: Graf Stauffenberg und Georg Elser
Zwei Biografien, wie sie unterschiedlicher kaum hätten sein können: Georg Elser war ein einfacher Tischler und Kommunist, Claus Schenk Graf von Stauffenberg Militarist und Verehrer der Eliteideen des Dichterfürsten George. Beide versuchten, Hitler zu töten, doch Ruhm brachte es nur dem Grafen
VON MICHAEL WILDT
Wenn es einen geistigen Urheber des Attentats auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 gegeben hat, dann war es Stefan George. Niemand sonst hat Claus Schenk Graf von Stauffenberg so geprägt, intellektuell geformt wie jener Dichter, der die Tat forderte, um das Neue Reich zu verwirklichen.
Die Brüder Stauffenberg – Claus wurde 1907 geboren, seine beiden älteren Zwillingsbrüder Berthold und Alexander 1905 – wuchsen in einem wohlsituierten und musischen Elternhaus aus. Der Vater aus altem schwäbischen Adelsgeschlecht war Oberhofmarschall beim württembergischen König; die Mutter stammte ebenfalls aus einer traditionsreichen protestantischen Adelsfamilie. Die Wohnung der Stauffenbergs befand sich im Alten Schloss in Stuttgart, dessen Salons und Gärten den Kindern bestens vertraut waren.
Georg Elser, vier Jahre älter als Claus von Stauffenberg, hingegen kam aus einfachen Verhältnissen. Der Vater war ein gewalttätiger Alkoholiker, der seinen Bauernhof auf der Schwäbischen Alb herunterwirtschaftete. Als Vierzehnjähriger begann Elser zunächst eine Eisendreherlehre, brach diese ab, und fing an, Tischler zu lernen. Seit Mitte der Zwanzigerjahre arbeitete er dann bei verschiedenen Firmen in der Bodenseeregion.
Er galt als schweigsamer, aber geselliger Mensch, spielte Ziehharmonika und wählte die Kommunisten, „weil ich dachte“, so gab Georg Elser später in der Gestapo-Vernehmung zu Protokoll, „das ist eine Arbeiterpartei, die sich sicher für die Arbeiter einsetzt. Mitglied dieser Partei bin ich jedoch nie gewesen. […] Im Jahr 1928 oder 1929 bin ich in Konstanz dem Roten Frontkämpferbund beigetreten. Ich war aber nur zahlendes Mitglied, denn eine Uniform oder irgendeinen Funktionärsposten habe ich nie innegehabt.“
Die Brüder Stauffenberg wanderten als Schüler durch die Umgebung Stuttgarts, saßen am Lagerfeuer, lasen Gedichte von Hölderlin und Stefan George. Im Sommer 1923 lernten Berthold und Alexander den Dichter kennen, der sie in seinen Kreis aufnahm. Der jüngere Claus folgte ein Jahr später.
Stefan George galt zu diesem Zeitpunkt als einer der bedeutendsten zeitgenössischen Dichter, ebenso heftig diskutiert wie verehrt. Die Bindung der Brüder war tief und bedingungslos. Von ihm lernten sie den Glauben an das „Neue Reich“, die schicksalhafte Rolle der auserwählten Elite, die Bedeutung des Einzelnen und der Tat. Mit großer Gebärde verwarf George die moderne Zivilisation. Fortschritt, Technik und Massenwohlfahrt waren ihm ebenso verhasste Synonyme für hohle Nützlichkeitsethik wie allgemeine Bildung oder die Emanzipation der Frau. Als Claus Stauffenberg später einmal von seiner Verlobten Nina von Lerchenfeld gefragt wurde, warum er sie heiraten wolle, antwortete er, dass sie die richtige Mutter für seine Kinder sei.
Ohne Zweifel hat Stauffenberg, der mittlerweile eine steile Karriere in der Reichswehr machte, das neue nationalsozialistische Regime begrüßt. Noch im Gestapo-Verhör 1944 erklärte Berthold Stauffenberg, dass die Brüder den Gedanken des „Führerprinzips“ wie der „Volksgemeinschaft“ als Alternative zur liberalen, pluralistischen Demokratie unterstützt hätten. Dass sie dabei selbst die Ausgrenzung der Juden aus der „Volksgemeinschaft“ akzeptierten, lassen die Äußerungen von Berthold und Alexander Stauffenberg im Gestapo-Verhör erkennen, denen zufolge sie mit einer gewaltlosen „Lösung der Judenfrage“ einverstanden gewesen wären. Den außenpolitischen Annexionismus des Regimes begrüßten sie sowieso.
