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■ Gut erzogener Politiker * Was nun, Herr Schäuble? Montag, 25.11., ZDF, 21.07Uhr
Was war das auffälligste an dem TV-Auftritt Wolfgang Schäubles in Was nun, Herr S.? Es gab keinen Überraschungsgast und auch sonst nichts Überraschendes. So wie der überwiegende Teil der Anrufer beim ZDF Schäuble die Nachfolge Kohls zutrauen, reagierte dieser darauf mit gekonntem Understatement — er habe das Ergebnis zwar geahnt, gewußt hätte er es angeblich aber lieber nicht, denn „das ist eine zusätzliche Last für mich“.
Schäuble sagt eben, was man gemeinhin von einem gut erzogenen Politiker erwartet. Aus den mit mäßigem Elan vorgetragenen Fragen des Wolfgang Herles und Hans-Peter Sigloch popelte er sich routiniert jeweils den Teil heraus, zu dem er sich schon immer äußern wollte. Beispiel: sein Vorpreschen auf dem Deutschland-Tag der Jungen Union für den Einsatz deutscher Soldaten in Jugoslawien. Ihm sei es doch nur darum gegangen, zum Ausdruck zu bringen, daß dieser Krieg in Europa, kaum 200Kilometer von uns entfernt, unerträglich sei. Eben, für wen ist es das nicht. Oder in der Frage des Paragraphen218: es geht ihm wie den anderen doch auch schließlich nur darum, „möglichst gut ungeborenes Leben zu schützen“. Wollen Sie das etwa nicht?
Die beiden Interviewer klapperten brav alle Fragestellungen ab, die ihnen der 'Spiegel‘ zum Frühstück vorgegeben hatte, und Schäuble blieb wie „vorprogrammiert“ (ein Begriff, dem er nicht widersprach, als es um seine berufliche Laufbahn ging) im Rahmen.
Selbst beim Thema Attentat und Behinderung machte Schäuble vor, was einen nachdenklichen Politiker auszeichnet. Er hat gelernt, über sich selbst zu reflektieren. Das jemand nicht einfach ja sagt, wenn man ihn fragt, ob er seine zukünftige politische Karriere auf den Mitleidsbonus aufbaut, versteht sich, aber Schäuble hat längst weitergedacht. Er habe diesen Vorwurf noch nie gehört, doch sollte jemand darauf abheben, würde er, Schäuble, nicht wütend werden, sondern denjenigen fragen, „was mache ich falsch“. Spätestens nach dieser Passage war die Nation von ihrem zukünftigen Kanzler begeistert, auch wenn sie über seine politischen Positionen kaum etwas gehört hat.
Ein Ahnung von dem, was auch in seinem Kopf steckt, konnte der Zuschauer allenfalls beim Thema Asyl erhaschen. Nach dem eingespielten Vorhalt des Bundespräsidenten, die Bundesrepublik sei längst ein Einwanderungsland, wurde Schäuble einmal ausfällig. Australien ist ein Einwanderungsland, das bei Bedarf heiratsfähige Frauen einführt. Wollen Sie das auch? Jürgen Gottschlich
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