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Stau als umweltpolitisches Instrument

Der Verkehrsexperte Hermann Knoflacher empfielt zur Abkehr von der Politik des Dauerstaus engere Straßen, hohe Benzinpreise und Bürgerproteste/ Internationaler Verkehrskongreß tagte in Berlin  ■ Aus Berlin Annette Jensen

Droht einem Automobilisten das furchtbare Schicksal, mehr als 300 Meter auf den eigenen Füßen bewältigen zu müssen, bleibt er lieber am Volant sitzen und kurvt ein weiteres Mal um den Block. Otto Normalfahrer interessiert es dabei nicht, daß er so später an seinem Ziel ankommt, denn zumeist schätzt er jede Entfernung über 50 Meter als größer ein, als sie tatsächlich ist. „Der Mensch ist eben so, und darauf müssen sich die Verkehrsplaner einstellen“, erklärte der Wiener Professor für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik Hermann Knoflacher auf dem internationalen Kongreß „Wege aus der Sackgasse — Alternativen zur autofixierten Stadt“, den die Berliner Fraktion Bündnis 90/Grüne am Freitag in der Hauptstadt veranstaltete. Rund zweihundert Interessierte fanden sich dazu in der Technischen Universität ein.

Jeder noch so gute Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs nütze nichts, wenn die Blechkisten direkt vor der Haustür geparkt werden könnten, urteilte Knoflacher. Deshalb empfiehlt er Sammelgaragen, die mindestens so weit von den Wohnungen entfernt liegen wie die Bus- und U-Bahn-Haltestellen. „Wenn man nicht mehr vorfahren kann, fällt das Auto auch als repräsentatives Balzinstrument weg“, prognostiziert er einen weiteren verkehrsberuhigenden Effekt. Ralf Fücks, grüner Stadtentwicklungssenator aus Bremen, wendete dieses Argument positiv: „Der Ausstieg aus dem Auto darf nicht nur als Verzicht empfunden werden.“ Deshalb will er vor allem den Yuppis durch eine sinnliche Stadtgestaltung auf den Fahrradsattel helfen.

„Ein anderes probates Mittel zur Umweltpolitik ist die Verschärfung von Staus“, so der Wiener Professor, der seit 20 Jahren gegen den Strom der Verkehrswissenschaft anschwimmt. Verkehrsverstopfungen zeigten, daß das Auto noch zu attraktiv sei. Knoflacher empfiehlt deshalb, die Straßen weiter zu verengen: Denn wenn der Stau hoffnungslos werde, wie vor zwei Jahren bei der Totalsperrung der Inntalbrücke, blieben die Leute zu Hause. Damals durchgeführte Untersuchungen belegen, daß der Verkehr sich keineswegs auf andere Straßen verlagert hatte, sondern gar nicht erst entstanden war.

Dennoch versuchen fast alle Verkehrsplaner nach wie vor, den Stau durch neue und breitere Straßen auszudünnen. „Die Logik dieser Konzeption entspricht der des Installateursgewerbes vor der Erfindung des Absperrhahns“, befand Knoflacher. „Um die Überschwemmung kontrollierbar zu machen, werden immer größere Rohre gebaut.“

Eine sofort als Idiotie identifizierbare Strategie kennzeichnet gleichwohl nicht nur die EG-Politik, sondern auch die Pläne für Berlin: Riesige Tunnelröhren unter dem Tiergarten sind im Gespräch, für den Ausbau der bestehenden Knotenpunkte des Straßenverkehrs werden 380 Millionen Mark veranschlagt. „Und das, obwohl selbst autofreundliche Verkehrswissenschaftler stundenlange Staus vorhersagen“, empörte sich der Organisator des Kongresses, Michael Cramer. In München hat die rot-grüne Stadtregierung bereits fortgeschrittene Tunnelpläne gestoppt: Mehrere Gutachter hatten errechnet, daß die neuen Straßen 60 Prozent mehr Verkehr angezogen hätten, berichtete die grüne Bürgermeisterin Sabine Csampai.

Als Rechtfertigung für immer mehr Straßen dient ein angeblich wachsendens Mobilitätsbedürfnis. Aber auch hier kann Knoflacher seinen Kontrahenten Paroli bieten. Denn die Mobilitätsforschung hat herausgefunden, daß die Zeit für die Erledigung der täglichen Wege konstant bleibt: die Westdeutschen sind im Durchschnitt 56 Minuten am Tag unterwegs, die Ostdeutschen 53 Minuten — und das seit vielen Jahren. Geändert hat sich hingegen die Aufteilung der Wege auf die einzelnen Verkehrsmittel. Während früher der Tante-Emma-Laden und der Arbeitsplatz zu Fuß oder mit dem Rad erreichbar waren, wurde die Infrastruktur immer mehr aufs Auto zugeschnitten. Der Weg mit dem Wagen zum Supermarkt dauert heute ebenso lange wie früher der Fußweg. „Eine Geschwindigkeitserhöhung führt daher zu nichts anderem als zu einer Ausdehnung der Reiseweiten bei konstantem Zeitaufwand“, faßt Knoflacher zusammen. Zu kurz kämen bei einer auf Ausdehnung ausgerichteten Städtebaupolitik natürlich diejenigen, die nicht Auto fahren: Fußgänger, Fahrradfahrer, Alte und Kinder.

Die Möglichkeit, auf großen Pisten schnell weite Strecken zu überwinden, nütze allein den großen Konzernen, denen sich so große Absatzmärkte erschließen. Die ortsansässige Wirtschaft werde hingegen an die Wand gedrängt und die Arbeitnehmer gezwungen, in die Metropolen zu ziehen. „Früher hieß sowas Zwangsumsiedlung, heute nennt man es Mobilität“, polemisierte Knoflacher.

Über die Notwendigkeit höherer Benzinpreise waren sich denn auch alle Kongreßteilnehmer schnell einig. Auf einen Konfrontationskurs mit Konzernen aber mochte sich der Bremer Grüne Ralf Fücks nicht festlegen lassen: „Eine Boomtown wie München kann es sich leisten, Investoren zu verprellen. Wir müssen um sie kämpfen.“ Er forderte deshalb vor allem ein Umdenken in Bonn und Brüssel. Knoflacher bestand hingegen darauf, daß in erster Linie Bürgerproteste und eine gute Kommunalpolitik den Schlüssel zu einer anderen Verkehrspolitik darstellen: „Wenn Sie es lokal schaffen, schaffen wir es auch global!“

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