■ Standbild: Opfer des Opfers
„Tatort: Schlaflose Nächte“, Sonntag, 20.15 Uhr, ARD
Sonntag, später Abend. Der Weinkorken liegt zerbröselt auf dem Wohnzimmertisch, und die ganze Welt erscheint roh und voller Barbaren, kaum daß der „Tatort“ seinen Abspann zeigt.
Dabei hat der Regisseur und Autor Hartmut Schoen nur auf ziemlich schneidende Weise vom Geschlechterkampf erzählt. Doch was heißt da „nur“! Unermüdlich wurde in seinem Film herumgedemütigt, keine Moral relativierte den Streit um mehr Worte und Sensationen. Selbst in den Verhören drehten sich die Machtverhältnisse wie sonst nur Wetterfahnen, und auch eine Kommissarin wie Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) wurde da mal böse ausgelacht.
Und das alles nur wegen diesem miesen Möbelhändler. Der trieb es am liebsten mit einer Internatsschülerin, wenn seine Ehefrau in der Nähe war. So kam, was kommen mußte: Eines Tages liegt das Mädchen tot auf einem Autodach, und der Film mußte erklären, warum. Das konnte er auch. Das Opfer war das Opfer eines Opfers. Der Mörder war der sympathische Onkel mit Hang zu englischen Stilmöbel, der eigentliche Bösewicht (Jürgen Schmidt) hingegen kein Täter im Sinne des bürgerlichen Strafgesetzbuchs. Er durfte am Schluß sogar die abgeknickte Augenbraue eines großen Tragöden tragen. Denn die Welt des Hartmut Schoen ist ungerecht. Warum nur glaubt er nicht an Shakespeare? Warum dürfen seine miesen Kerle überleben, statt mit einem letzten bösewichtigen Satz tief hinab in die Hölle zu fahren?
Hartmut Schoen wollte keinen moralischen Drall in seinem Film, der seinen Beat auf subtilere Weise hätte bestimmen können. Und er benötigt ihn auch nicht. Zwar bewährte sich seine Kommissarin Odenthal einmal mehr als tüchtige Streiterin für mehr Ebenbürtigkeit im Geschlechterkampf. Aber Regisseur Schoen setzte mehr auf erprobte Horrorfilmelemente, um die Zuschauer mit seinem untrüglichen Gefühl für Rhythmus zu bannen. Cutterin Gudrin Böhl besaß genug Schneid, um mit oft traumhafter Montage die Spannung weiter anzuheizen. Und als dann das Juniorschwein, der Sohn des Möbelhändlers, beim Vergewaltigen gleich dreimal ermordet wird, war es dann soweit. Die Nackenhaare stellten sich auf, so wie früher in der Kindheit, als man den Tatort noch fürchten mußte... Marcus Hertneck
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen