: Steghose muß leider sein
■ Zur pluralistischen Gesellschaft gehört auch der schlechte Geschmack moderner Frauen
Im Sommer fallen alle textilen Schranken. Der schlechte Geschmack macht sich Luft. Klebeflächen werden freigelegt. Große Zehen brechen durchs Schuhwerk ans Freie. Alles trägt Top- oder Stretchpellen, möglichst mit Nabelperspektive.
In keiner Jahreszeit klappt's besser mit der freiwilligen Rollenfixierung. Emanzipation charmant. Mit Leib und Seele Frau. Keine Haare mehr auf der Kugel vom Deoroller.
Muß das sein? Die Steghose, die sogenannte, die eigentlich vom Ski herkommt oder höchstens apres, zu dieser warmen Jahreszeit. Ja, sie muß. Und auch noch in Weiß. Plus weiße 15-cm-Pumps, Pfennigabsatz mit viel Metall. Und Goldkettchen um die Fessel.
Muß das sein? Die Fahrradhose in schillerndem Pink, Neon oder Apfelgrün, darunter schwarze Nylons, unten Abschluß mit Sportsocken, die in rauhledernen Indianerslippern stecken. Mode mal ganz praktisch.
Muß das sein? Diese fleischfarbenen Strümpfe, Ansatz kurz unterhalb des Knies gut erkennbar unterm Baumwollbuntdruck. Eine Art armfreier Küchenkittel. Bitte nicht rauchen, leicht entflammbar. Keilabsätze in Kork mit weißen Lederriemen und silbernen Schnallen. Das T-Shirt mit aufgenähten kleinen Berliner Plüschbären und dem Brandenburger Tor aus Straß.
Muß das sein? Diese perlmuttweißen Polyacryl-Hot-Pants mit Spitzenbesatz. Hochgerollte Pluderhosen, gepunktet. Gehäkelte Oberteile in Baby-Rosa mit schwarzem BH darunter. Spaghetti-Träger auf broilerbraunen Breitschultern. Papis Anzugweste mal ganz ohne drunter. Und Indienkleider, Indienkleider, Indienkleider — mitten in Zentraleuropa.
Ein jeder Berliner Bürgersteig wird zum Bacardi-Strand. Oder zum Martini-Beckenrand. Keine Madonna ohne Bustier und andere Korsagen. Eistafelästhetik. Im Wet-Gel- Haar die bunte Sonnenbrille aus dem letzten Jahr, die von McDonalds. Miniröcke, die aussehen wie aus Krepp-Papier, kombiniert mit Bergsteigerstiefeln.
Die Birkenstöcke schlagen aus. Mit gedeckten Farben geben sie sich nicht mehr zufrieden, auch die Cabrioversionen. Dazu passen ausschließlich diese ziemlich relaxten Senegalhosen. Du, das sind die, die echt nicht auftragen, du. Für oben als Kontrast das elegante Oberteil, das ich noch von meiner Konfirmation habe. Okay, die gefärbte Halswindel, die leg' ich sowieso bei keinem Wetter ab.
So viele Hippies gab's nicht mal zur Hippie-Zeit. Barbarella ist gelandet. Und Barbie ist auch dabei. Das franst und türmt, das es eine platinhelle Freude ist.
Zwei Dinge haben alle Frauen dieses Jahr. Die gibt's bei Drospa, auf jedem Flohmarkt und überall. Erstens diese durch ein Gummi verbundenen Klammerchen, die die Kostümjacke auf dem Rücken über den Hüften ein klein wenig zusammenrafft. Und zweitens diese Dutt-Manschetten für die Kylie-Minogue- Tage mit dem wilden Pinsel oben auf. Aus Samt oder goldig flitternd. Muß sein. Aber wirklich alles? Vermutlich, nein ganz sicher: Ja! Es muß sein. Denn die Alternativen, der Mao-Dress, die Militäruniform oder das schwarze Ganzkörperkleid mit Schleier scheinen in der pluralen Gesellschaftsordnung kaum durchsetzbar.
Auch das schlichte Chanel-Kostüm oder die Ausstattung von Jil Sander helfen nicht viel — von wegen der schmalen Portemonnaies der breiten Massen. Und überhaupt ist zuzugeben: Verglichen mit Sommeraufzug der Mehrheit der Geradeausmänner, sind auch die schlimmsten Exzesse der Frauenmode noch ein rechter Augenschmaus.
Auch meldet sich, da sich der Text seinem Ende neigt und keine neuen Gedanken sich zu der Handvoll Geistesblitze hinzugesellen, das Lenorgewissen. Entspringt nicht jeder dieser Textabsätze dem puren Neid des Nadelstreifengeschlechts? Dem Neid darauf, daß Frauen ihren Körper gut drappiert und ungeniert zu exhibitionieren wissen? Wer weiß? Lagerfeld hilf! kotte
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