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Staub aus der Wüste GobiSandsturm über Peking

Treffen Wetterphänomene und alarmierende Feinstaubwerte aufeinander, zeigt sich die ökologische Krise in einer Unwirtlichkeit der Städte.

Peking am Montag: Bilder wie aus Blade Runner 2049 Foto: Andy Wong/ap

Peking taz | Als Pekings Be­woh­ne­r:in­nen am Montag aus den Fenstern blickten, zeigte sich die chinesische Hauptstadt wie in einem dystopischen Science-Fiction: der Himmel orange-braun gefärbt, die Sicht durch Smogschwaden verdeckt, die Sonne nicht mal zu erahnen. In der 20-Millionen-Metropole wurde Realität, was sich Regisseur Ridley Scott vor 40 Jahren für den ersten „Blade Runner“ noch ausgedacht hatte: die Stadt als unwirtlicher Moloch.

Ursache war in diesem Fall jedoch ein Wetterphänomen, das die Pekinger praktisch jeden Frühling heimsucht: Sandstürme aus der mongolischen Wüste Gobi. Allerdings leidet Peking bereits seit zwei Wochen zusätzlich unter Höchstwerten bei der Feinstaubbelastung, die in den vergangenen Jahren eigentlich abgenommen hatte.

Laut dem Schweizer Technologieunternehmen IQAir, das weltweit Messtationen zur Luftqualität installiert hat, überstieg Peking am Montagmorgen den gefährlichen Maximalwert von 2.000 Mikrogramm Feinstaubpartikeln pro Kubikmeter Luft. Zum Vergleich: Die Berliner Luft lag zum selben Zeitraum bei einem Wert von unter 50 Mikrogamm pro Kubikmeter.

Die meisten Haupt­stadt­be­woh­ne­r:in­nen sind dem Rat der Lokalregierung gefolgt und zu Hause geblieben, wo ein Luftreiniger längst zum Inventar zählt. Wer unbedingt auf die Straße musste, tat dies mit Maske, Brille und Kopfbedeckung. Schulen wurden angehalten, ihre Sportübungen im Freien zu pausieren.

340 Vermisste in der Mongolei

Das sind jedoch nur Unannehmlichkeiten verglichen mit der unmittelbar tödlichen Bedrohung, die der Sandsturm in der Mongolei ausgelöst hat: Dort meldeten die Behörden über 340 Vermisstenanzeigen und der Flugverkehr kam fast vollständig zum Erliegen.

Für die Regierung wird die Umweltverschmutzung zum sozialen Sprengstoff. Bereits 2016 zogen die Be­woh­ne­r:in­nen Chengdus auf die Straße, um ihren Unmut kundzutun. Im Jahr 2019 demonstrierten die Bür­ge­r:in­nen Wuhans gegen den Bau einer Müllverbrennungsanlage.

„In Peking kann man beobachten, wie eine ökologische Krise aussieht“, schreibt Umweltexperte Li Shuo, der im Pekinger Büro für Greenpeace arbeitet, auf Twitter: „Es fällt schwer zu behaupten, dass wir uns vorwärtsbewegen, wenn man nicht einmal sehen kann, was vor einem liegt.“ Tatsächlich blieb die Sicht in Peking am Montag auf wenig mehr als 300 Meter beschränkt.

Lange Agenda der Regierung

Dabei hat die Regierung bereits viel getan, um die katastrophale Umweltsituation der letzten Dekade zu entspannen. Aufforstungsprojekte südlich der Wüste Gobi sorgten so dafür, dass die Sandstürme deutlich abgemildert wurden, ehe sie die Hauptstadt erreichen. Gleichzeitig haben E-Autos die Abgase zumindest im Stadtgebiet reduziert. Vergangenes Jahr schließlich kündigte Staatschef Xi Jinping überraschend an, das Land bis 2060 klimaneutral zu machen.

Vom Nationalen Volkskongress Anfang März zeigten sich viele Um­welt­ex­per­t:in­nen jedoch tief enttäuscht: In ihren Zukunftsplänen erwähnten die Parteikader nur wenig konkrete Schritte, wie man das ambitionierte Umweltziel auch erreichen kann. Von Obergrenzen für den Einsatz von Kohle war etwa keine Rede.

Dass schlechte Luft in Chinas Städten zum Alltag gehört, hängt auch mit der wirtschaftlichen Erholung zusammen, die die Volksrepublik trotz der weltweiten Coronakrise erfährt. Im Jahr 2020 wuchs das Bruttoinlandsprodukt um mehr als 2 Prozent, 2021 sollen es über 6 Prozent werden. Solange Peking dieses Wachstum aber nicht auf Nachhaltigkeit umstellt, bezahlen die Chines:in­nen den Fortschritt zunehmend mit ihrer eigenen Gesundheit.

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