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■ Standbild„Fiche“ im Aquarium

„Rekord im Kanzleramt – Helmut Kohl“, Fr., 22.15 Uhr, arte

Das Oktoberfest des Kanzlers läuft auf vollen Touren. Schon hunderttausend Getreue griffen zu den Kohl-Memoiren aus der Feder des Bild-Journalisten Kai Diekmann, und die Bunte entschlüsselte unlängst die „Saturnlinie“ in Kohls Handteller und kam zu erstaunlichen Schlüssen: „Messerscharfer Intellekt.“

Es gehört schon einiges dazu, auf dieser medialen Schleimspur noch einen zuzulegen. Doch Michael Rutz gelingt das in seinem Porträt fabelhaft. Mühelos schafft er es, in anderthalb Stunden kein einziges kritisches Wort unterzubringen. Das dürfte selbst bei Sat.1 Rekord sein.

Traurig nur, daß wir gar nicht bei Sat.1 sind. Denn der ehemalige Chefredakteur des Mainzer Privatsenders und heutige Chef des Rheinischen Merkurs darf seinen Kotau beim Kultursender arte machen. Was ihn für diesen Sendeplatz qualifiziert, bleibt im dunkeln. Denn auch filmisches Talent geht Rutz völlig ab. So beschränkt er sich in der Anfangssequenz auf einen Schwenk über Kohls Büro-Fauna in Form einiger „Goldfiche“, wie der Kanzler immer so schön sagt. Der hört schon während der morgendlichen Akten-Exerzitien Beethoven, wie Rutz nicht müde wird zu betonen.

Zu diesem Zeitpunkt hoffte man noch auf eine Satire. Doch für eine solche hätte sich die internationale Fangemeinde wohl nicht hergegeben. Nacheinander dürfen all die Bushs, Gorbatschows und Bernhard Vogels ihr Loblied runterbeten. Und zwischendurch setzt sich Autor Rutz höchstpersönlich vor die Bücherwand und verspricht, die Wurzeln der Rekordregentschaft zu ergründen.

Die müssen zweifelsohne irgendwo in Kohls Darmtrakt liegen – so tief, wie sich Rutz dort hineinbegibt. In gilben Albumbildern zeigt er uns eine Kindheit in Oggersheim, entbehrungsreich, aber schön. Der Vater in Uniform und hoch zu Roß, die Mutter nicht schlau, aber vollgesogen mit aller Weisheit der Bergpredigt. Bernhard Vogel erzählt von Kohls Lambretta, und auf dem Höhepunkt seines Birne-Menüs serviert uns Rutz Hannelore Kohl an Hartblattgewächsen aus dem Wintergarten. Dort prahlt sie mitmenschelnd damit, schon 30 Millionen Mark für ihre Hirnkranken- Stiftung gesammelt zu haben. Vielleicht sollte sie Rutz davon etwas abgeben. So ließen sich wenigstens Gebühren sparen. Oliver Gehrs

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