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■ StandbildEs fährt ein Zug nach Nirgendwo

„Leben im Zug – Andata e ritorno“, Donnerstag, 23.45 Uhr, 3 sat

Pro Tag legen sie im Schnitt etwa 1.000 Bahnkilometer zurück. Aber sie sind keine Pendler. Sie sind größtenteils Obdachlose, die den Schweizer Schienenverkehr zu ihrem festen Wohnsitz auserkoren haben. In ihrer einfühlsamen Reportage „Leben im Zug“ hat Krysia Binek den Erzählungen von Clochards und Vagabunden gelauscht, die mit einem „Generalabonnement“ Tag für Tag das Alpenland bereisen. Für umgerechnet etwa 8 Franken täglich ist die 2.600 Franken teuere Jahreskarte billiger als eine feste Wohnung.

Selbst wenn dieses Dach über dem Kopf ständig auf Achse ist: Vom Reisen selbst halten „Bahnbewohner“ nicht viel. Sie haben keine Pläne im Kopf außer dem Fahrplan. Für sie gilt das Motto von Christian Anders: „Es fährt ein Zug nach Nirgendwo“. Die rasende Bewegung ist ihnen – mit und gegen Virilio – ein immerwährender Stillstand. „Ich lebe zeitlos“, sagt Albert und spricht dabei über seine „innere Traurigkeit“. Gelegentlich meditiert er, oder liest die Financial Times. Natürlich nicht, weil er an der Börse spekuliert, sondern „um mein Englisch nicht zu vergessen“.

Behutsam macht Krysia Binek in ihrer Reportage deutlich, daß das (Über-)Leben dieser „Bahntramps“ trotz aller Widrig- und Traurigkeiten von einer gewissen unfreiwilligen Komik geprägt ist. Mit ihrem erzwungenen Lebensstil zweckentfremden die „Bahnbewohner“ eine der hochentwickeltsten zivilisatorischen Errungenschaften, die Mobilität. Als würde man einen Flugzeugmotor benutzen, um eine Kerze auszupusten. Wenn Albert das Hemd wechselt, kommt es für ihn günstiger, ein neues zu kaufen, als sein altes in die Wäsche zu geben: „Schließlich leben wir in einer Wegwerfgesellschaft“, sagt Albert grinsend.

„Leben im Zug – Andata e ritorno“ ist eine wirklich sehenswerte halbstündige Reportage. Die Originalität des Films resultiert dabei nicht aus der Machart, die sehr zurückgenommenen ist. Krysia Binek gelingt vielmehr eine skurrile Momentaufnahme einer Facette des Überlebenskampfes. Dabei wirft ihr Film einen sehr schrägen Blick auf das Phänomen Armut im Zusammenhang mit Überfluß und Luxus. Denn der eine oder andere dieser Bahntramps fährt sogar ganz selbstbewußt in der 1.Klasse. Manfred Riepe

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