Starautor Philip Roth ist tot: Ohne Erben
Er war Realist. Philipp Roths direkter Schreibstil verhöhnte falsche Sentimentalität oder Hoffnungen auf ein Leben nach dem Tod. Jetzt ist Roth gestorben.
27 Romane veröffentlichte er, zeitweise einen pro Jahr, dazu Sachbücher, dutzende Novellen, Kurzgeschichten, Essays und Interviews. Der 2010 in den USA erschienene Roman „Nemesis“ blieb sein letzter, aber schon lang vorher ließ sich das literarische Kaliber Roths bemessen: Als die New York Times ihre Leser 2006 nach den besten amerikanischen Romanen der vergangenen 25 Jahre fragte, schafften es sechs von Roths Titeln auf die Liste – aus insgesamt 29.
Entsprechend groß war der Schock, als Roth 2012 seinen Ausstieg aus dem Literaturbetrieb ankündigte. „Der Kampf mit dem Schreiben ist vorbei“, hatte er sich damals auf einen gelben Zettel geschrieben und auf seinen Computer geklebt. „Jeden Morgen schaue ich auf diesen Zettel, und das gibt mir sehr viel Kraft“, sagte er. Dass es nicht genug Lesestoff gebe, um Roths Ruhestand zu verkraften, konnten Fans angesichts der Fülle an Werken jedenfalls nicht behaupten.
Mit jedem seiner Romane, die aus Roth nur so herauszusprudeln schienen, präzisierte er seine Stimme weiter, füllte die Zeilen mit Sarkasmus, Humor und Melancholie. Er wechselte die Themen und war doch immer wiederzuerkennen. Zu seinen erfolgreichsten Titeln zählen die Roman-Trilogie „Der Ghostwriter“, „Zuckermans Befreiung“ und „Die Anatomiestunde“, aber auch „Sabbaths Theater“, „Amerikanisches Idyll“ und „Der menschliche Makel“.
Trauriger Gag mit dem Nobelpreis
Und obwohl Roth wieder und wieder begeisterte: Das eine ganz große Werk, den einen Klassiker, schrieb er nicht. Erst im Rückblick wurde klar, dass Roth eben durch die Summe seiner hervorragenden Bücher zu den großen Schreibern wurde. Mehrere wurden verfilmt. „Roth ist der größte Schriftsteller unserer Zeit“, schrieb der Guardian schon 2009, und ließ dafür auch Roths größte amerikanische Zeitgenossen wie Cormac McCarthy, John Updike und Don DeLillo links liegen.
Den Nobelpreis für Literatur hatte Roth aus Sicht vieler Fans deshalb eigentlich sicher, ihnen blieb die Nachricht über die Auszeichnung anderer Autoren – vor allem der Amerikaner Toni Morrison 1993 und Bob Dylan 2016 – im Halse stecken. „Der wahre Skandal an Patrick Modianos Nobelpreis-Gewinn ist, dass Philip Roth ein gewaltiger Verlierer ist – schon wieder“, schrieb der Guardian etwa 2014. Aus den wiederholten Pleiten des „seit 50 Jahren stehenden Titans“ habe sich ein regelrechter Gag entwickelt. Alle anderen wichtigen Preise der Literaturwelt hatte Roth schließlich schon mit nach Hause genommen.
Leber und Sex
Roth war Atheist und verschwor sich der irdischen Vorstellungskraft. Konkret bedeutete das etwa, ein Stück Leber in eine Sexszene zu integrieren oder einen Protagonisten zu erschaffen, der romantische Tagträumereien über Anne Frank hat.
Während er sich selbst nicht als jüdischen Autor bezeichnete, sondern sich immer als US-Schriftsteller sah, ging es in seinen Romanen doch um beides. Anders als Vorgänger wie Saul Bellow und Bernard Malamud schrieb er nicht vom schmerzhaften Leben jüdischer Einwanderer in die USA, sondern über die nächste Generation: Die erste Sprache von Roths Charakteren war Englisch ohne Akzent; sie folgten keinen religiösen Ritualen und gingen nicht in Synagogen.
In dem 2004 veröffentlichten Werk „Verschwörung gegen Amerika“ stellte er seine eigene Familie unter die fiktive antisemitische Herrschaft von Präsident Charles Lindbergh. In „Nemesis“ schrieb er sechs Jahre später über seine Heimat New Jersey unter den Auswirkungen einer Polio-Epidemie.
Im Privaten kämpfte er gegen eigene Dämonen. Ende der 1960er Jahre überlebte er einen Blinddarmdurchbruch, 1987 eine Depression, die fast im Suizid geendet wäre. Nach negativen Reaktionen auf seinen 1993 veröffentlichten Roman „Operation Shylock“ fiel er erneut in eine Depression und sprach über Jahre hinweg nur selten mit den Medien. 2015 zog er sich ganz aus dem öffentlichen Leben zurück.
Die eigene Geschichte herauspumpen
In Newark, von New York aus auf der anderen Seite des Hudson River gelegen, erinnert ein Straßenschild an den Schriftsteller, der im zweiten Stock eines Schindelhauses in der Summit Avenue Nummer 81 aufwuchs. Der Sohn jüdischer Einwanderer aus ärmlichen Verhältnissen genoss die Sommer am Strand von New Jersey, verfolgte Baseballspiele hinter seiner Grundschule, führte Freundinnen ins Kino aus und traf seine Jungs zum Pastrami-Sandwich im örtlichen Diner. Viele von Roths Romanen spielen in diesem Newark seiner Jugend.
„Nein, die eigene Geschichte ist keine abzulegende Haut – sie ist unausweichlich, Körper und Blut“, schreibt Roths wiederkehrende Figur Nathan Zuckerman in „Die Prager Orgie“. „Man pumpt sie heraus bis man stirbt, mit den Themen des Lebens geäderte, stets wiederkehrende Geschichte, die zugleich deine Erfindung und die Erfindung deiner selbst ist.“ Philip Roth erfand seine Geschichten – und sie erfanden ihn (mit Blick auf sein Alter Ego Zuckerman bestand er allerdings darauf, dass seine Romane nicht autobiografisch seien).
„Ich bin 83 und habe keine Erben“, sagte Roth der „New York Times“, als er seinen Ruhestand verkündete. So spendete er 2016 auch seine rund 4000 privaten Bücher an die Bibliothek in Newark, nachdem sie jahrelang Regale in seinem Haus auf einer Farm in Connecticut gefüllt hatten. Dort verbrachte der eher zurückgezogen lebende, zweifach geschiedene Autor viel Zeit, dort schrieb er seine aufrichtigen, amerikanischen Sätze, wie diesen aus „Amerikanisches Idyll“: „Das Leben ist nur eine kurze Zeitspanne, in der man lebendig ist.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe