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Städte in Zeiten der PandemieLang lebe die Stadt

Nach der Pest wurden in den Städten bessere Abwassersysteme installiert. Doch was könnten eigentlich die Konsequenzen aus dieser Pandemie sein?

Dieser Kneipe hilft auch der Name nicht, die ganze Stadt schläft Foto: Jörg Carstensen/dpa

N ew York ist die Stadt, die niemals schläft. Natürlich trifft das nicht nur auf New York zu. Berlin, das habe ich letztens in einer Doku gehört, ist eine Stadt, in der man niemals schlafen gehen muss. Manche Leute finden das attraktiv. Kleinen Kindern von müden Eltern möchte ich sagen, dass das eine Lüge ist.

Dass Städte niemals schlafen, finde ich reizvoll – aber nicht, weil ich unbedingt wach bleiben und all die Möglichkeiten auskosten will. Ich liebe schlafen. Ich liebe aber auch die Idee, dass der Rhythmus der Stadt nicht überall so ist wie meiner. Jetzt geht alles auf der Stelle, Tag und Nacht. Seit Monaten vermisse ich die Stadt, in der ich mich aufhalte.

Ich gehe verschiedenförmige Runden um meine Straße herum, manchmal kaufe ich mir Schnittblumen mit geschlossenen Knospen, weil ich mag, dass sich später in meiner Wohnung etwas öffnet. Hauptsächlich stehe ich auf, lege mich hin, koche, esse, trinke, weine und schreibe. Ich bin so viel mit meinen Gedanken allein, dass es schwierig wird, Sätze nicht mit „ich“ zu beginnen. Das ist lästig. Ich erlebe nichts außer mir selbst. Ich bin mir zu viel, weil die Stadt so wenig geworden ist.

Ich habe mal Städte studiert. Ein Vorteil daran ist, dass ich gerade nicht nur Sehnsucht habe, sondern auch Neugier. Ich überlege, was Stadt­for­sche­r:in­nen herausziehen aus dieser Zeit. Welchen Namen sie der Großstadt im Pandemiemodus geben würden? Vielleicht Tired, Longing, oder Rebooting City. Vielleicht schreibt jemand darüber, dass wir im analogen öffentlichen Raum nicht mehr so performen können wie früher und wir deshalb unsere Performances noch stärker ins Digitale verlegen.

Wann kommt die Fair City?

Menschen leben aus unterschiedlichen Gründen in Großstädten. Einige, weil sie dort hineingeboren wurden. Manche, weil sie woanders eingehen würden. Viele, weil sie hier arbeiten müssen. Ein paar, weil sie es mögen, wenn die eigene Welt sich mit anderen Welten überschneidet. „Es fühlt sich an, als wäre die Stadt tot“, sagt jemand am Telefon. „Die Stadt ist weg, obwohl sie noch da ist“, sage ich zurück.

Mit Sicherheit wird längst erforscht, was wir aus der Geschichte über Pandemien und Städte lernen können. Frühere Plagen wie die Pest haben vielerorts für Abwassersysteme gesorgt, die das Stadtleben besser und sicherer machten.

Weil man aus den Erfahrungen mit der Pest Konsequenzen zog, haben wir jetzt Rohrsysteme, durch die wir unsere Scheiße spülen können. Das ist gut, so funktioniert Fortschritt. Was wir heute am dringendsten brauchen, ist ein fortschrittliches System für ein gutes Stadtleben für alle. Ich vermisse die Stadt.

Wahr ist aber auch, dass ich in der ungerechten Stadt ein gutes Leben gefunden habe, während andere mit Überleben beschäftigt sind. Die Stadt, die ich am meisten vermisse, hatten wir so noch nicht. Vielleicht würde man sie Fair City nennen? Unsere Städte sind irgendwie eingeschlafen, wir bleiben wach und grübeln. Die Stadt ist nicht tot, lang lebe die Stadt.

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Lin Hierse
taz-Redakteurin
Lin Hierse ist Redakteurin der wochentaz und Schriftstellerin. Nach ihrem Debüt "Wovon wir träumen" (2022) erschien im August ihr zweiter Roman "Das Verschwinden der Welt" im Piper Verlag. Foto: Amelie Kahn-Ackermann
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