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Starke Frauen jammern nicht

Ihr Erfolgsrezept lautet: Niemals Schwäche zeigen. Doch damit fahren Karrierefrauen in der Männerwelt schlechter, als sie glauben  ■ Von Dorothea Assig

Mit der Frauenbewegung war der Mythos vom starken Mann, der die Frauen beschützt, ausgeträumt. Der Entzauberung setzten Frauen ihre Solidarität entgegen. Es gab eine kurze, intensive Zeit, in der viele Frauen kollektiven Schutz durch Solidarität erfahren haben. Diese Zeit war erfüllt von der Forderung nach weiblicher Autonomie und Unabhängigkeit. Sie brachte ungeheure Veränderungen. Immer mehr Frauen sind unabhängig, herausragend, erfolgreich in Männerdomänen.

Auf kollektiven Schutz aber können sie sich nicht mehr verlassen. Vielmehr gilt: Stärke zeigen. Sich durchsetzen können ist das Wunschziel ambitionierter Frauen. Niemals Schwäche zeigen, sich nicht unterkriegen lassen, das ist das Credo unzähliger Vorträge und Karrierehandbücher (mit einer Ausnahme: „Allein unter Männern“ von Beth Milwid, ECON). Eine erfolgreiche Frau ist niemals hilflos – sie braucht keinen Schutz. Schutz ist Opfern vorbehalten. Von Karrierefrauen wird erwartet, daß sie sich angemessen zu wehren wissen. Sie brauchen keinen Schutz. Diesem Irrtum sitzen selbst viele Managerinnen auf.

Der Begriff „Schutz“ ist für emanzipierte Frauen negativ besetzt, als ob ihre Kämpfe um Autonomie und Selbstbestimmung ganz umsonst gewesen seien. Wie eine Altlast empfinden sie Gefühle der Scham und Schutzlosigkeit. Die Freiheit, gerade erkämpft, soll schon wieder vorbei sein? Das ist für alle Frauen eine Bedrohung, auch für die „Zuschauerin“. Sie muß sich als Zeugin entscheiden, auf welcher Seite sie steht: Bin ich auf der Seite der Mächtigen, der Männer? Oder bin ich auf der Seite der schutzlosen Frau?

Wofür sich die Zeugin entscheidet, ist unberechenbar. Herausragende Frauen berichten, daß sie mit dem gleichen Vortrag bei unterschiedlichen Veranstaltungen bei Männern ähnliche Gefühle auslösten, bei Frauen immer andere. Wenn sie von Männern attackiert wurden, erlebten sie an einem Tag intensive Unterstützung und Frauensolidarität, an einem anderen ebenso intensive Ablehnung und emotionale Desaster.

Im beruflichen Alltag werden Frauen in den Männerdomänen der technischen Berufe, der Politik und des Managements ausgegrenzt und abgewertet. Unablässig wird ihnen zu verstehen gegeben: „Dies ist unsere Männerwelt, und du gehörst hier nicht hin.“ Diese Botschaft zeigt sich in vielerlei Facetten. Die Angriffe kommen unerwartet, unvermittelt. Nach einem Vortrag wird der Politikerin scheinbar fürsorglich zugeraunt: „Sie sind ja ganz toll, aber vielleicht sollten Sie etwas anderes anziehen oder Ihre Haare anders tragen.“

Keine Frau nimmt Theo Waigel bei einem Empfang beiseite und rät ihm völlig ernsthaft, er sollte sich seine Augenbrauen zupfen, dann wären seine politischen Aussagen überzeugender. Und wenn, würde sie sich damit der Lächerlichkeit preisgeben. Die Bundesministerin Claudia Nolte aber wurde von der CSU-Fraktion einmal für die Bürobotin gehalten, genauso wie fast jede Managerin irgendwann einmal als Sekretärin angesprochen wird.

