Stasi-Zuflucht zu besichtigen: Ein Wahnsinnsbunker
Der Bunker in Biesenthal sollte als Notunterkunft für die Führung des Ministeriums für Staatssicherheit dienen. An diesem Wochenende ist er zu besichtigen. Ein Gespräch mit Bunkerexperte Hans-Jürgen Herget.
taz: Herr Herget, es gibt viele Dinge, für die man sich ehrenamtlich engagieren kann. Warum ausgerechnet der Bunker?
Hans-Jürgen Herget: Da ich selbst aktiv drei Jahre in den Grenztruppen der DDR gedient habe, bin ich militärhistorisch interessiert. Nach meinem Wehrdienst hielt ich den Kontakt zu alten Kameraden. Und wenn ich unterwegs bin, ob in der Uckermark, im Oderbruch oder der ehemaligen Altbundesrepublik, wo ein militärisches Objekt auftaucht, versuche ich, etwas zu dessen Geschichte zu erfahren. Das interessiert mich einfach.
Wo waren Sie als Grenzsoldat?
Auch gegenüber dem Checkpoint Charlie in Berlin. Allerdings kenne ich ihn noch in einer anderen Bauform. Ich hatte mich freiwillig zu den Grenztruppen gemeldet, weil ich nicht sinnlos über einen Acker turnen wollte. Ich wollte etwas sehen und erleben. Das habe ich auch.
Was haben Sie gesehen und erlebt?
An der Grenzübergangsstelle war ständig Verkehr. Wer ging drüber? Gerade am Checkpoint passierten die ganzen Militärmissionen und Diplomaten. Wenn die Amerikaner schwer bewaffnet mit ihren Jeeps auffuhren und das MG schwenkten – du wusstest, die drücken nicht ab –, das sah schon kriegsmäßig aus. Wir konnten uns vom Turm aus auch junge, hübsche Mädchen mit dem Fernglas angucken. Es war ein abwechslungsreicher Dienst. Nicht wie bei den Landstreitkräften: auf dem Acker gestanden und „Vorwärts“ gebrüllt und völlig sinnlos übers Feld gerobbt …
Wofür wurde der Bunker in Biesenthal erbaut?
ist 58, fühlt sich aber "wie ein Teenager". Leistete 1975-78 Wehrdienst in der NVA als Grenzsoldat und studierte Journalismus in Leipzig.
Der Bunker sollte im Ernstfall die Ausweichführungsstelle des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) werden. Erich Mielke hätte dort mit seinem Stab gesessen. Von dort sollte das operative Geschehen, was man sonst von der Zentrale in Berlin lenkte, weiter gestaltet werden.
Weckt der Bunker bei Ihnen Jugenderinnerungen?
Bedingt. Mit Bunkern hatte ich während meiner aktiven Wehrmachtszeit nichts zu tun. Aber es gibt bei den Bunkerbegegnungen immer wieder Gespräche mit Altgedienten. Auch mit amerikanischen und britischen Offizieren, die damals in Westberlin saßen. Der Blick der Leute von der anderen Seite – das sind Geschichten, die für mich privat wie beruflich interessant sind. Insofern sind das Erinnerungen, die hochkommen, nicht direkt auf den Bunker bezogen. Ich gehörte nicht zu MfS-Kreisen.
Was für Leute kommen zu einer Bunkerbesichtigung?
Der ehemalige Führungsbunker des Ministeriums für Staatssicherheit in Biesenthal im Nordosten von Berlin ist am Samstag und Sonntag, dem 11. und 12. April, von 9 bis 16 Uhr zur Besichtigung geöffnet.
Vor jedem Rundgang gibt es eine halbstündige Einführung in Technik und Geschichte des Bunkers. Allen Besuchern werden festes Schuhwerk und warme Kleidung empfohlen.
Der Eintritt kostet für Erwachsene 10 Euro und für Kinder 5 Euro. Die nächste Chance, in den Bunker zu kommen, gibt es erst wieder am 3. Oktober. Weitere Informationen unter www.ddr-bunker.de.
Der ganze Querschnitt: Leute, die die Zeit damals bewusst erlebt haben, die in der Umgebung gelebt haben und nie wussten, was hier war. Leute, die im Objekt selbst gedient haben, aber nicht überall hindurften. Und Väter mit ihren Kindern, die Vergangenheit anfassen wollen.
Was kann man anfassen?
Viel: Von den Wahnsinnstüren bis zu den Betten, die allerdings ein bisschen angeschimmelt sind. Und man erfährt viel: über den Aufbau eines Bunkers, seine Schutzfunktion. Die Abläufe im Ernstfall, Technik und Belüftungsanlagen. Wie hätte der Bunker beim Einschlag von schweren Waffen geschwankt? Wie war er abgesichert?
Gruseln Sie sich dort unten?
Nein. Es ist eng und man kann sich vorstellen, wie es wäre, wenn man jetzt 14 Tage dort leben müsste. Nur künstliches Licht, ohne zu wissen, welche Tageszeit ist, außer wenn man auf die Uhr guckt. Die Vorstellung, dort abgeschottet und eng in Dreierbetten übereinander zu schlafen und nicht zu wissen, was draußen passiert, ist doch: Ist da alles zerstört? Was existiert da überhaupt noch? Wie sieht es aus, wenn ich wieder rauskomme? Diese Vorstellung ist für viele gruselig.
Wie lange hätte man in diesem Bunker überleben können?
Der Bunker ist 40 mal 50 Meter groß: Es war für die Unterbringung von 160 Leuten vorgesehen. Die hätten zehn, maximal vierzehn Tage autark leben können. Unter vollständiger Hermetisierung, also totalem Luftabschluss. Bei biologischen oder chemischen Waffen: 24 Stunden.
Wann wurde dieser „Wahnsinnsbunker“ gebaut?
Von 1984 bis 1988, er ist dem MfS übergeben worden, wurde aber nie fertiggestellt. Technisch hätte er funktioniert, aber das war wie bei Preußens: Das eine Schild war zu klein, an anderer Stelle war nicht die richtige Farbe an der Tür … Dann kam 1989, und damit hatte sich die Sache erledigt. Dabei hat der Bunker rund 120 Millionen DDR-Mark gekostet, das fehlte dann anderswo. Nicht bloß Baumaterial, es wurden viele hochintelligente Leute gebunden, um sich mit den technischen Vorgängen zu befassen. Die hätten als Architekten im zivilen Bereich arbeiten können. Diesen Irrsinn zu erleben, dieses Wettrüsten, was letztendlich mit der Frage verbunden ist, was wäre, wenn es wirklich geknallt hätte: Man hätte dort vielleicht 14 Tage überlebt. Aber was dann? Dann wären sie rausgekommen und da wäre alles verbrannt gewesen. Es hätte keiner mehr gelebt, was wollten die noch führen? Welche Aufgabe wäre da noch gewesen? Diese Sinnlosigkeit von solchen Bauten im Atomkrieg! Der Bunker in Biesenthal war nicht der einzige im Umfeld von Berlin. Es gibt über 20, in denen man den Wahnsinn des Wettrüstens vor Augen geführt bekommt.
Bringt Sie der Bunker zum Nachdenken?
Es ist sicher ein Denkanstoß, zu sehen, was wäre, wenn … Ein dritter Weltkrieg würde wahrscheinlich zur Vernichtung der Menschheit führen. Doch die Politik wird nicht von den Menschen gemacht, die sich diesen Bunker ansehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Klimakiller Landwirtschaft
Immer weniger Schweine und Rinder in Deutschland