Für Elser dagegen stellte die Absicht der NS-Führung, Europa in einen neuen Krieg zu stoßen, der Grund für sein Attentat dar. Er kam im Herbst 1938 zu dem Entschluss, so seine Aussage im Gestapo-Protokoll, „dass die Verhältnisse in Deutschland nur durch eine Beseitigung der augenblicklichen Führung geändert werden könnten“.
Systematisch ging er zu Werk. Noch im November 1938 inspizierte er den Bürgerbräu-Keller in München, weil er die jährliche Gedenkfeier, an der neben Hitler die gesamte NS-Führung teilnahm, für den Anschlag ausgewählt hatte. Er besorgte sich Sprengkapseln aus einem Steinbruch sowie Armaturen für den Zündmechanismus, baute selbst einen Zeitzünder, fuhr dann im August 1939 nach München und ließ sich dreißig Nächte lang im Bürgerbraukeller unentdeckt einschließen, um die Säule neben Hitlers Rednerpult vorsichtig zu präparieren. Am 6. November schließlich deponierte er die Bombe und stellte den Zeitzünder auf den Abend des 8. November ein. Alles war bereit.
Allerdings herrschte an diesem Abend schlechtes Flugwetter, so dass Hitler nur mit der Bahn zurück nach Berlin fahren konnte und seine Rede deswegen eine halbe Stunde früher begann. Auch war sie deutlich kürzer als üblich. Fünf Minuten nach 21 Uhr verließ Hitler den Saal, eine Viertelstunde später explodierte der Sprengkörper. Die Explosion zerstörte nicht nur das Rednerpult, sondern die gesamte Saaldecke. Von den rund 200 Menschen, die sich in dem Raum befanden, wurden 8 getötet und 63 verletzt, davon 17 schwer.
Zufällig ging Elser schon am Abend des 8. November ins Netz, als er bei dem Versuch, illegal die Schweizer Grenze zu überschreiten, verhaftet wurde. Er trug ein Abzeichen des Roten Frontkämpferbundes, eine Ansichtskarte vom Bürgerbräukeller und Teil des Zeitzünders mit sich, wahrscheinlich um sich den Schweizer Behörden als Widerstandskämpfer auszuweisen. In der Haft wurde Elser gefoltert und gestand wenige Tage später die Tat. Am 22. November kamen die Zeitungen mit der triumphierenden Schlagzeile heraus: „Der Attentäter gefaßt. Täter: Georg Elser – Auftraggeber: Britischer Geheimdienst.“ Diese Lesart hielt sich bis in die Nachkriegszeit hinein. Konnte ein einfacher Arbeiter imstande sein, die nationalsozialistische Politik zum Krieg so klarsichtig zu durchschauen und allein auf sich gestellt ein Attentat auf den „Führer“ durchzuführen?
Viel leichter schien es, Elser zum Werkzeug des britischen Geheimdienstes zu machen und ihm seine eigene Urteilsfähigkeit wie Tatkraft abzusprechen. Eltern wie Geschwister Elsers wurden inhaftiert, täglich vernommen und zum Teil erst Monate später wieder freigelassen. Georg Elser selbst verschleppte die Gestapo ins KZ Sachsenhausen, wo er in Isolationshaft gefangen gehalten wurde.
Zu dieser Zeit hatte sich Stauffenberg begeistert in den Krieg gegen Polen gestürzt. „Die Bevölkerung ist ein unglaublicher Pöbel“, schrieb er seiner Frau, „sehr viele Juden und sehr viel Mischvolk. Ein Volk welches sich nur unter der Knute wohlfühlt.“ Der Krieg gegen Frankreich im Mai 1940 wurde ihm zum Erlebnis immerwährenden Vorwärtsstürmens: „Nach dem Durchbruch durch die Maas-Stellung eine unaufhaltsame Verfolgung bis dicht ans Meer […] Persönlich geht es uns ausgezeichnet; die Vorräte des Landes genießen wir in vollen Zügen und gleichen so etwas den mangelnden Schlaf auf. Eier zum Frühstück, herrliche Bordeaux, Burgunder und Heidsieck, so daß sich das Sprichwort ‚Leben wie der Herrgott in Frankreich‘ durchaus bewahrheitet.“
Hier spricht jemand, der sich deutscher Unüberwindlichkeit gewiss ist und es sich auf Kosten des eroberten Landes gut gehen lässt. Erst allmählich wuchs seine Kritik am Regime, Widerstand leisten mochte er jedoch zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Als ihn Helmuth James Graf von Moltke, Organisator des Kreisauer Kreises, für die Opposition gewinnen wollte, erhielt er eine Absage. Erst müsse der Krieg gegen den Bolschewismus gewonnen werden, so Stauffenberg.
