Bundesliga aktuell: Staub statt Wasser
■ Spielertypen der 90er Jahre (Folge 4): Der selbstlose Mannschaftsspieler
Der selbstlose Mannschaftsspieler (SM) ist immer in Bewegung, jedenfalls auf dem Platz. Woche für Woche wird er von der Lokalpresse geehrt, weil er sich für seine Mannschaft, seinen Trainer und seinen Verein aufopfert. Opfert er sich in Länderspielen gar für sein Vaterland auf, ehren ihn auch Sport- Bild und kicker.
Am liebsten spielt der SM Staubsauger vor der Abwehr oder Feuerwehr, murrt aber auch nicht, wenn der Trainer ihn als Vorstopper, Linksaußen oder Balljungen aufstellt, denn Loyalität ist ihm oberstes Gebot. Deshalb ist er der Lieblingsspieler des Trainers.
Die SM-Elf:
Prototyp: Dieter Eilts
Trainer: Werner Lorant
Tor: Andreas Köpke
Abwehr: Jürgen Kohler, Michael Schulz, Günther Metz, Michael Klinkert, Christian Wörns
Staubsauger vor der Abwehr: Dieter Eilts, Christian Nerlinger, Steffen Freund, Jürgen Hartmann, Sven Grätsch
Angriff: Dort spielen nur Egoisten, das ist nichts für den SM
Im Spiel legt der SM mehr KM zurück als der gesamte Sturm seines Teams. Nach dem Spiel trinkt er weniger Bier als jeder andere, dafür aber zehn Liter Wasser, weil er so viel geschwitzt hat. Das allerdings ist nicht der Grund, aus dem man den Vorläufer des SM Wasserträger nannte.
In der Spielweise unterschied sich der Wasserträger nicht vom heutigen SM. Verändert aber hat sich die Bewertung seiner Arbeit, weshalb der Wasserträger heute nicht mehr Wasserträger heißt. Die einzige Aufgabe des Wasserträgers war, Frondienste für einen mehr oder weniger genialen Spielmacher zu leisten, diesem den Rücken freizuhalten, für ihn zu rennen und zu kämpfen, damit der Spielmacher ungestört das Spiel machen konnte. Der Wasserträger war also ein Fußballer zweiter Ordnung, der stets im Schatten seines Meister stand. Schlechthinniger Wasserträger war Herbert „Hacki“ Wimmer, sein Meister Günter Netzer.
Niemand wäre damals auf die Idee gekommen, Hacki Wimmer als besseren Spieler gegenüber Netzer zu bezeichnen, auch nicht an Netzers schwärzesten Tagen. Heute ist das anders. Die Fachpresse lobt eher den SM über den grünen Rasen als den Spielmacher, obwohl dort, wo der SM ackert, der Rasen meistens gar nicht mehr grün ist. Einer der wenigen, die den SM hierzulande nicht schätzen, ist daher der Platzwart, der meint, wenigstens im Training könnte der SM den Rasen schonen und das Grätschen lassen. Doch das kann er nicht, der SM, er gibt immer und jederzeit mindestens alles, das ist sein Naturell. Sein innerer Schweinehund hat sich längst frustriert getrollt, weil der SM ihn immer wieder besiegt hatte.
Einziges Hobby des SM ist das Kino. Seine zehn Lieblingsfilme sind Rocky I bis Rocky X, denn ihm „gefällt eben dieser Typ, der sich seinen Weg nach oben erkämpft und immer wieder aufsteht“.
Wenn der SM auch wie ein Berserker über den Platz rennt, so rennt er doch nicht gleich zur Bild-Zeitung, wenn ihm etwas nicht paßt. Er beißt sich durch, hält die Klappe und sich im Hintergrund, sehr zum Frommen des Vereins. „Man könnte es Treue nennen“, überschrieb ein Hochglanzfachblatt eine Story über den SM und mutmaßte, der SM sei nicht nur der treueste, sondern auch der wertvollste Spieler. Gemeint ist wertvoll hier nicht im materiellen Sinne, also nicht der Wert, den die Versicherung zahlt, sollte den SM der Blitz erschlagen (ein anderes Ende der Karriere ist beim SM kaum denkbar), sondern ideell: der Wert für die Mannschaft, die Kameraden.
Das alles klingt gar nicht nach einem Spiel, was Fußball ja eigentlich sein sollte, sondern recht freudlos, deutsch und tümelnd. Ist es halt auch. Joachim Frisch
Nächste Folge: Die launische Diva
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