt es das Gesundheitsministerium dar), oder auch solche, die aus anderen Gründen im Krankenhaus liegen und dort positiv auf Corona getestet wurden (davon geht das Robert-Koch-Insitut aus).

Auch die Zahl der Corona­patient*innen auf Intensivstationen steigt seit drei Wochen wieder deutlich an: Mit bundesweit 775 lag sie am Montag 41 Prozent höher als eine Woche zuvor. Die Zahl der gemeldeten Coronatoten liegt im 7-Tage-Mittel mit 16 pro Tag weiterhin auf sehr niedrigem Niveau, aber auch hier liegt der Wert aktuell 25 Prozent höher als eine Woche zuvor.

Gleichzeitig zeigt sich aber immer deutlicher, dass die Corona-Impfung gut vor symptomatischen Erkrankungen schützt: Wie neue Zahlen des Robert-Koch-Insituts zeigen, hatten von den Menschen, die von Mitte Juli bis Mitte August mit Symptomen an Covid erkrankten, 85 Prozent keinen vollständigen Impfschutz. Noch besser ist der Schutz vor schweren Verläufen: Von den Patient*innen, die im gleichen Zeitraum mit einer Corona-Infektion ins Krankenhaus kamen, hatten 92 Prozent keinen vollständigen Impfschutz. Unter den Intensivpatienten waren 94,5 Prozent nicht vollständig geimpft, unter den Coronatoten 86 Prozent.

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