Noch bis ins Jahr 1943 waren führende Mitglieder der 20. Juli, wie Tresckow oder Boeselager, als Generalstabsoffiziere der Heeresgruppe Mitte an der barbarischen Kriegführung der deutschen Wehrmacht im Osten beteiligt. Den Kampf gegen den Bolschewismus wollten auch sie unerbittlich führen und scheuten sich nicht, die Vernichtung ganzer Dörfer samt ihren Einwohnern zu billigen, wenn unter ihnen sowjetische Partisanen vermutet wurden. Nicht so sehr das Entsetzen über die Gräueltaten der Deutschen in den besetzten Gebieten führte Stauffenberg in den aktiven Widerstand als vielmehr die Einsicht in die Aussichtslosigkeit des Krieges und die Erkenntnis, dass Hitler es nicht vermochte, die Konsequenzen aus den Tatsachen zu ziehen, sondern stattdessen unaufhaltsam auf die Katastrophe zusteuerte.
Hitler wurde dagegen der ihm zuerkannten Rolle nicht gerecht. Es komme nicht mehr darauf an, Hitler die Wahrheit zu sagen, vertraute Claus Stauffenberg nunmehr einem befreundeten Offizier an, sondern ihn umzubringen, und er sei dazu bereit. Die Zeit drängte. Mitte Januar 1943 proklamierten Roosevelt und Churchill in Casablanca die bedingungslose Kapitulation Deutschlands als Ziel des Krieges, Ende des Monats ergab sich die 6. Armee in Stalingrad, Anfang Juli landeten die Alliierten auf Sizilien, im September folgte nach dem Sturz Mussolinis die Kapitulation Italiens.
Im Mai 1944, nach seiner schweren Verwundung in Afrika, wurde Claus Stauffenberg versetzt und besaß in seiner neuen Funktion unmittelbaren Zugang zu Hitlers Hauptquartier. Stauffenberg entschloss sich, selbst die Rolle des Attentäters zu übernehmen. Doch schon kurze Zeit später machten die alliierte Landung in der Normandie und der Beginn der sowjetischen Großoffensive im Juni 1944 alle Hoffnung der Widerständler zunichte, mit dem Tod Hitlers könne der Krieg noch ehrenvoll beendet werden. Stauffenberg ließ Tresckow fragen, ob die Pläne überhaupt noch einen Sinn besäßen. „Das Attentat muss erfolgen, coûte que coûte“, ließ dieser antworten. „Denn es kommt nicht mehr auf den praktischen Zweck an, sondern darauf, dass die deutsche Widerstandsbewegung vor der Welt und vor der Geschichte den entscheidenden Wurf gewagt hat. Alles andere ist daneben gleichgültig.“
Nicht die Rettung von Menschenleben, das Ende des Terrorregimes und des Massenmordes führte Tresckow als Begründung an, sondern die Tat um ihrer selbst willen, als die Erfüllung des geistigen Deutschlands – Stefan George hätte das Attentat nicht besser rechtfertigen können.
Am Vorabend des Attentats am 20. Juli trafen sich die drei Brüder Stauffenberg und verfassten einen gemeinsamen Schwur, gewissermaßen ihr Vermächtnis an die Nachwelt: „Wir bekennen uns im Geist und in der Tat zu den großen Überlieferungen unseres Volkes, das durch die Verschmelzung hellenischer und christlicher Ursprünge in germanischem Wesen das abendländische Menschentum schuf. Wir wollen die Neue Ordnung, die alle Deutschen zu Trägern des Staates macht und ihnen Recht und Gerechtigkeit verbürgt, verachten aber die Gleichheitslüge und beugen uns vor den naturgegebenen Rängen […].“ Das Neue Reich, das die Brüder Stauffenberg im Sinn hatten, war offenkundig ein antiquiertes und hatte kaum etwas mit der Welt des 20. Jahrhunderts zu tun. Ihr heroischer Versuch, wenn schon der „Neuen Ordnung“ nicht mehr zur Wirklichkeit zu verhelfen, so doch der Welt zu zeigen, dass sie zur Tat bereit waren, war daher gelungen und zugleich gescheitert.