So lächerlich und unbedeutend dies Außenstehenden auch erscheinen mag, es ist nicht unbedeutend. Es ist kränkend. Die Psychotherapeutin Brigitta de las Heras hat dafür den Begriff „Beschämungsstrategien“ geprägt. Jede herausragende Frau kennt diese subtilen Angriffe. Weil erfolgreiche Frauen nicht damit rechnen (können), von anderen Schutz zu erhalten, haben sie Abwehrmechanismen entwickelt gegen Gefühle der Kränkung und der Scham. Sie erbringen dabei enorme Anpassungsleistungen, um der Ausgrenzung und der Benachteiligung zu entgehen. Dies verlangt Härte gegenüber sich selbst, eine ständige Überforderung, die schutzlos macht. Denn diese Abwehrstrategien schädigen den Selbstwert einer Frau und isolieren sie von anderen Frauen.

Eine weitverbreitete Abwehrstrategie ist die Idealisierung von Männern. Sie geht immer mit der Abwertung von Frauen einher. Wann immer ein Mann sich partnerschaftlich verhält, wird er gleich zur Ausnahmeerscheinung erklärt. Gibt er als Manager oder Wissenschaftler etwas nur einigermaßen Sinnvolles zum Thema „Frauen in der Arbeitswelt“ von sich, wird er umgehend als Referent, Ausschußvorsitzender und maßgeblicher Experte gehandelt, ungeachtet dessen, daß Managerinnen, Wissenschaftlerinnen und Beraterinnen über die größere Kompetenz verfügen. Die Idealisierung von frauenfördernden Männern ist vergleichbar mit der Dankbarkeit, die Frauen in ihrem Privatleben Männern entgegenbringen, die freiwillig mal den Abwasch übernehmen. „Ich ziehe die Gesellschaft von Männern vor“ ist die Aussage erfolgreicher Frauen, die nur darin einen Weg sehen, ihrer Isolation zu entkommen.

Eine andere Abwehrstrategie zeigt sich als „Ich-doch-nicht-Haltung“ und wird von solchen Frauen praktiziert, die sich von der Benachteiligung der Frauen ausgenommen sehen. Sie fühlen sich als etwas Besonderes, als Ausnahme unter den Frauen. Sie wollen einfach nicht zu dieser unterdrückten, benachteiligten Gruppe gehören. Sie wollen auch ihre Kollegen nicht als Männer sehen, die Frauen benachteiligen oder belästigen. Endlich sind sie herausgetreten aus der Masse, und deshalb, versichern sie, brauchen sie keinerlei Schutz – von niemandem.

Auch die innere Distanz, die „Zweigeteiltheit“, wie sie die englische Autorin Rosalind Coward beschreibt, erweist sich als Strategie gegen Ausgrenzung. Frauen finden das Arbeitsethos von Männern „allzu seicht“, und sie können kaum glauben, daß Männer diese Normen ernst nehmen. „Selbst eingeschworene Karrierefrauen scheinen sich vom Arbeitsethos ihres Betriebes distanzieren zu können, es nicht ernst zu nehmen. Doch gleichzeitig sind sie deprimiert, weil sie im selben Milieu nicht so viel Erfolg hatten.“ Wenn erfolgreiche Frauen hochrangige Manager als „die Jungs“ bezeichnen, zeigt sich darin die Distanz und auch ihre Hilflosigkeit. Bei allen Kämpfen, Anstrengungen und Kränkungen haben viele Frauen das Gefühl für einen geschützten Raum verloren. Schon gar nicht können sie sich Schutz in ihrem beruflichen Alltag vorstellen. Erfolgreiche Frauen haben erfahren und verinnerlicht, daß sie allein sind und sich nur auf sich selbst verlassen können.

Es war ein emanzipatorischer Ausdruck, auf den Schutz von Männern zu verzichten. Jetzt ist es ein emanzipatorischer Akt, sich zu schützen, beschützt zu werden und Schutz zu geben.

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