Am späten Abend des 20. Juli wurde Claus Stauffenberg zusammen mit seinen Mitverschworenen im Hof des Bendler-Blocks erschossen, sein Bruder Berthold am 10. August 1944 vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und am selben Tag hingerichtet. Allein Alexander überlebte. Georg Elser wurde noch in den letzten Kriegstagen, am 9. April 1945, im Konzentrationslager Dachau erschossen.
Erinnern mochte sich nach dem Krieg an ihn kaum jemand, und wenn, dann gänzlich entstellend. Martin Niemöller erklärte zum Beispiel 1946, dass Elser ein SS-Mann gewesen sei, der seine Rolle als Attentäter bloß erfunden habe. Ein anderer ehemaliger Häftling behauptete sogar, Elser habe im Auftrag gehandelt, um der NS-Führung eine Rechtfertigung für den Krieg zu liefern – eine Version, die selbst seriöse Historikern übernahmen. In der DDR wurde er erst gar nicht in den Darstellungen zum Widerstand erwähnt. Während vom Tischler Georg Elser und seiner Tat nur wenige Quellen zeugen, füllen sich zu Claus Schenk Graf von Stauffenberg die Buchregale. In den frühen Fünfzigerjahren noch des Landesverrats bezichtigt, fanden die Attentäter des 20. Juli dann rasch einen festen Platz in der deutschen Erinnerungskultur.
Braucht Deutschland heute wieder positive Helden? War es in den Fünfzigerjahren sicher die Verdrängung des eigenen Mitmachens, die dazu führte, dass die meisten Deutschen sich nur ungern an jene anderen Deutschen erinnern mochten, die die Verbrechen des Regimes nicht bloß gesehen hatten, sondern auch aktiv Widerstand geleistet hatten, so scheint die Wiederkehr von Stauffenberg heute eher die Sehnsucht nach dem „guten Deutschen“ zu sein. Nach Jahren der Aufklärung über die Vielzahl „ganz normaler Männer und Frauen“, die sich an den Massenverbrechen beteiligt hatten, ist der Wunsch, dass es doch auch andere Deutsche als nur Täterinnen und Täter gegeben habe, offensichtlich groß.
Aber warum Stauffenberg und nicht Elser? Auf die Kritik des britischen Historikers Richard Evans, dass sich Stauffenberg mit seiner elitär-reaktionären Weltanschauung wohl nicht zum Helden eigne, antwortete Karl Heinz Bohrer heftig, dass es darauf gar nicht ankomme, sondern Stauffenberg und seine Mitverschwörer „eine Höhe des sittlichen, charakterlichen und kulturellen Formats“ repräsentierten, von dem Mitglieder der heutigen Elite nur träumen könnten.
Darum also geht es! Im gegenwärtigen Diskurs um Eliten und ihre Ethik eignet sich der gebildete Generalstabsoffizier Stauffenberg, der zunächst den Verheißungen des Regimes vertraut, engagiert mitgemacht hat und erst spät umgekehrt ist, dann aber desto entschiedener zur Tat schritt, offenbar weit besser zum öffentlichen Helden als der spröde, eigensinnige Elser, der unter Beweis stellt, dass man auch in Zeiten, in denen die Stauffenbergs wie Millionen andere Deutsche noch den „Führer“ unterstützten, als Tischler mit Volksschulabschluss den destruktiven Charakter des NS-Regimes erkennen und den Entschluss zum Widerstand fassen konnte. „Unglücklich das Land, das Helden nötig hat“ (Bertolt Brecht).
Michael Wildt ist Professor für Zeitgeschichte an der Universität Hamburg. Dieser Text geht auf einen kürzlich im Institut für Sozialforschung in Hamburg gehaltenen Vortrag zurück
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